HIMMEL – ERDE – MENSCH

Ein Interview mit dem koreanischen Kalligraphen Jung Do-Jun

Von Ingo Nentwig

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Jung Do-Jun, 2006. Foto: Park Ho-Sub

Die Ausstellung „Himmel – Erde – Mensch. Koreanische Kalligraphie von Jung Do-Jun“ ist im Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig noch bis zum 29. April 2007 zu sehen.

Frage: Herr Jung, am Samstag wurde die Ausstellung Ihrer Werke in unserem Haus eröffnet, und Sie haben inzwischen drei Kalligraphie-Workshops mit Besuchern durchgeführt. Welchen Zugang zu Ihren Werken und zur Kalligraphie überhaupt findet der europäische Besucher, der ja in der Regel die Schriftzeichen nicht kennt und nicht versteht?

Jung Do-Jun: Inzwischen habe ich ja Ausstellungen in mehreren europäischen Ländern, darunter Italien, Frankreich und Deutschland (Stuttgart) zeigen dürfen. Meine bisherige Erfahrung ist, dass sich erheblich mehr Menschen mit der ostasiatischen Schriftkunst beschäftigen, als man gemeinhin vermuten würde. Aber Sie haben Recht, die meisten Besucher kennen weder die chinesischen Schriftzeichen, noch die koreanische Hangul -Schrift. Beide verwende ich in meinen Arbeiten. Das scheint aber kein Hinderungsgrund für zahlreiche Besucher zu sein. Schon für sich genommen, haben die chinesische und die koreanische Schrift einen ganz eigenen und eigentümlichen ästhetischen Wert, den jeder Mensch, unabhängig von seiner Kenntnis der Schrift, für sich erschließen und genießen kann.

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Himmel - Erde - Mensch. Foto: Jung Do-Jun

Frage: Stimmt es, dass das Hangul , bei dem es sich ja um eine Lautschrift handelt, eher für dekorative – oder besser ornamentale – Zwecke geeignet ist, während die chinesischen Schriftzeichen auch einzeln für sich kleine Schreibkunstwerke sein können?

Jung Do-Jun: Zum Teil. Hangul hat Vokale und Konsonanten, so wie das lateinische Alphabet. Sie werden aber zu Silben-Einheiten kombiniert, die fast so emblematisch da stehen, wie chinesische Schriftzeichen. Zwangsläufig sind bei einer Lautschrift die Strukturen einfacher, und so entsteht der Eindruck des Ornamentalen, ein Effekt, den ich, gerade bei Werken mit größerem Textumfang, zum Beispiel bei der „Einleitung zum Hunminjeongeum “, auch nutze. Die Sorgfalt mit der ich arbeiten muss unterscheidet sich aber nicht von der bei Werken mit chinesischen Zeichen. Die chinesische Schrift bietet natürlich viele Möglichkeiten, sich dem einzelnen Schriftzeichen zu nähern. Ich kann archaisieren und Formen der Schriftzeichen verwenden, die so vor 3.000 Jahren auf Orakelknochen üblich waren. Ich kann in Siegel- oder Kanzleischrift, in Normalschrift oder der so genannten „Grasschrift“ schreiben, und ich lege natürlich in jedes Zeichen meinen ganz eigenen Blick, mein eigenes Verständnis hinein. Dort, wo eine Kalligraphie nur aus einem oder ganz wenigen Schriftzeichen besteht, zum Beispiel „Die Leere“ oder „Einen Schritt vorwärts gehen“, steht die Gestaltung des einzelnen Zeichens im Mittelpunkt. Aber längere Texte aus chinesischen Schriftzeichen entwickeln durchaus auch einen ornamentalen Eindruck.


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Jung Do-Jun. Foto: Park Ho-Sub

Frage: Schrift transportiert immer auch einen Inhalt. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Inhalte Ihrer Kalligraphien aus?

J ung Do-Jun: Ich verwende Zitate aus Werken der klassischen östlichen Philosophie, den großen Religionen, Gedichte, Lieder, auch Volkslieder, Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten und manchmal eben nur einzelne Wörter, wie „Glück“ oder „Frieden“. Mein Kriterium ist einfach: Ich schreibe Texte, die mir gefallen, die einen Inhalt transportieren, den ich vertreten kann, von dem ich denke, dass sie gelesen werden sollten. Natürlich bleibt auch Raum für Abstraktes. „Himmel – Erde – Mensch“, die Arbeit, die der Ausstellung den Titel gab, ist so ein Experiment auf der Basis des Hangul .

Frage: Viele Werke transportieren eine Ethik, deren Grundlagen wohl als „konfuzianisch“ bezeichnet werden dürfen. Ist das „typisch koreanisch“?

Jung Do-Jun: Nun, es gibt auch daoistische und buddhistische Texte, in anderen Ausstellungen habe ich Bibelzitate kalligraphiert. Ich denke es sind einfach Erkenntnisse, Lebenswahrheiten, die universale Gültigkeit haben. Die konfuzianische Ethik ist in Korea tatsächlich sehr wichtig, aber auch in China und überhaupt in Ostasien.


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Lao Zi, Dao De Jing, 2. Kapitel. Foto: Jung Do-Jun

Frage: Eines Ihrer Werke zeigt das 2. Kapitel des Dao De Jing, einen Text, der mindestens 2.500 Jahre alt ist und der in seinen beiden ersten Sätzen Ästhetik und Ethik miteinander verknüpft. Ist das nicht eigentlich kennzeichnend für alle Ihre Arbeiten?

Jung Do-Jun: Die beiden Sätze heißen: Erst seit auf Erden / Ein jeder weiß von der Schönheit des Schönen, / Gibt es die Hässlichkeit. / Erst seit ein jeder weiß von der Güte des Guten, / Gibt es das Ungute. Sie berichten vom Verlust einer Einheit, zu der es kein Zurück mehr gibt. Anders ist es mit der Einheit von Ästhetik und Ethik. Die ist, so denke ich, selbstverständlich und unerlässlich. Humanes Handeln, ob in der Gesellschaft oder in der Kunst, kann nur durch ihr Zusammenwirken etwas erreichen. Wenn Sie meine Arbeiten so sehen, fasse ich das als Kompliment auf.

Herr Jung, vielen Dank für dieses Gespräch!


Zum Autor

Dr. Ingo Nentwig ist Kustos der Abteilung Ostasien der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008