MEINE AUSSTELLUNGSFANTASIEN, MEINE UNRUHE

Von Claus Deimel

Meine Ausstellungsfantasien, meine Unruhe
"Verpackte Sammlungen" Museum für Völkerkunde zu Leipzig. Staatliche Ethnographische Sammlungen Sachsen. Foto: C. Treumer, 2005

Dr. Claus Deimel ist Direktor der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsenund damit auch Direktor des Grassi-Museums in Leipzig, das zurzeit umfassend renoviert wird.

Kann ich jedes Thema ausstellen, darf ich jedes Objekt und jede Objektgruppe zeigen, in welchem Kontext auch immer? Diese Frage ist sogleich und absolut mit „Ja!“ zu beantworten. Es müsste sogar heißen: Jedes Thema, wenn es nur irgendwie umgesetzt werden kann in Verständlichkeit oder auch in eine Art systematische Unverständlichkeit, muss ausgestellt werden. Das wäre dann, umgekehrt zur Sammlerlust, meine Ausstellungslust.

Es gibt, im Gegensatz zu früheren Ansichten, kein Diktum mehr, wie ich etwas auszustellen habe. Heute darf ich das Objekt sozusagen auf dem Kopf ausstellen, und die Beteiligung eines Künstlers mit seinen eigenen unkonventionellen Ideen ist bei der Aufstellung einer völkerkundlichen Ausstellung sogar erwünscht. Ich kann auch selbst alle möglichen, sogar irgendwie verquer erscheinenden Mittel anwenden, um das Objekt in den kontextuellen Mittelpunkt zu heben. Hat die Sammlung spezielle Charakteristika, zum Beispiel einen leicht erkennbaren Marktwert (Gold bevorzugt), so ist die Ausstellung mehr oder weniger ein Selbstgänger - ich setze voraus, dass gute Texte und ein Katalog vorhanden sind, eine aufregende Dekorierung angebracht ist. Dann erfreuen die gezeigten Objekte schon von selbst die Besucher. Je erkennbarer wertvoll, umso besser; eine große gestalterische Aufgabe ist dann nicht mehr nötig. Die Besucher werden an Display und anderem Drumherum alles geduldig hinnehmen. Sie haben ja schon so viel erlebt in den letzten Jahrzehnten, seit etwa mit dem Beginn der Siebzigerjahre eine neuartige Ausstellungskultur begann, welche die klassische Vitrinenschau früherer Zeiten bis auf Ausnahmen nach und nach zu ersetzen versuchte.

In diesem Zusammenhang fällt immer wieder auf, dass es kaum publizierte Ausstellungskritiken zu den zahlreichen ethnologischen Ausstellungen der letzten Jahre gibt. Ausstellungskritik wird (zumindest in deutschen Fachzeitschriften) kaum geübt. In der Regel werden Ausstellungen auch nicht wissenschaftlich besprochen (und das bei einer verhältnismäßig großen Anzahl von Ausstellungen und Zeitschriften) – sogar provokante und vehement künstlerische Ausstellungen nicht, über solchen scheint ein Schleier vermeintlich fachkundigen Schweigens oder gehässigen Raunens zu liegen.

Allein die Tagespresse berichtet. Nach meinen Erfahrungen zumeist enthusiastisch, bei völkerkundlichen Ausstellungen durchaus zufriedenstellend - wenn sie denn berichtet. Echte Flops gibt es kaum, sieht man einmal von gewissen Problemen mit ethnologischen Begriffen ab. Ich kann nach etlichen Jahren der Ausstellungspraxis in verschiedenen bundesrepublikanischen Städten sagen, dass die Presse sich meist bemüht hat, auch schwierige ethnologische Themen dem großen breiten Publikum darzustellen. Zumeist lag das aber an einer vorher gut überlegten und getexteten Pressearbeit unsererseits! Die Pressearbeit eines Museums ist - wenn ich das jetzt verallgemeinern darf - meistens gut organisiert, und das heißt, zur Presse bestehen gute Kontakte.

Warum sollte (ähnlich wie der Natur der Naturschutz oder dem Denkmal der Denkmalschutz) dem Museum ein Museumsschutz an die Seite gestellt werden, wie Eduard Beaucamp vor kurzem in der FAZ forderte? Müssen wir die Sammlungen vor wild gewordenen Bürgern schützen, vor schlechten Ausstellungsautoren oder gar vor uns selbst, dem museologischen Stammpersonal? Nein, so kann nicht argumentiert werden. Im Gegenteil: Wir müssen die Sammlungen davor schützen, nicht weiter erforscht und zur Ausstellung gebracht zu werden. Wir müssen das Museum davor schützen, nur Ausstellungshalle zu sein. Die Sammlungen müssen permanent beforscht werden, und aus dieser Forschungsintensität sollten sich, mit einem guten Marketing verbunden, gute Ausstellungen ergeben.

Ist die allgemeine Diskussion mit ihrem Lamento über den schlimmen Zeitgeist oder über die angeblich verstaubten Museen nicht ziemlich gleichförmig geworden, droht sie nicht selbst museal zu werden? Warum regt man sich darüber auf, dass es in Hamburg eine etwas angeberische, populistische Hexenausstellung gab (mit Dr. Rauke-Rau-Nunkular), die in die Mondriten einführte (ein Workshop nur für Frauen)? Was wäre besser gewesen? Wenn es sie nicht gegeben hätte?

Forschungsintensive Konzepte, wirklich nach vorne weisende Konzepte, wie sie Jacques Hainard, Musée d’ethnographie in Neuchâtel, mit „regards sur le sens commun“, „l’ordinaire et son ombre“ (eben kein Mondkitsch) beförderte, sind in der bundesdeutschen Museumsethnologie jedoch nicht diskutiert worden; was vielleicht mit mangelnder Frankophonie zusammenhängt, oder ist es etwa unsere Provinzialität? Also, regen wir uns stattdessen lieber über populistische Hexenausstellungen auf.

Der Schamane, die Hexe, die Kräuter- und Rauchwerkmischungskenner, die durch die Sammlungen schlendernden frei schaffenden Artisten und Kunsthandwerker, sie alle haben vereint unter der Berufsbezeichnung „Künstler“ nunmehr Stützpunkte in Völkerkundemuseen gefunden und machen hier Kunst und da Kunst (und jeder macht so ein bisschen an allem rum). Das ist Alltag aller besorgten Kustoden. Aber da hilft kein Weinen, sondern es helfen nur bessere Ideen!

Tief greifende Auseinandersetzungen mit dem Sujet „Objekt, Repräsentanz und Präsentation“, Kämpfe um Konzepte also, gibt es die? Stattdessen Scheindebatten um Marketingstrategien und Protestgeschrei über zuviel „Events“ am Museum. Wäre es nicht wunderbar, wenn es doch ein paar öffentliche Kultur-Ohrfeigen geben würde! Schlammkämpfe um das beste Museum, Prügeleien um die richtige Form! Kulturkampf! Direktorenschaukämpfe!

Worauf will ich denn nun hinaus? Ja, ich sag’s nun: In meinem eigenen Museum hat mich das Grauen im Angesicht leerer Ausstellungsräume gepackt. Ich stehe vor leeren Magazinen, vor eingepackten Sammlungen und sehe mich der Pflicht gegenüber, das alles in wenigen Jahren neu zu inszenieren und verantworten zu müssen. Und das in „so kurzer Zeit“, in so wenigen Monaten, dass ich sie längst nicht mehr zähle. Nicht weil ich keine Lust hätte, neue Ausstellungen zu machen, noch dazu mit sehr erfahrenen Mitarbeitern. Nein, das nicht. Das Grauen packt mich deshalb, weil ich zwar möchte - aber nicht kann. Weil mir die Zeit davonläuft, weil mir manches zu langsam erscheint, zu unbeweglich, und ich vieles nicht darf. Sie sehen, ich bin ungeduldig und damit völlig falsch auf meinem Posten als Museumsdirektor.

Ja, das wäre vielleicht etwas: die Objekte mit der Baustelle zu konfrontieren und die Besucher durch Mörtel stapfen, sie wohlmöglich noch in Baulöcher fallen (bevorzugt als virtuelles Erlebnis!) und sich ihre Ellenbogen realiter wund reiben zu lassen an den (aus Haushaltsgründen) nur „wischverputzten“ Wänden. Eine Ausstellung auf der Baustelle! So etwas fehlt doch! - Die N’kisi-Skulptur auf einem Zementsack positioniert. Das altperuanische Henkelgefäß im Steigbügel eines ausgestopften preußischen Rittmeisters befestigt (deshalb „Steigbügelgefäß“, ja, dann erst versteht man, wie so ein dämlicher Begriff entstehen konnte!) und in einem Mauerdurchbruch hin- und herschwenkend, durch einen unsichtbaren Mechanismus leicht in Schwung gehalten. Kostbarer chinesischer Hochzeitsschmuck läge zwischen liegen gelassenen Bauarbeiterhandschuhen, eine sicherlich Beuys’sche Konstruktion, die nicht unbedingt die spontane Zustimmung vieler Chinesen und Sinologen finden dürfte. Und weiter: Ein tibetischer Wanderaltar fände sich wieder auf einer beweglichen Plattform, die gemeinhin zum Transport von Ytongblöcken benutzt wird und die durch einen äußerst leisen Mechanismus über den gesamten Deckenbereich der Ausstellung hin- und hergeschwenkt wird. Da hätten Sie mit Sicherheit hierzulande einige gegen sich, wohingegen der Dalai-Lama wissend lächelnd würde.

Glauben Sie aber nicht, dass eine solche Ausstellung zur Schärfung der Wahrnehmung etwa leicht zu machen ist. Sie bräuchte genaue und sicherlich langfristige Vorbereitungen, Objektauswahl und konservatorische Maßnahmen natürlich.

Aber ach, vergessen Sie es! Für das alles bekomme ich nie eine Genehmigung und natürlich auch keine Unterstützung. Ausstellungen in einem Medium zu inszenieren, in dem Raum und Objekt Beziehungen eingehen (so wie es die Objekte in ihren ursprünglichen Zusammenhängen ja immer getan haben, hier allerdings etwas anders), solche abgefahrenen Ideen können Sie hierzulande nicht so einfach umsetzen, da sind zumindest die Bauordnungen davor! Der Raum muss erst ordnungsgemäß abgenommen worden sein. Man könnte allerdings im Nachhinein wieder eine Baustelle in dem eben fertig gestellten Raum erstellen.

Im Medium selbst die Dinge, Objekte, Sammlungen, Kataloge, Handzettel der Wissenschaftler et cetera erfahrbar zu machen, das wäre etwas! Und alles dürfte nicht gewollt wirken, nicht aufgesetzt, sondern immer höchst einfach, jedoch sehr genau ausgearbeitet. An so einer einfachen Ausstellung müssten wir schon einige Zeit, einige Monate und mehr, arbeiten, damit sie richtig gut wird.

Warum ist das alles aber so schwer, und warum muss immer alles so geschleckt sein in unseren Ausstellungen? Sehen Sie sich das an: die in Kartons verpackten Sammlungen des Museums für Völkerkunde zu Leipzig. So sieht es aus, wenn hunderttausende Objekte eingepackt sind. Und jetzt stellen Sie sich vor, dass wir hier eine Ausstellung aufbauen. Zum Beispiel Guckfenster in die Hasenkamp-Kartons schneiden oder aufklappbare Borde, auch das ein oder andere virtuelle Gequäke ließe sich hier im Pappkarton unterbringen und durch bloßes Öffnen und Schließen der Türchen an- und ausstellen. Wir würden also durch die Gänge der aufgehäuften Sammlungen der Jahrhunderte gehen und würden am Ende in einen ebenfalls aus Karton gebauten Hör-Raum geleitet, in dem Ausschnitte von informellen Gesprächen der letzten ethnologischen Fachtagung in gedämpfter Form zu hören sind. Dieser Raum darf aber erst nach fünf Minuten wieder verlassen werden! - Natürlich wäre eine solche Selbsterfahrung immer optional.

Im Übrigen müsste eine solche Ausstellung über den Wolken stattfinden! Eine schöne Location, aber aus Sicherheitsgründen und konservatorischen Gründen und aus Gründen des vermutlich sonst noch bevorstehenden Ärgers kaum machbar. Es sei denn, ich inszeniere das Ganze als künstliche Pappkarton-Ausstellung in gesäuberten Räumen und hätte dann wieder die alte doppelt künstliche Situation, die aber - das sei hier betont – die große Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen sicherlich nicht als langweilig empfinden würde. Man will ja die künstliche Aufbereitung der Wirklichkeit und nicht diese selbst; das gilt für ethnographische Ausstellungen genauso wie für andere.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008