EIN MUSEUM ALS ENTWICKLUNGSAGENTUR: FROM DINOSAURS TO DEMOCRACY

Von Dieter Kramer

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Der Dinosaurier im Cultural and Museum Center Karonga. Foto: St. Müller

In Karonga, einer Stadt im eher wenig entwickelten Norden von Malawi, wurde 2004 das CMCK, das Cultural and Museum Center Karonga , eröffnet: Es handelt sich um ein Museum, das den Abguss eines veritablen, acht Meter langen Skeletts eines Malawisaurus, eines nahebei entdeckten Dinosauriers, beherbergt, daneben den 2,5 Millionen Jahre alten Kiefer des ebenfalls in der Gegend gefundenen Homo rudolfensis , des bislang ältesten Vertreters unserer eigenen Gattung Mensch, aber auch Erinnerungen an den Sklavenhandel und den britischen Kolonialismus. Dieses Museum, ins Leben gerufen von Friedemann Schrenk, einem in dieser Region forschenden Paläobiologen des Senckenberg-Museums Frankfurt am Main, soll für die Würdigung des Kultur- und Naturerbes dieser Region Afrikas werben und den Afrikanern in Malawi etwas von ihren sonst immer exportierten Natur- und Kulturschätzen zurückgeben und nahe bringen.

Aber es ist mehr: Nicht nur „fossiles Knochenwissen“ will es vermitteln, sondern Kulturzentrum, Begegnungsstätte und Ausbildungsort soll es werden, ein Ort für alle möglichen kulturellen Ereignisse wie Musik, Gesang, Tanz, Schauspiel, ferner ein Lern- und Informationszentrum, in dem die überkommene Kultur in Zusammenarbeit mit den lokalen Kräften eine Stätte der Würdigung findet. Es soll für kommunale Aktivitäten sensibilisieren, lokales Handwerk ermutigen, die Traditionen der Nahrungsgewinnung und Konservierung in Erinnerung halten und schließlich auch den Tourismus fördern. Im Rahmen eines Food for work -Programms wurden für 30 Familien in dem von etwa 200.000 Menschen bewohnten Distrikt Karonga Arbeitsplätze geschaffen. Lehrpfade und Touren zu den Stätten historischer Ereignisse, ein besucherfreundliches Grabungscamp, ein Evolutions- und Geschichtslehrpfad sind in Arbeit.

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Im Cultural and Museum Center Karonga. Foto: St. Müller

Schulklassen, die das Museum besuchen, sollen nicht nur etwas über die erd- und urgeschichtlichen Funde erfahren, sondern auch etwas über malawische Handwerkstraditionen. Was die Jungen einst in der traditionellen Seklusion (dem Aufenthalt im Busch vor der Initiation in die Erwachsenenwelt) lernten, wird ihnen jetzt im Museum beigebracht, könnte man zuspitzen. Der formulierte Bildungsauftrag ist eindrucksvoll. „Reviving and promoting the Ngonde Native Culture”, bezogen auf Lebensweise, Glauben, Sitten, Sprache und Tänze des kleinen Volksstamms der Ngonde-People im Norden Malawis. Die Bewahrung und Präsentation der Schätze des Natur- und Kulturerbes in Malawi gemäß den Bedürfnissen der Erziehung gehen Hand in Hand mit der Bewahrung jener Andachtsschreine an den heiligen Plätzen, wo die Ältesten der Gemeinschaft die Vorfahren um Hilfe im Alltagsleben von heute bitten: Das ganze Konzept des Museums stellt neuartige Verbindungen zwischen Tradition und Modernität her. Es ist ein Beitrag zur Wahrung kultureller Vielfalt, indirekt auch der Biodiversität im Rahmen der biologisch-kulturellen Besonderheit der Region in der jungen Demokratie Malawis. Mit diesem ganzen Programm wird das Museum seinem Motto „From Dinosaurs to Democracy“ gerecht.

Solch konkrete Verbindung von Museum und Entwicklung ist für Deutschland ungewöhnlich: Zwar ist für die naturwissenschaftlichen Museen Bildungsarbeit eine Selbstverständlichkeit, eigentlich auch für die Kulturmuseen, aber selten oder nie stellen sie direkt die Verbindung zu den sozialen und politischen Aktivitäten und Problemen der Gemeinschaft her. Weitgehend erschöpfen sie sich, ließe sich zugespitzt formulieren, in Erinnerungskultur nach dem unverbindlichen Motto „Zukunft braucht Herkunft“, und vornehmlich bieten sie Unterhaltungsangebote oder Events für prosperierende Schichten, deren Kindern sie ihre museumspädagogischen Programme widmen.

In anderen Teilen der Welt bringen sich Museen ausgeprägt in die lokale und regionale Entwicklung ein. Die kanadische „New Museology“ propagiert bereits seit Anfang der 1980er-Jahre den engen Schulterschluss von Museen und gesellschaftlicher Entwicklung. Die 1984 erarbeitete Declaration of Quebec wollte den Rückstand der Museumsarbeit bezüglich zeitgenössischer kultureller, sozialer und politischer Entwicklungen aufarbeiten. Ihre Autoren bezogen sich auf die Notwendigkeit einer Neubewertung aller menschlichen Anstrengungen („re-evaluation of all human endeavour“), ausgehend von den empfundenen globalen Krisenerscheinungen. Nachbarschafts-, Schul- und Regionalmuseen im US-amerikanischen Raum sind dafür Beispiele und Vorbilder. In der „Declaration of Quebec”, mit der die Grundprinzipien der “New Museology“ zusammengefasst werden, lesen wir als Charakteristika dieser Bewegung: „While conserving the material achievements of past civilizations and protecting the achievements characteristic of the aspirations and technology of today, the new museology – ecomuseology, community museology and all other forms of active museology – is primarily concerned with community development, reflecting the driving forces in social progress and associating them in its plans for the future.” Das Canadian Museum of Civilization in Ottawa orientiert sich an solchen Prinzipien, und in Malawi wie in vielen anderen Museen außerhalb Europas auch und gerade in den ärmeren Ländern finden wir Ähnliches (mehr zu diesem Thema vgl. Dieter Kramer: Alte Schätze und neue Weltsichten. Museen als Orientierungshilfe in der Globalisierung. Frankfurt am Main: Brandes und Apsel 2005)

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Cultural and Museum Center Karonga. Foto: St. Müller

Für Paul Voogt vom Koninklijk Institut voor de Tropen, KIT (Königliches Tropen-Institut in Amsterdam), ist das Thema Kultur und Entwicklung mit Selbstverständlichkeit auch eines für Museen (Paul Voogt: Kultur und Entwicklung – die Rolle der Museen. In: Museumskunde 66 2/2001 S. 37-47). Sein Programm der „Entkolonialisierung der Museen“ (als Teil einer „kulturellen Entkolonialisierung“) bedeutet, dass in den ehemaligen Kolonien regionale Kulturobjekte nicht mehr „als Symbole der Unterwerfung oder als Zeichen der Rückständigkeit“ zur Schau gestellt werden. Stattdessen werden zum Beispiel im indischen „New Museum Movement“ Museen wie in der "New Museology" zum „Instrument zur Entwicklung menschlicher Ressourcen“ und spielen eine aktive Rolle bei der Modernisierung.

Jean-Christophe Ammann, der frühere Direktor des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt am Main, hat Museen gern als „Think Tanks“ bezeichnet. Dieser hohe Anspruch wird von einem solchen Museum wie dem CMCK in Karonga/Malawi eingelöst. Friedemann Schrenk hat zusammen mit seinen malawischen Partnern, Oliver Mwenifumbo, Lawrence Mwamlima und Archibald Mwakasungula, der Idee, den Afrikanern für die bei ihnen gefundenen Zeugnisse von Evolution und Menschheitsgeschichte ein Museum zu bauen, Gestalt verliehen. Er gründete zu diesem Zweck die Uraha Foundation, benannt nach dem Fundort des ältesten Überrests der Gattung Mensch. Bei der Finanzierung mitgewirkt haben der Europäische Entwicklungsfond (European Development Fund EDF), die GTZ mit ihrem Programm für nachhaltiges kulturelles und regionales Lernen, ferner die malawische Presstrust–Stiftung. Der DED (Deutscher Entwicklungsdienst, German Development Service) fördert die „Communitiy Sensitization“ und Bildungsprogramme. Toyota Malawi Ltd. hat die Stationen einer „Historical Tour“ finanziert. Für die Ausstellungskonzeption und Umsetzung konnten Schrenk und sein Team freiwillige Helfer und Sachspenden von Firmen wie Festool, Würth, Eggers und Röhm/Degussa einwerben. Das Dach der ganzen Unternehmung ist die 1999 gegründete Uraha Foundation (Uraha Foundation Germany e.V., c/o Paläoanthropologie Senckenberg, z. Hd. Stephanie Müller, Senckenberganlage 25, 60325 Frankfurt am Main) (uraha@palaeo.net), unterstützt von Karonga Development Trust (KADET), von dem das Grundstück für das Museum gestiftet wurde. 450.000 Euro wurden bisher für das Projekt zusammengebracht. Die exzellente Webseite www.palaeo.net informiert über die Einzelheiten dieses interessanten und für deutsche Museen vorbildlichen Projektes.

Vorbildlich ist dieses Projekt der Zusammenarbeit gerade auch deswegen, weil es auf dem afrikanischen Kontinent jene Objekte, die von dort stammen, neu in Wert setzt. Warum gibt es so wenig Beispiele dieser Art? Wäre das nicht auch für ethnologische Museen eine gute Gelegenheit für interkulturellen Dialog?


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008