MASSENWAREN IN NIGERIA

Von Plastikwasserkesseln, Himmelbetten und Töpfen

Von Editha Platte

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Gefäße für rituelle Waschungen. Foto: Editha Platte

Die immer schneller voranschreitenden, weltweiten wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Verflechtungen finden ihren Ausdruck insbesondere in der globalen Verwendung von industriell gefertigten Waren. Die Attraktivität der Massenwaren liegt nicht nur im meist niedrigen Marktwert, sondern ist auch in der einfachen Handhabung und Haltbarkeit begründet. Hinzu kommt, dass diese Objekte – auch wenn sie in außereuropäischen Ländern produziert wurden – meist mit der westlichen Welt in Verbindung gebracht werden. Sie gelten als materialisierte Stellvertreter eines modernen Lebensstils und dies häufig ohne die ideologischen Bezüge zum Herkunftsland der Güter.

Vor diesem Hintergrund lassen sich insbesondere Fragen nach kulturellen Aneignungsprozessen in der muslimischen Kanuri-Gesellschaft Nordnigerias stellen, wo während aufwendiger Hochzeitstransaktionen Massenwaren als Teil der Aussteuer und des Brautguts in den Räumen der Frauen akkumuliert wird.

Die Integration dieser Objekte hat auf den ersten Blick zu einer kulturellen Vereinheitlichung in einer Region geführt, in der vor der Einführung industriell gefertigter Waren regionale und ethnische Unterschiede auch an der differenzierten Ausgestaltung der materiellen Kultur zu erkennen waren. Bei genauerer Betrachtung des Kulturwandels läßt sich feststellen, dass die europäischen Objekte nicht einfach unmodifiziert übernommen werden. Statt dessen wird ihre Form, Funktion und Bedeutung verändert und den sich wandelnden Bedürfnissen und Lebensstilen angepasst. Im Extremfall werden die Waren als Bedrohung der eigenen kulturellen Werte abgelehnt und zerstört, in anderen Zusammenhängen werden sie in soziales Prestige umgewandelt, in die Sphäre des Sakralen erhoben, gänzlich aus der Warenwirtschaft herausgenommen oder nach ihrer Demontage einem neuen Verwendungszweck zugeführt.

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Regal mit dekorierten Töpfen. Foto: Editha Platte

Die Auseinandersetzung unterschiedlicher Akteure mit einer – zunächst zumindest – westlich dominierten Moderne, führt demnach in vielen Fällen zu einer Vermischung von Konsummustern, Handhabungen, kulturellen Bedeutungen und formalen Ausgestaltungen. Das dabei entstandene umgearbeitete Neue läßt nur zum Teil eine „Spurensicherung“ hinsichtlich der Richtung oder der Umstände der Transformationen zu. So ist z. B. der im gesamten Westafrika für die rituellen Waschungen der Muslime in Gebrauch befindliche „Plastikteekessel“ ob seiner äußeren Form auf einen Teekessel zurückzuführen, beim sogenannten „Himmelbett“ werden derlei Bezüge schwieriger. Hier entziehen sich Formen und Materialien dem bekannten Bereich des europäischen Betrachters. Gebrauchsgegenstände wie das Himmelbett werden zum Prestigeobjekt. Ihre ursprüngliche Funktion – als Schlafstätte – wird gänzlich ignoriert und in die eines Regals, Tresors und Ausstellungsstücks überführt. Diese funktionale Transformation macht sich auch in den verwendeten Materialen bemerkbar. Ehemals aus Metall gefertigt, war die Option des „darin Schlafens“ noch gegeben. Die neuerlichen Vorlieben für „goldbemaltes Plastik auf Blechdosen montiert“ lassen die Befriedigung dieses Bedürfnisses nicht mehr zu.

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Topfdekoration. Foto: Editha Platte

Ähnlich verhält es sich mit einem weiteren, nach europäischem Verständnis als Kochtopf einzuordnendem Gegenstand. Wird ein solches Behältnis nicht mehr als Kochtopf verwendet, sondern als Ausstellungsstück und Serviergefäß in den Haushalt integriert, so ist auch hier eine Transformation in den funktionalen Bezügen festzustellen. Bei einem einmaligen und eindeutigen Wechsel bleibt es allerdings häufig nicht. Die Objekte werden „promiskuitiv“ gehandhabt. In wechselnden Zusammenhängen werden ihnen unterschiedliche Bedeutungen zugewiesen. Aus der Welt der Waren bewegen sie sich in die der Gaben, verharren dort oder werden in neue Bezüge überführt. Somit läßt sich auch bei den scheinbar so global einsetzbaren Massenwaren die Frage nach Übernahmen und Modernisierungstendenzen mit ihren scheinbar fest umrissenen Dominanzstrukturen nicht immer eindeutig beantworten.


Weiterführende Literatur:

Platte, Editha (2001b): Vom Umgang mit Massenwaren. Aneignungsprozesse in nordnigerianischen Frauenräumen. In: Karl-Heinz Kohl und Nicolaus Schafhausen, New Heimat. 124-133, New York: Lukas & Sternberg

Platte, Editha: Towards an African Modernity – Plastic pots and enamel ware in Northern Nigerian women's rooms. In: Paideuma 50 (im Druck)

Platte, Editha : Zur Repräsentation sozialer Beziehungen in den ”Dingen des Raums”. In: Sammelband zur Konferenz ”Dinge als Zeichen”, Frankfurt a.M. 2003 (im Druck)

Zur Autorin:

Dr. Editha Platte, Feldforschungen in Burkina Faso, Mitarbeiterin am Frobenius-Institut, Frankfurt am Main.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008