NACH DEM TSUNAMI IN SÜDOSTASIEN

Wie sieht die konkrete Umsetzung eines längerfristigen Hilfsprojektes aus?

Von Debora Tydecks

Viele von uns erinnern sich noch an Weihnachten 2004, als die Bilder von zerstörten Küstengebieten in Südostasien um die Welt gingen: ein verheerender Tsunami forderte hunderttausende Menschenleben und vernichtete weite Küstengebiete. Auch wegen der vielen Opfer unter den Touristen aus aller Welt, die zu jener Zeit in Thailand Urlaub machten, ist dieses Ereignis nicht nur in Südostasien bis heute im Gedächtnis geblieben. In der Provinz Aceh, Indonesien, gab es die meisten Toten und dort wurden ganze Städte fast vollständig dem Erdboden gleich gemacht. Viele Einheimische hatten ein ähnliches Schicksal wie Bapak Idris, der mit seinen 70 Jahren das Ereignis zwar selbst überlebte, aber dabei zwei seiner Töchter verlor. Er erzählt, dass im ersten Jahr nach dem Tsunami in Aceh die kollektive Trauer der Menschen so groß war, dass kaum jemand an sich selbst, an sein eigenes Schicksal dachte. Erst später setzte die ganz individuelle Trauer um die eigenen Angehörigen ein.

Die folgenden Jahre aber brachten nach und nach auch positive Wendungen im sozialen, politischen und wirtschaftlichen Gefüge der Region. Die gesellschaftlichen Erschütterungen nach der Katastrophe, der Wunsch nach einem Neuanfang und die Hilfsbereitschaft von außen waren so groß, dass sich nach fast 30 Jahren erbittertem Bürgerkrieg die Indonesischen Regierung und die Rebellenorganisation GAM (Gerakan Aceh Merdeka – Bewegung Freies Aceh) an einen Tisch setzten, um mit Hilfe internationaler Verhandlungsführer Frieden zu vereinbaren. Die „Bewegung Freies Aceh“ hatten in den 1940er Jahren gemeinsam mit ihren Landleuten aus ganz Indonesien gegen die Holländer und für einen eigenen, unabhängigen Staat gekämpft. Sie waren davon ausgegangen, dass Aceh in einem unabhängigen Indonesien gleichberechtigt existieren könne. In der Realität stellte sich dies jedoch bald als Trugschluss heraus. Java begann den neuen Staat zu dominieren und die rohstoffreichen Gebiete, wozu auch Aceh gehört, auszubeuten. Daraus entstanden ein neuer Widerstand und ein Kampf für das Wohlergehen der acehnesischen Bevölkerung, der bis heute anhält. Anders als die indonesische Regierung manchmal Glauben machen will, war die Bewegung Freies Aceh allerdings nie religiös motiviert. Jetzt kämpft die GAM um den Wiederaufbau des Landes.

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Kakaobauer auf dem Rückweg vom Feld, Amut Mesjd, Aceh, 2007. Foto: D. Tydecks

Unmittelbar nach der Katastrophe und unter dem erschütternden Eindruck der Bilder, die die Medien in alle Welt sendeten, war die Spendenbereitschaft enorm. Privatleute und Regierungen weltweit überboten sich mit Geld- und Hilfszusagen. Am Anfang wurde regelmäßig berichtet, wie mit den Geldern die schlimmste Not gelindert wurde – Nahrungsmittel und Häuser waren damals die primären Ziele. Aber wie sieht es heute aus? Gibt es auch eine langfristige und nachhaltige Hilfe? Was ist bis heute mit den Geldern geschehen? Der größte Teil der Hilfsgelder war an den Wiederaufbau geknüpft, und durfte nur in den Küstenregionen, die vom Tsunami unmittelbar geschädigt worden waren, eingesetzt werden. Dadurch kam und kommt es immer noch zu einem sozialen Ungleichgewicht in der Region. Die Bevölkerung im Inland, die jahrelang unter den kriegerischen Auseinandersetzungen gelitten hatte, fühlte sich beim allgemeinen Wiederaufbau vernachlässigt. Um soziale Unruhen durch Unzufriedenheit zu vermeiden und eine nachhaltige Entwicklung in der gesamten Region entstehen zu lassen, arbeiteten einige Organisationen mit ehemaligen Rebellen-Kämpfern und anderen Bevölkerungsgruppen im Inland zusammen.

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Kakaobaum mit Kakaoschoten, Aceh, 2008. Foto: D. Tydecks

Eine dieser Gruppen waren Kakaobauern, die in der Konfliktzeit zwischen indonesischer Regierung und GAM ihre Felder nicht bebauen konnten, weil sie von Düngemitteln und dem Warenverkehr abgeschnitten waren. Nach der Beendigung des Bürgerkriegs traten sie an verschiedene Organisationen heran und baten um Unterstützung für Anbau und Vermarktung von Kakao in Form von Weiterbildung und dem Bau einer Lagerhalle und Trocknungsanlage für die Kakaobohnen. Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) im Auftrag der Bundesregierung und die Indonesisch-Deutsche Handelskammer (EKONID) in Jakarta, vertreten durch das Projekt IndoGerm Direct, beschlossen, das Projekt gemeinsam durchzuführen.

Wie sieht die konkrete Umsetzung eines Projektes aus?
Unser Projektteam bestand aus vier Leuten – zwei indonesischen Kakaoexperten und zwei langnasigen Kakao-Laien aus Deutschland. Unser Projekt begann vor Ort im Dorf Amut Mesjid, wo wir uns in der Dorfschule mit den lokal ansässigen Bauern nach dem Abendgebet trafen. Der große Saal der Schule war schnell gefüllt, die Frauen saßen vorne, die rauchenden Männer im hinteren Teil. Jeder konnte Fragen stellen und Wünsche äußern. Nachdem wir einen kleinen Film über ein ähnliches Projekt in Sulawesi, in dem Kakaobauern über alternative Anbaumethoden berichten, gezeigt hatten, wurde in der Diskussion schnell klar, dass das primäre Ziel der Kakaobauern eine wirtschaftliche Verbesserung ihrer Situation war – und wir trafen auf eine große Bereitschaft viel Zeit und Energie zu investieren um dieses Ziel auch wirklich zu erreichen.

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Eine Trainingseinheit zur Veredelung von jungen Kakaopflanzen, Amut Mesjid, Aceh, 2007. Foto: D. Tydecks

Von Geldgeberseite aus war eine Vorbedingung die Förderung des ökologischen Anbaus. Dafür war die Ausgangslage hier besonders geeignet, denn durch die lange Vernachlässigung der Kakaofelder während des Konfliktes waren die Böden fast frei von Chemikalien – eine ideale Voraussetzung, um sich für eine internationale Bio- und Fair Trade-Zertifizierung zu bewerben und damit bessere Preise auf dem Kakaomarkt zu erreichen. Die Bauern waren bereit sich auf die damit verbundenen Richtlinien und Auflagen einzulassen. Diese besagten, dass sie eine dem Projekt entsprechende Organisationsstruktur schaffen, Frauenquoten erfüllen, flächendeckende Fermentierung der Kakaobohnen für bessere Qualität einführen, eigene interne Kontrollen untereinander einführen und externe Kontrollen zulassen mussten. Außerordentlich hilfreich war auch die Tatsache, dass in Europa ein reges Interesse entstand, biologischen Kakao aus Aceh zu kaufen.

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Offizielle Eröffnungsveranstaltung der Lagerhalle und Trainingsveranstaltungen, Amut Mesjid, Aceh, 2007. Foto: D. Tydecks

Nachdem wir uns mit den Bauern auf diese konkreten Ziele geeinigt hatten, gründeten sie eine Bauernvereinigung für ökologischen Anbau (APKO) und in einer großen öffentlichen Wahl wählten sie das Vorstandskomitee. Mit diesem Komitee trafen wir uns nun regelmäßig in dem einfachen Holzhaus von Bapak Muhammad, einem Vorstandmitglied von APKO, um die konkreten Schritte und Maßnahmen zu planen und zu begleiten.
Vorgesehen wurden Fortbildungen der Kakaobauern in ökologischen Anbaumethoden in Form von Multiplikatorenausbildung. Bapak Idris, der Vorsitzende von APKO mit guten Verbindungen zu Händlern, schlug vor, die schon vorhandenen traditionellen gewachsenen Strukturen dieser Region – kleine Regionalgruppen, in denen sich die Mitglieder austauschten und ihre Interessen nach außen hin vertraten – für die Weiterbildungen zu nutzen. Jede dieser Regionalgruppen entsendete also ein Mitglied als Multiplikator zum Training; der oder diejenige gab dann wiederum den anderen Bauern das Wissen weiter. Gelehrt wurden unter anderem die Herstellung von biologischem Dünger aus lokal verfügbaren Materialien, die Verwendung von schwarzen Ameisen zur Schädlingsbekämpfung, Veredelung junger Bäume durch gute Qualität vom eigenen Feld und ähnliches. Parallel dazu wurde eine Verwaltungsorganisationsstruktur aufgebaut, die ebenfalls mit Trainings begleitet wurde. Dazu gehörten einfache Buchhaltung, Berichtserstellung, Aufbau von transparenten Kommunikationsstrukturen und der Verkauf von Kakao auf dem internationalen Markt.

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Kakaobaumschule der Bauernvereinigung in Langkahan, Aceh, 2008. Foto: D. Tydecks

Sowohl Männer als auch Frauen arbeiten mit einer klaren Aufgabenverteilung im Kakaoanbau. Die Männer sind für die schweren Aufgaben zuständig, wie zum Beispiel die Vorbereitung der Felder und das Verkaufen des Kakaos. Die Frauen hingegen sorgen für die Aufzucht der Pflanzen und sind für die Verwaltung des Geldes im Haushalt zuständig.
Natürlich geht die Umsetzung eines solchen Projektes nicht ganz ohne Schwierigkeiten über die Bühne. Probleme bereiten zum Beispiel nicht vorhandene Landbesitzurkunden; Trainings von anderen Organisationen im selben Gebiet, die sich nicht an ökologische Standards halten; die Rebellenorganisation, die den Nutzen aus dem Projekt für sich alleine ziehen möchte und ähnliches. Trotz dieser Stolpersteine ist die Motivation ihre Ziele zu erreichen bei allen Beteiligten ungebrochen.

Für den Erfolg dieses Projektes und einer langfristigen Strategie spricht der Export des ersten Containers Kakao dieses Jahr nach Europa. Auch die Vorstellung des Projektes auf der BioFach Messe in Nürnberg im Februar 2009 fand großes Interesse bei den anwesenden Importeuren von biologisch angebauten Lebensmitteln. Aber diese Strukturen können nur aufrechterhalten werden, wenn jeder Einzelne von uns sich immer wieder für die langfristige Verbesserung der Lebensumstände von Menschen weltweit einsetzt und ihre Motivation durch den Kauf fair gehandelter Produkte unterstützt. Auch der Handel orientiert sich langsam um, so dass man vielfach bereits fair gehandelte Produkte in normalen Supermärkten findet.

Weiterführende Literatur
CARD (2006): Cocoa commodity development technological improvement of post- harvest and recovery of the cocoa sector in the Pidie District.

Reid, Anthony (Hg.) (2006): Verandah of Violence. The background of the Aceh problem. Singapore: Singapore University Press
Serambi Newspaper (29.04.2009): Cocoa from Pidie is ready for export

Zur Autorin
Debora Tydecks ist Regionalwissenschaftlerin Südostasien und arbeitete von 2006 bis 2008 in einem Berufsbildungsprojekt der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) im Tsunami Wiederaufbau der Provinz Aceh, Indonesien.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008