MENSCH UND TIER IM NATIONALPARK

Wie die Bewohner eines tansanischen Nationalparks trotz einschränkender Vorschriften überleben

Von Nina Weich

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Schranke, die den Beginn des Parks kennzeichnet. Hier werden von den Touristen die täglich fälligen Parkgebühren eingenommen. Foto: N. Weich

„Eben hören wir, dass wir einhundert Millionen bekommen haben und übermorgen heißt es schon wieder: es gibt kein Geld mehr!“, sagt Hassan zu mir und drückt damit die Frustration aus, die viele Dorfbewohner angesichts der Diskrepanz zwischen der Höhe der Projekt-Gelder und dem wenigen, das bei ihnen ankommt, empfinden. Eigentlich klingt es doch fantastisch, dass so viele tansanische Schilling (umgerechnet ca. 58.700 Euro) in den Mafia Island Marine Park fließen, in dem sie wohnen.

Der Mafia Island Marine Park entstand 1995 nach mehreren Jahrzehnten der Forschung und Planung als Gemeinschaftsarbeit der Regierung Tansanias und britischen und norwegischen Nichtregierungsorganisationen (NROs), um ein einzigartiges maritimes Ökosystem erhalten zu können. Die Gründung des Parks bezog zudem die neuesten Umweltschutz-Konzepte mit ein: Die Bewohner von elf Dörfern, welche innerhalb des 822 km2 großen Parks wohnen, wurden nicht umgesiedelt, sondern in die Pläne des Nationalparks mit eingebunden. Dieser gemeinschaftsorientierte Ansatz steht im Gegensatz zu dem lange angewendeten Umweltschutz-Konzept der „fortress conservation“, bei welchem die Menschen aus den Naturschutzgebieten gewiesen werden. In vielen heutigen Nationalparks wird letzteres durchaus noch praktiziert, da die ansässigen Menschen als Hauptverursacher der Dezimierung von Artenvielfalt gesehen werden. Der Mafia Island Marine Park (MIMP) dagegen sollte zeigen, dass Umweltschutz mit Beteiligung der Ortsansässigen durchaus funktionieren kann.

Mafia Island ist eine Insel im Indischen Ozean vor der tansanischen Küste in Ostafrika. Es handelt sich um einen des ärmsten und bisher vernachlässigten Distrikte des Landes. Bis 2006 gab es nur eine Sekundarschule auf der ganzen Insel, die von etwa 48.000 Menschen bewohnt wird und Strom gibt es bis heute in nur zwei südlichen Dörfern. Die Bewohner der Insel leben vor allem von der Landwirtschaft und dem Fischfang, viele betreiben zusätzlich Kleinhandel (etwa den Verkauf von Snacks), um zu überleben.

Um die Bevölkerung für das Anliegen des Nationalparks zu gewinnen, wurden zahlreiche Maßnahmen zur Umweltbildung gestartet. Gleichzeitig spielen bis heute Projekte und Workshops eine wichtige Rolle, die den Parkbewohnern nachhaltige Wirtschaftsmethoden näher bringen sollen, zum Beispiel Bienenzucht. Der Park erhält neben Regierungsgeldern auch Zuwendungen durch den WWF und mehrere weitere Nichtregierungsorganisationen. Aber auch wenn die Summen dieser Zuwendungen in den Ohren der Bewohner gigantisch hoch klingen, so scheinen sie doch nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“ zu sein. Viele der Dorfbewohner innerhalb der Parkgrenzen, mit denen ich während meiner mehrmonatigen Feldforschung sprach, fühlen sich bei der Verteilung der Gelder benachteiligt.

Vor der Einrichtung des Parks gab es mehrere große Versammlungen zwischen den Planern und der Bevölkerung. Das Konzept wurde vorgestellt und dabei hervorgehoben, dass dieser Park auch zum Vorteil seiner zukünftigen Bewohner sein würde. Dabei stellt sich für alle Nationalparks weltweit, die nach den neuen, auf der Beteiligung der Gemeinschaft basierenden Konzepten errichtet wurden, folgende Frage: Ist der Park vorrangig für den Erhalt der Artenvielfalt da oder soll er auch die wirtschaftliche Situation seiner Bewohner verbessern? Der Verwaltungsplan des MIMP gibt darauf eine klare Antwort. An erster Stelle steht der Erhalt und Schutz der Artenvielfalt des Parks und an der Erreichung dieses Ziels sollen auch die Bewohner mitarbeiten. Dafür bekommen sie dann Vorrang bei der Nutzung seiner Ressourcen. Was so klingt, als ob es die Bewohner zufrieden stellen könnte, ruft dennoch Ärger bei vielen Dorfbewohnern hervor. Sie würden bei vielen ihrer Tätigkeiten zum Erwerb des Lebensunterhalts von den Regelungen des Parks beschnitten, sagen sie. Den Verwaltungsplan des Parks, der nach Aussage der Parkverwaltung mit Parkbewohnern zusammen entworfen wurde, kennen die meisten Parkbewohner nicht. Dieser Plan wurde erst 1998 auf Kiswahili übersetzt, die einzige Sprache, die die meisten der ca. 18.000 Parkbewohner sprechen. Jedes Dorf hätte je ein Exemplar des Plans bekommen, so die Parkverwaltung. Doch selbst die Mehrzahl der Mitglieder der Dorfregierung hat den Plan noch nie zu Gesicht bekommen.

Mit fortschreitendem Bestehen des MIMP nahm die Zahl der gemeinsamen Treffen, welche die Mitarbeit der Dorfbewohner an den Zielen des MIMP fördern soll, zwischen Dorfbewohnern und Angestellten der Parkverwaltung ab. Diese Treffen werden von den Parkbewohnern aber ausdrücklich gewünscht, denn nur dort können sie gemeinsam über den Park diskutieren. Die Parkverwaltung aber ist mit weniger als zehn Angestellten und zusätzlich drei Rangern, die das 822 km2 große Gebiet patrouillieren sollen, knapp an Personal. So verweist sie auf ihre Anwesenheit bei diversen Zusammenkünften der Dorfregierung, welche auch offen sind für alle Dorbewohner.

Ein solches Treffen findet eines Vormittages in Utende, einem Dorf im äußersten Südosten der Insel, statt. Nur wenige Dorfbewohner sind anwesend – etwa 30 von insgesamt fast 4000. Ich erkundige mich, weshalb nicht mehr gekommen sind, und erfahre von den anwesenden Dorfbewohnern, dass viele es sich nicht erlauben können, heute nicht zu fischen oder auf ihr Feld zu gehen oder den Haushalt allein zu lassen. Während der Zusammenkunft, bei der ein Angestellter der Parkverwaltung anwesend ist und die von dem Chairman des Dorfes moderiert wird, werden den Dorfbewohnern Summen genannt, die dem Dorf von diversen Organisationen zur Verfügung gestellt werden. Zum Teil werden die - gemessen an den Verdienstmöglichkeiten im Dorf – sehr hohen Summen von den Anwesenden murmelnd wiederholt. Jetzt verstehe ich, woher Hassan die Zahlen hat, die er mir nannte. Auch der Parkangestellte nennt hohe Summen, die die Parkverwaltung für bestimmte Projekte verwendet hat. Er kündigt verschiedene neue Tätigkeiten an und erklärt die Wahl eines Komitees, welches im Dorf erneut gebildet werden soll, um die Parkverwaltung in ihrer Arbeit zu unterstützen. Die Anwesenden haben dazu Fragen, die der Angestellte auch beantwortet. Aber nach nur kurzer Diskussion werden die Dörfler darauf hingewiesen, dass die Zeit des Parkangestellten begrenzt sei und die Sitzung beendet werden müsse. Im alltäglichen Leben der Dorfbewohner dagegen werden wichtige Dinge in ausgedehnten Diskussionen solange besprochen bis ein Konsens gefunden wird. Hier in dieser Zusammenkunft gibt es keine Möglichkeit dazu. Die Informationen, die die Parkbewohner erhalten, geben sie an die anderen Dorfbewohner weiter. Bei dieser mündlichen Weitergabe wird besonders gerne über die Summen gesprochen, die das Projekt erhält und oft bleibt offen, wer diese Summen denn nun eigentlich bekommt.

Nicht selten weckt das Eifersüchteleien. Einzelne Dorfviertel werden als bevorzugt angesehen, ältere Menschen fühlen sich von den Projekten ausgeklammert, die Jugend hat das Gefühl, dass vor allem sie kaum Kleinkredite oder andere Hilfsmaßnahmen bekommt, und die Bewohner der kleinen umliegenden Inseln, die noch zum Park gehören, fühlen sich besonders als Fischer benachteiligt. Hinter vorgehaltener Hand sprechen alle von Korruption, ein Verdacht, der durch den Besuch eines Revisors einer norwegischen NRO sogar bestätigt wurde. Häufig scheint es, als ob eine mangelnde Transparenz über die Verwendung der Gelder die Ressentiments innerhalb des Parks noch verstärkt.

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Eine Zeremonie auf Mafia, bei der ein Projekt des WWF zur Vergabe von Kleinkrediten feierlich eröffnet wird. Foto: N. Weich

Seit die Parkbewohner 1994 die Errichtung des Parks euphorisch begrüßten, ist viel Zeit vergangen und auch einiges passiert. Auf Juani, einer der kleinen innerhalb des Parks liegenden Inseln, machen die Fischer ihrer Verärgerung offen Luft. Sie kritisieren vor allem die Unaufrichtigkeit bei der Errichtung des Parks. Bei der Festlegung der Parkzonen – es gibt zum Beispiel Zonen, die als so genannte Herzzonen auch von Einheimischen nicht betreten werden dürfen – arbeiteten jene britischen Forscher, die die biologische Grundlagenforschung zur Errichtung des Parks lieferten, mit den Fischern zusammen. Sie baten die Einheimischen, ihnen bei ihrer Arbeit zu helfen, da der Park ja auch ihnen nutzen würde. Sie ließen sich fischreiche Gebiete und Brutplätze der Fische zeigen. Genau diese Gebiete wurden dann allerdings zu den Herzzonen des Parks erklärt, die auch für einheimische Fischer nun Sperrzone sind. Für die Fischer dieser Inseln, deren Lebensgrundlage allein die Fischerei ist, bedeutet dies herbe Einbußen.

Da die Parkverwaltung um dieses Problem weiß, kontrollieren die Ranger dort verstärkt, um das illegale Fischen in den einst traditionellen Fanggründen zu unterbinden. Illegale Fischer, die vom Festland oder dem nahe gelegenen Sansibar mit modernen schnellen Motorbooten herüberkommen sind dagegen für die Ranger selten zu fassen. Da diese fremden Fischer auch den Großteil an Fisch fangen, wächst die Verbitterung auf Seiten der einheimischen Fischer. All dies sorgt für eine negative Stimmung dem Park gegenüber, auch wenn über das Parkprojekt (vor allem unterstützt durch den WWF) einige Programme für die Fischer aufgelegt wurden, etwa der Austausch von altem gegen neues Fischereigerät oder auch Kredite für neue Außenbordmotoren für einzelne Fischergruppen.

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Bei einer kleinen Feier übergeben Park- und WWF-Angestellte einen Außenbordmotor an eine kleine Gruppe von Fischern. Foto: N. Weich

Aber die Mittel der Parkverwaltung sind tatsächlich begrenzt. Mitarbeiter des WWF merken zudem an, dass die Bewohner des MIMP die von der Parkverwaltung und dem WWF angebotenen Workshops nicht optimal nutzen und diese selten als Möglichkeit nutzen, ihr Leben wirklich zu verändern. Aber Teresia zum Beispiel wünscht sich keinen Batikkurs, sondern mehr Bildungsmöglichkeiten für ihre Kinder und auch für sich selbst. Sie versteht nicht, weshalb sie vor mehreren Jahren einen Workshop gemacht hat, der sie und ein paar andere junge Leute des Dorfes als Fremdenführer ausbilden sollte, wenn nun keiner der reichen Touristen, die jährlich den Park besuchen, ins Dorf kommen. Nach Berichten der Einheimischen werden die Touristen sogar von den Hoteliers davon abgehalten, sich das Dorf, welches das Luxushotel umgibt, näher anzusehen. Wenn sie in den hoteleigenen Jeeps durch das Dorf fahren, werfen sie höchstens ein paar neugierige Blicke auf die Bewohner. So bringt der Tourismus für die Dörfler nicht die versprochenen Vorteile: Die Lebensmittel für die Touristen werden zum großen Teil aus Dar es Salaam herangeschifft, die Angestellten stammen zu über 90 % vom Festland, denn die Bewohner Mafias verfügen für diese Art Arbeit nicht über die nötige Ausbildung. Dies wird vermutlich auch noch lange so bleiben, wenn ihre eigentlichen Bedürfnisse nicht von der Parkverwaltung erhört werden.

Zusammenkünfte, die Raum und Zeit für längere Diskussionen zwischen Dorfbewohnern und Parkangestellten lassen, könnten hier einen wichtigen Anfang bilden. Noch sind alle Seiten kooperationsbereit, die Hoffnung auf eine Verbesserung der Verhältnisse noch nicht aufgegeben. Kommunikation scheint der Schlüssel zu sein, bestehende Missverständnisse aus dem Weg zu räumen und allen den Enthusiasmus zurück zu geben, der diesen Park vor nun mehr als einem Jahrzehnt ins Leben rief.

Weiterführende Literatur

Brockington, Dan (2002): Fortress Conservation – The Preservation of the Mkomazi Game Reserve, Tanzania. Oxford: James Currey
Caplan, Pat (1997): African Voices, African Lives. Personal narratives from a Swahili village. London: Routledge
Hulme, David & Marshall Murphree (Hg.) (2001): African Wildlife & Livelihoods – The Promise and Performance of Community Conservation. Oxford: James Currey Ltd
Walley, Christine J. (2004): Rough Waters. Nature and Development in an East African Marine Park. Princeton: Princeton University Press

Zur Autorin

Seit 2004 promoviert sie am Institut für Historische Ethnologie über Artenschutzprojekte in Afrika aus dem Blickwinkel menschlicher Konzepte und Bedürfnisse; Feldforschung von Juli bis Dezember 2006 auf Mafia Island/Tansania.

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Afrika, Tansania. Karte: E. S. Schnürer, Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main






Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008