KLIMA(KULTUR)WANDEL

Herausforderung für die Ethnologie?

Von Lioba Rossbach de Olmos

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Klima-Bündnis, indigene Teilnehmer an der Internationalen Klimakonferenz, Juni 2001 in Bonn. Foto: Klima-Bündnis e.V.

Der Ethnologie steht über kurz oder lang eine neue Variante des Kulturwandels ins Haus, und es ist keineswegs klar, wie sie damit verfahren sollte. Es geht um den Kulturwandel, der sich auch bei indigenen Völkern, dem noch immer zentralen Forschungsgegenstand der Völkerkunde, infolge der weltweiten Klimaerwärmung einstellen wird. Hierfür tragen die Industrienationen die Verantwortung. Mit ihrem übermäßigen Verbrauch von fossilen Energien setzen sie große Mengen Kohlendioxid und andere Treibhausgase frei und heizen damit die Erdatmosphäre an. Die Energieträger Kohle, Erdgas und in steigendem Maße Erdöl stammen im übrigen nicht selten aus Regionen, in denen indigene Völker leben, wie die Fälle der Ogoni in Nigeria, der U’wa in Kolumbien oder der Quichua-Gemeinde Sarayacu in Ecuador eindrücklich zeigen. Obwohl indigene Völker selbst kaum fossile Energien nutzen und somit auch nicht zur Klimaerwärmung beitragen, werden sie doch zu den Hauptleidtragenden gehören.

Laut Klimaforschern können einmalige Ereignisse auftreten, etwa Überschwemmungen, oder dauerhafte Folgen, wie Wasserknappheit. Die Klimaerwärmung kann sich in dramatischen Wetterphänomenen äußern, wie einer Zunahme von Orkanen, oder graduelle Änderungen auslösen, wie eine Verschiebung der Jahreszeiten. Nicht immer sind die Phänomene eindeutig der Klimaerwärmung zuzuordnen, wie beim vermehrten Auftreten bestimmter Tropenkrankheiten. Gelegentlich werden unbekannte politische Phänomene die Folge sein, wie das „Klimaasyl“, um das der Inselstaat Tuvalu in Neuseeland und Australien für seine Bewohner nachsucht, nachdem einige der Inseln infolge des steigenden Meeresspiegels im pazifischen Ozean zu versinken drohen.

Auch indigene Gemeinschaften werden den Folgen der Klimaerwärmung ausgesetzt sein, da nicht wenige in dafür besonders exponierten Ökosystemen leben. Zu ihnen zählen schon heute die Inuit. Durch den vergleichsweise schnellen Anstieg der Durchschnittstemperatur in der Arktis kommt es zum Auftauen des Permafrostes und damit zum Verschlammen des Bodens. Jagd, Fischfang, aber auch gewöhnliche Besuche bei benachbarten Siedlungen können dadurch zu einem gefährlichen Wagnis werden. Für die Inuit erwächst aus dem Klimawandel ein Überlebensproblem, und die „Inuit Cirumpolar Conference“ prüft gerade, ob dieser den Tatbestand einer Menschenrechtsverletzung erfüllt, und den sie der zuständigen Kommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) vortragen will. Daneben finden sich weniger spektakuläre, wenngleich folgenreiche Fälle. Durch das Versiegen der immer schon spärlichen Wasserquellen werden die alten Karawanenwege für die Nomaden der Nordwestsahara unpassierbar. Bei den Kuna-Indianern auf den San Blas-Inseln in Panama wird eine Zunahme von Zyklonen, heftigere Regenfälle, eine Verschiebung von Trocken- und Regenzeit sowie ein Anstieg lebensbedrohlicher Malaria-Fälle beobachtet.

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Klima-Bündnis, Pressekonferenz indigener TeilnehmerInnen bei der Klimakonferenz 2001 in Bonn. Foto: Klima-Bündnis e.V.

Die Ethnologie wird dabei zu bedenken haben, dass viele Klimawandelfolgen neben materiellen auch im engeren Sinne kulturelle Auswirkungen hervorbringen können. Wenn durch untypische Regenfälle, infolge der Verschiebung der Jahreszeiten, der Boden für die Aussaat zu ist, oder wenn der Regen nach der Aussaat ausbleibt, kann sich dies nachhaltig auf den Feldbau und seine Erträge auswirken. Zugleich aber ist in vielen bäuerlichen Kulturen der landwirtschaftliche Zyklus von Riten, Zeremonien oder Festlichkeiten durchzogen, so dass eine Verschiebung der Jahreszeiten zugleich auch den Festkalender durcheinander bringen kann. Man mag dies im Rahmen des Bekannten verorten. Die Völkerkunde wäre nicht zum ersten Mal vor eine Situation gestellt, die sie zur Rettung untergehender Völker anhielte oder sie Zeugin von Anpassung und Kulturwandel machte. Sie hat nicht umsonst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine 'Rettungsethnologie' hervorgebracht, die die Kultur untergehender Völker dokumentieren wollte, sowie alsdann eine Akkulturationsethnologie mit einem ganzen Fundus an Einzelstudien. Sie mag aus den Erfahrungen dieser Zeit die Sicherheit schöpfen, dass es, wenn auch nicht allen, so doch Teilen der indigenen Gemeinschaften gelingen wird, sich physisch und kulturell auf den Klimawandel einzustellen, selbst wenn es um den Preis der Flucht ist, die sie zu Klimaasylanten machte. Wer weiss, ob der Erfindungsreichtum und die Kreativität der Betroffenen nicht ein weiteres Mal Anlass zu Verblüffung geben wird.

Allerdings wird die Ethnologie die durch den Klimawandel induzierten Anpassungs- und Migrationsprozesse nicht auf bekannte Muster zurückführen können. Das Problem zwingt zu einer neuen Bestimmung der Bedingungen und Einordnung ihres Entstehens. Weder Kolonialismus noch Postkolonialismus oder vergleichbare gesellschaftliche Entwicklungen bieten hier Erklärungen, sondern als Protagonist wird das Klima selbst begriffen, das auf eine gigantische menschliche Einflussnahme reagiert. Zwar hat der Klimawandel letztlich in der Industrialisierung und im Kapitalismus seinen Entstehungszusammenhang, lässt sich in seinen Folgen durch naturwissenschaftliche Klimabeobachtungen oder Computer-Simulationenaber nur sehr vermittelt daraus ableiten. Dies aber bedeutet, dass sich die Ethnologie mit der Klimaforschung konfrontiert sieht, deren naturwissenschaftliche und objektivistische Wissenschaftstradition das genaue Gegenteil der Ethnologie mit ihrem Skeptizismus und Relativismus repräsentiert. Die Klimaforschung ist vor allem im Großen ganz groß. Klimaberechnungen mit globalen Treibhausgaseinträgen in eine erdumspannende Erdatmosphäre, den Globus überziehende Ströme von Luftmassen und Meeresströmungen, dies ist der Stoff, aus dem die Klimaforschung ist.

So ist es auch kein Zufall, dass die heutige Klimaforschung indigene Völker so gut wie überhaupt nicht im Blick hat. Vordenker, die im Stil der Ethnobiologen die Bedeutung des indigenen Wissens für den Erhalt der biologischen Vielfalt herausstellten, fehlen in der Klimadebatte, und die Beachtung von indigenen Wetterprognosesystemen steckt noch in den Kinderschuhen. Dennoch könnten solche traditionellen Wissenssysteme zum Beispiel bei der Vorhersage des Wetters, wie es von Bauern im indischen Bundesstaat Guyarat, auf Samoa oder in Australien berichtet wird, oder Wetterbeobachtungen, die jetzt bereits von Mitgliedern indigener Völkern in der Arktis aufgezeichnet werden, Registrierungen von Buschbränden durch Buschleute in Botswana oder auch traditionelle Prävention von Überschwemmungen in Indien in diesem Zusammenhang neue Bedeutung erlangen.

Ethnologen werden sich aber noch vor ein anderes Problem gestellt sehen, bei dem ihre Mitwirkung gefragt ist. Anders als die politischen Wortführer indigener Völker, die an den internationalen Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen teilnehmen und sich dort mit dem szientistischen Diskurs der Klimaforschung vertraut machen mussten, dürften sich andere Mitglieder ihrer Gemeinschaften vom Diskurs der Klimaforscher etwa über Naturereignisse durch Treibhausgaskonzentrationen, makroklimatische Erklärungen und mikroklimatische Klimaunwägbarkeit wenig beeindrucken lassen. Priester und Schamanen und diejenigen, die auf sie hören, werden auf den traditionellen Diskurs rekurrieren. Naturkatastrophen werden dabei unter Umständen als übernatürliche Strafe für das ungehörige Verhalten der Menschen interpretiert. Auf Tuvalu, einer dem Untergang geweihten Insel, deren Bewohner durch die Aufklärungsarbeit der Regierung schon seit geraumer Zeit mit szientistischen Erklärungsmustern vertraut gemacht wurden, beharrten die Älteren dennoch darauf, dass es die Götter seien, die sie strafen wollen, weil sich die jüngere Generation nicht mehr an die Traditionen hält. Auch die „nele“, die Priester der Kuna, sehen es ähnlich und erklären die Zunahme von Unwettern und Wetteranomalien mit dem Verfall der religiösen Traditionen, die vor allem die Jugendlichen zu verantworten hätten. Es ist alles andere als einfach, zwischen den religionsethnographischen und den klimatologischen Erklärungsmustern zu vermitteln und in jedem Fall ein Fehler, auf indigener Seite Unwissen auszumachen, das es durch Erziehung und Aufklärung zu beseitigen gilt. Politische Indigenenvertreter müssen den klimatologischen Diskurs zumindest zum Teil übernehmen, wenn sie bei den (internationalen) Klimaschutzverhandlungen auf ihre Situation aufmerksam machen wollen. Innerhalb ihrer Gemeinschaften könnten sie damit zugleich zum diskursiven Gegenpol der religiösen Führer werden und Beteiligte an einem Disput, bei dem es um moderne Wissenschaft versus traditionelle Führerschaft gehen könnte. Es ist vor allem die Völkerkunde, von der man erwarten darf, dass sie sich diesem Problem in adäquater Weise nähert und nicht von einem klimatologischen Blickwinkel aus den indigenen Standpunkt als Aberglauben abtut, sondern von einem indigenen Standpunkt aus die Klimaforschung hinterfragt.

Weiterführende Literatur:

Commonwealth Bureau of Meteorology.
Indigenous Weather Knowledge.
Watt-Cloutier, Sheila
2003 Speech Notes for Sheila Watt-Cloutier, Chair, Inuit Circumpolar Conference. Conference of Parties to the United Nations Framework Convention on Climate Change. Milan, Italy, December 10, 2003.

Zur Autorin:

Dr. Lioba Rossbach de Olmos, Klima-Bündnis der europäischen Städte mit indigenen Völkern der Regenwälder, Teilnahme an mehreren Konferenzen der Klimarahmenkonvention, Lehraufträge an der Universität Marburg, Feldforschung bei Afroamerikanern im Chocó (Kolumbien), zahlreiche Aufenthalte in Ländern Lateinamerikas


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008