SOLANGE DIE AHNENTÖPFE BEOPFERT WERDEN, LEBEN DIE VERSTORBENEN

Die Bedeutung der Ahnentöpfe für die Mafa in Nordkamerun

Von Godula Kosack

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Mafa-Gehöft. Foto: G. Kosack

Die Mafa siedeln auf den nördlichen Berghängen des Mandaragebirges in Nordkamerun. Sie ernähren sich hauptsächlich von Hirse, die sie im Hackverfahren auf terrassierten Feldern anbauen. Ihre Gesellschaftsform ist streng patriarchalisch. Die Männer können mit mehreren Frauen verheiratet sein. Nach der Heirat ziehen die Frauen in das Dorfviertel des Ehemannes. Alles, was sie hervorbringen, so die Kinder und die Früchte ihrer Feldarbeit, gehört den Männern. Die Männer vollziehen sämtliche Kulthandlungen, so auch den Erd- und Ahnenkult.


Die Ahnenopfer

Als Ahnen bezeichnen die Mafa die Verstorbenen, die einst an dem Ort wohnten, an dem jetzt ihre Nachkommen leben, und für die Ahnenopfer gemacht werden. Durch die Begräbniszeremonien wird den Verstorbenen ermöglicht, sich zu den Ahnen in der Höhle unter der Erde zu gesellen. In jener anderen Welt führen sie ein Dasein, das dem auf der Erde entspricht: Dort werden Felder bestellt, Männer suchen sich Frauen, Kinder werden großgezogen. Die Bewohner des Jenseits stehen mit denen des Diesseits in reger Verbindung. Sie müssen von ihnen durch Opfergaben ernährt werden und sind dadurch in der Lage, ihre Nachkommen vor bösen Einflüssen durch Geistwesen oder kraftbegabte Lebende zu schützen. Die Lebenden stellen den Ahnen Tonkrüge zur Verfügung, durch die sie im Gehöft repräsentiert werden.

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Ahnenopfer im Haus des Mannes. Foto: G. Kosack

In den meisten Gehöften der Mafa befinden sich solche Ahnentöpfe: Beim Tod eines Mannes ist sein ältester Sohn in der Pflicht, bei der Töpferin einen Krug zu bestellen, für den verstorbenen Großvater hält der älteste Sohn des ältesten Sohnes einen etwas größeren Topf bereit. Der verstorbenen Mutter muss der jüngste Sohn die obligatorischen Opfer bringen.

Noch am Sterbetag eines Mannes werden die bereits vorhandenen Ahnentöpfe – nämlich der für den Vater, für den Vater des Vaters, für die Mutter des Vaters und für die Mutter – zerbrochen. Die Ahnenreihe verschiebt sich nunmehr um eine Generation, und für jeden Ahnen, der fortan beopfert werden wird, muss ein neuer Topf angefertigt werden. Die Ahnentöpfe für einen Mann tragen männliche Geschlechtsmerkmale, die für eine Frau weibliche. Das männliche Geschlecht wird durch einen Bart unterhalb des Topfhalses und auf dem Bauch des Topfes durch einen Penis mit Hoden angedeutet, das weibliche Geschlecht entsprechend durch Brüste und eine Vagina.

Ahnenopfer sind bei den Festen, die alljährlich gefeiert werden müssen, fällig. Das wichtigste ist das Neujahrsfest, das begangen werden kann, nachdem im Dorf die Ernte eingebracht ist und sämtliche dörflichen Konflikte diskutiert und gelöst wurden. Der genealogisch Älteste eines Dorfes ruft das Fest aus. Durch ein Orakel, bei dem alle Oberhäupter der einzelnen Verwandtschaftsgruppen des Dorfes vertreten sein müssen, wird festgestellt, ob noch Unklarheiten unter den Leuten bestehen oder Ungereimtheiten aus dem Weg zu räumen sind. Nur bei einer positiven Antwort durch „die Steine“, die als Medium vom Orakelsprecher bewegt werden, wird gemeinsam Bier getrunken. Das Bier für die Opfergaben muss in der fensterlosen Küche des Hauses des Kultbevollmächtigten von seiner ersten Frau – die Mafa-Männer können mehrere Frauen heiraten - gebraut sein. Im Anschluss an dieses erste gemeinsame Bier können die Lineageältesten nach Hause gehen und mit den mehrtägigen Festivitäten beginnen, deren Höhepunkt das Opfer an sämtliche Ahnen ist.

Als Erstes versammeln sich alle männlichen Nachkommen des „Großvaters“, das ist der verstorbene Vater des verstorbenen Vaters des Dorfviertelältesten. Da die Wohnfolge der Mafa virilokal ist - das bedeutet, die erwachsenen Söhne siedeln auf dem Land ihres Vaters, während die Töchter in ein anderes Dorfviertel heiraten müssen – entspricht ein Dorfviertel jeweils einer patrilinearen Verwandtschaftsgruppe. Die Festgemeinde trifft sich in dem Eingangshaus des je nach Reichtum und Familiengröße aus bis zu 16 Rundhäusern bestehenden Gehöfts. Der Älteste spricht ein Gebet an die Ahnen und schüttet etwas Bier auf die Erde. Dann lässt er eine mit Bier gefüllte Kalebasse auf dem Topf balancieren. Wenn die Kalebasse ruhig bleibt und nicht hinunterfällt, ist der Ahn mit dem Opfer einverstanden, und alle Anwesenden können dann in der Reihenfolge des genealogischen Alters zu Ehren des Verstorbenen trinken. Am Schluss erhalten auch die Frau oder die Frauen des Hauses, die sich im Inneren des Gehöfts aufhalten, eine Kalebasse mit Bier. Anschließend gehen die Männer nach Hause. Diejenigen, die selber einen Topf zu beopfern haben, nämlich den des verstorbenen Vaters oder der verstorbenen Mutter, halten eine weitere Opferzeremonie in ihrem Gehöft ab.

Im Laufe des Jahres können außerordentliche Ahnenopfer nötig sein. Wenn sich in einer Familie Krankheiten oder Unglücksfälle häufen, die Tiere von einer Seuche befallen sind oder die Ernte missrät, dann wird durch das Orakel herausgefunden, ob eventuell ein Ahn oder ein anderes Geistwesen auf diese Weise ein Opfer einfordert. Auch ob ein Bieropfer ausreicht oder ein Huhn- oder gar ein Ziegenopfer nötig ist, wird durch das Orakel erfragt. Im Falle eines Tieropfers wird auf jeden Fall erst Bier an die Erde gegeben, bevor dem Hahn oder der Ziege die Kehle durchgeschnitten wird. Etwas von dem Hühnerblut wird auf die Ahnentopfhälse, die bereits mit dem Opferbier gefüllt sind, geschmiert. Bei einer Ziege besteht die Gabe aus Labmageninhalt.

Die Bedeutung der Ahnentöpfe

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Ahnenopfer im Haus des Mannes. Foto. G. Kosack

In den Ahnenopfern reproduzieren die Mafa ihren sozialen Kosmos. Bedeutsam ist die männliche Verwandtschaftsgruppe, die in der Reihenfolge des genealogischen Alters bei den gegebenen Anlässen trinkt. Das genealogische Alter bedeutet, dass die Reihenfolge entlang der Abstammungslinie geht. Der älteste Nachkomme der Linie, die dem Ältesten des gemeinsamen Ahns entstammt, gilt als der „Älteste“, unabhängig von seinem biologischen Alter. Er kann an Jahren durchaus jünger sein als der Vetter, der dem zweiten Sohn des gemeinsamen Großvaters abstammt, so zum Beispiel, wenn die erstgeborenen Kinder der Familie Töchter waren oder verstorben sind.

Zum Opfer an den „verstorbenen Großvater“, das ist der verstorbene Vater des verstorbenen Vaters des Ältesten einer Verwandtschaftsgruppe, versammeln sich alle von diesem Ahn abstammenden Männer. Der Topf, der diesen „Großvater“ repräsentiert, ist deshalb auch größer als der Topf des „verstorbenen Vaters“, um den sich eine kleinere Gruppe Kultteilnehmer versammelt. Der Topf für die „verstorbene Mutter“, bei der es sich um die Mutter des Familienoberhauptes handelt, ist nochmals kleiner. Zum Opfer sind nur die Söhne dieser Frau anwesend. Nachdem dieser Topf am Tage des Todes des letzten Sohnes zerschlagen ist, wird kein weiterer Topf für sie bestellt wie bei dem verstorbenen Vater. Somit wird in den Ahnentöpfen, sowohl was die Größe als auch was die Dauer der Beopferung betrifft, das Geschlechterverhältnis offenbar. Die Mafa leiten ihre Abstammung von der männlichen Linie ab und gehören somit zu dem Klan ihres Vaters. Eine Frau ist stets Klanfremde. Nur als Mutter eines Sohnes hat sie lebenslänglich ein Bleiberecht auf dem Territorium des Mannes. Stirbt sie kinderlos, dann muss ihr Leichnam im Boden ihrer Herkunftsfamilie bestattet werden.

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Aufbewahrungsort der Ahnentöpfe hinter dem Rundspeicher des Mannes. Foto: G. Kosack

Es ist das Lebensziel der Mafa-Männer, möglichst viele Söhne zu haben, weil diese dann nach dem Tode zahlreiche Opfer bringen. Durch Opfer werden die Verstorbenen im Jenseits ernährt. Wenn die Kultgemeinschaft Bier auf die Erde träufeln lässt, bedeutet das, dass der „Geist des Bieres“, also die Essenz, diesem Verstorbenen gewidmet ist. Das Hühnerblut oder der Labmageninhalt der Ziege repräsentieren die Lebenskraft dieser Tiere. Die Lebenden werden durch die Annahme ihrer Opfergabe gesegnet und können damit auf den Schutz vonseiten der betreffenden Ahnen rechnen. Umgekehrt müssen sie davon ausgehen, dass die Verstorbenen Krankheit oder Unglück schicken oder zulassen, wenn ihnen durch solche Opfergaben nicht genügend Respekt gezollt wird. Die Ahnen haben die Lebenden hervorgebracht, sie haben die Erde urbar gemacht, sie müssen entsprechend gewürdigt werden.

Die untergeordnete Stellung der Frauen entspringt der Vorstellung, dass die Frauen lediglich Gefäße sind, aus denen die Söhne und Töchter eines Mannes hervorgehen. Den Männern gehört das Land, die Männer bauen die Häuser, sie sind die eigentlichen Kulturträger der Mafa-Gesellschaft. Frauen steht nur dann ein Ahnentopf zu, wenn sie mindestens einen Sohn geboren haben, denn erst dann haben sie ihre Lebensaufgabe erfüllt. Frauen ohne Söhne leiden nicht nur zu Lebzeiten unter der Missachtung der Gesellschaft, sondern sie können auch nach dem Tode keine Ernährung erwarten. Solche Frauen werden ruhelose Geistwesen, die den Lebenden Übel zufügen, bis ihnen etwas „Nahrung“ - Erdnüsse, Sesam, Natron oder Tabak - auf den Hangar vor dem Gehöft gelegt wird. Ob eine Krankheit von solch einer ruhelosen Verstorbenen ausgeht, erfahren die Betroffenen durch das Orakel.

Wenn den Verstorbenen – ob Männern oder Frauen – keine Opfer mehr gebracht werden, dann sterben sie ein zweites Mal. Wo genau sie dann hingehen, weiß niemand. Aber da sie durch keine Töpfe mehr repräsentiert werden und daher niemanden mehr haben, dem sie Opfer abverlangen können, können sie keinen Schaden mehr anrichten. Sie verschwinden aus dem Bereich der Lebenden.

Weiterführende Literatur

Godula Kosack (2001): Die Mafa im Spiegel ihrer oralen Literatur, eine Monographie aus der Sicht von Frauen. Köln: Rüdiger Köppe-Verlag

Zur Autorin

Prof. Dr. Godula Kosack, 19 Jahre Lehrtätigkeit an der Fachhochschule Frankfurt, Fachbereich Sozialarbeit, Habilitation im Fachgebiet Völkerkunde an der Philipps-Universität Marburg. Seit 1981 Feldforschung bei den Mafa in Nordkamerun.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008