Ein Interview mit Museumsdirektor Claus Deimel
Von Ulrike Krasberg
Frage: Das Grassimuseum in Leipzig wird zurzeit umgebaut. Welche Pläne sind mit dem Umbau verbunden?
C. D.: Zunächst einmal sollte ich erklären, wie das Museum aufgebaut ist. Es besteht nämlich eigentlich aus drei Museen: dem Völkerkundemuseum zu Leipzig - ein Landesmuseum des Freistaates Sachsen -, dem Museum für Kunsthandwerk - eine Einrichtung der Stadt Leipzig - und dem Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig. Die drei Museumsdirektoren: Dr. Eszter Fontana (Musik), Dr. Eva-Maria Hoyer (Kunsthandwerk) und ich (Völkerkunde) bilden eine Direktorenkonferenz, mit der die Öffentlichkeitsarbeit des Grassimuseums gesteuert wird.
Und nun zu Ihrer Frage: Das Museum wird nicht umgebaut, sondern vollständig saniert und rekonstruiert. Das Gebäude ist ein Art-Déco-Bau aus dem Ende der Zwanzigerjahre - eines der letzten großen Museumsbauten vor dem Zweiten Weltkrieg, und dieses Gebäude soll jetzt weitgehend so wieder hergestellt werden, wie es ehedem war. Der Bau konnte zu DDR-Zeiten nur notdürftig renoviert werden. Bereits 1943, bei dem großen Bombenangriff auf Leipzig, sind große Teile des Hauses zerstört worden. Es ist dann mit den bescheidenen Mitteln der DDR wieder aufgebaut worden - und jetzt wird das Ganze für rund 35 Millionen Euro saniert. Die Sanierung bedingte die totale Auslagerung der Sammlungsbestände, der Büros und Archive usw. Wir sind mit unseren 49 Mitarbeitern aus dem Grassi vollständig ausgezogen.
Frage: Und wo liegen die Objekte jetzt?
C. D.: Die Objekte sind an zwei Stellen in der Stadt ausgelagert und können voraussichtlich Ende 2004 wieder in den sanierten Bau zurückgebracht werden. Die Büros sind an einem anderen Ort untergebracht. Eine so genannte Interimausstellung ist schließlich an einer vierten Stelle in Leipzig, nämlich in der Mädlerpassage über Auerbachskeller zu finden - im zweiten Stock der Passage, leider, weil das eine Barriere für Museumsbesucher bedeutet, die schwer zu überwinden ist. Aber wir haben immerhin diese Räume bekommen, schon damit wir während des Umbaus nicht völlig aus der Welt sind.
Frage: Was für Pläne gibt es jetzt in Bezug auf Dauerausstellungen für die einzelnen Abteilungen? Soll das Konzept anders werden oder bleiben, wie es war?
C. D.: Wir werden rund 4000 qm Ausstellungsfläche haben, das sind zwei große Stockwerke, die als Rundgänge immer schon gestaltet waren und so auch wieder hergestellt und genutzt werden. Natürlich mit moderner Technik und mit zusätzlichen Brandschutzmauern. Da werden wir dann die zentralen Sammlungen des Museumsbestandes präsentieren, und zwar unter dem Arbeitstitel: „Weltrundgänge durch das kulturelle Erbe“.
Wir verstehen unsere Sammlungen als das kulturelle Erbe der Ethnien, Völker und Nationen. Und wir stellen es aus nach geographischen Räumen, Afrika, Europa, Amerika usw.; für die Besucher ist das zunächst am leichtesten nachzuvollziehen. Die Alternative wäre, eine inhaltliche oder themenbezogene Ordnung zu machen. Dass man zum Beispiel eine Dauerausstellung zur Entwicklung des Schuhwerkes hätte oder eine Dauerausstellung über die Zigarre gestern und heute oder dergleichen. Das scheint uns aber für Dauerausstellungen dieses Ausmaßes nicht angebracht. Diese Art der Präsentation machen wir dann in Sonderausstellungen. Wir gehen davon aus, dass der durchschnittliche Besucher sich darüber informieren will, was es in Afrika, in Asien usw. gibt. Da über 50 % unserer Besucher Schüler sind, halten wir diesen Weltrundgang-Gedanken nach geographischen Gesichtspunkten für den übersichtlicheren. Es gibt durchaus aber auch andere Konzepte. Die Kollegen in Köln, die ja auch an einem neuen Museum arbeiten, machen rein thematische Ausstellungen als Dauerausstellungen.
Frage: Wird auch die deutsche oder europäische Sammlungsgeschichte im Museum thematisiert? Gesammelt wurde ja nach unterschiedlichen Konzepten im Laufe der Zeit ...
C. D.: ... oder nach gar keinen ...
... das, was jetzt im Museum vorhanden ist, hat ja auch eine Geschichte hier bei uns. Eine Art Geschichte im Museum.
C. D.: Wir machen viele Sonderausstellungen, auch jetzt in der Interimszeit, durchschnittlich vier im Jahr. Augenblicklich haben wir die Amazonasausstellung, die Doris Kurella in Stuttgart gezeigt hat. Davor hatten wir eine Kamerunausstellung, in der ganz besonders der Aspekt der Sammlungsgeschichte herausgearbeitet wurde. Wir haben dort gezeigt, was Sammler in Kamerun erworben haben, wie sie zu einzelnen Objekten gekommen sind. Aber das wird auch später in der Dauerausstellung, wenn wir wieder im Grassimuseum sind, immer wieder problematisiert werden. Wir haben zum Beispiel einen der größten Frobeniusbestände. Natürlich werden wir die Besucher auch über den Sammler informieren. Die Zeiten sind ja vorbei, als Museumsleute einfach nur sagten: eine schöne Maske, sie ist für das und das benutzt worden. Heute will man auch wissen, wer der Sammler war, wie er an das Objekt kam. Man muss auch andere, bisher wenig in Ausstellungen diskutierte Probleme ansprechen: Manche Besucher denken zum Beispiel, die Objekte, die in den ethnologischen Museen liegen, seien den Einheimischen von ethnologischen Abenteurern weggenommen worden. Das denken zwar sicher nicht alle, aber die Frage kommt gelegentlich, und auch das muss man deutlich ansprechen. Da haben wir bei 95 % der Bestände keine Probleme, weil das normale Sammlungen sind, Zusammentragungen, Geschenke auch Ankäufe. Aber ein kleiner Bestandteil, wie zum Beispiel die berühmten Beninsammlungen, sind anders zu uns gekommen. Sie waren Kriegsbeute der Briten und sind an europäische Museen verteilt worden. Alle führenden ethnologischen Museen in Deutschland haben Beninobjekte und stehen heute immer wieder vor Legitimationsproblemen. An so einem Beispiel wird man dann die Strafexpedition der Engländer 1897 in Benin darstellen müssen und beschreiben müssen, wie der Handel mit diesen Objekten auf dem europäischen Markt vonstatten ging. Und man wird über die Rückforderungen der nigerianischen Regierung sprechen müssen, die aber nicht offiziell als Regierung Rückforderungen stellt, sondern es gibt in Nigeria bestimmte Gruppen, die Beninobjekte zurückfordern.
Frage: Direkt von den Museumsdirektoren, von Ihnen?
C. D.: Nein, das Museum für Völkerkunde zu Leipzig hat noch nie eine Rückforderung bekommen. Das wird immer nur in den Medien lauthals diskutiert. Das internationale Fachkollegium ist sich längst darüber einig, dass man in der jetzigen politischen und wirtschaftlichen Situation solche historisch wertvollen Objekte nicht zurückgeben kann. Es gibt in Nigeria keine sicheren Plätze dafür. In den 70er-Jahren haben Italiener mal ein Stück der Benin-Bronzen zurückgegeben. Das war in kürzester Zeit wieder auf dem privaten Markt. Das gleiche Problem hatte auch das Ethnologische Museum in Berlin und auch das British Museum in London, die den größten Teil der Bronzen haben. Früher hat man außerhalb der Museen nicht darüber geredet. Das ist in der heutigen Zeit natürlich ein völlig falscher Ansatz, heute muss man den Museumsbesuchern und der Öffentlichkeit gegenüber diese Problematiken offen und transparent machen. Aber wie gesagt: Der größte Teil der Sammlungen ist redlich von Ethnologen und Sammlern für die Bestände erworben worden, und das gilt für alle ethnologischen Museen.
Frage: Wie werden die Ausstellungen gestaltet? Wie ist das Verhältnis von Objekt und Text?
C. D.: Das ist eine ganz zentrale Auseinandersetzung in der Ausstellungsgestaltung, und dazu gehört auch die Diskussion darüber, ob das alles Kunstwerke sind oder nicht? Aus ethnologischer Sicht sind es in aller Regel keine Kunstwerke. Es sind sakrale Objekte und Alltagsgegenstände. Von den Menschen, die damit umgingen, sie gebrauchten, wurden die Objekte nie als Kunst bezeichnet. Das stimmt aber jetzt nicht mehr so ganz. Je länger sie bei uns in den Museen liegen und ausgestellt werden, desto mehr legt sich über die eigentliche ethnische Geschichte eine zweite Geschichte – nämlich unsere –, und darüber können Objekte auch zu Kunstwerken werden. Da kann dann die Schale, aus der man früher profan Palmwein getrunken hat, heute plötzlich ein Weltkunstwerk sein. Auch das muss man in den Ausstellungen vermitteln. Es gibt auch durchaus Objekte, die so schön sind, dass man sie einfach nur hinstellen kann, damit die Besucher ihre Schönheit genießen können. Das machen die Franzosen im Louvre. Da werden ethnographische Objekte nur hingestellt, ohne den ethnographischen Hintergrund mit einem Text neben dem Exponat zu erklären. Das kann aber nicht unser Konzept sein. Ich denke, das ist irgendwie langweilig, und Kinder kann man damit auch nicht begeistern. Wir haben ja einen Bildungsauftrag. Wir müssen den Kindern auch sagen, was so eine Nagelfetischfigur, mit den vielen Nägeln darin, bedeutet. Allerdings reicht es auch nicht, einen langen Text daneben zu hängen, das liest sich heute keiner mehr durch. Kinder lesen höchstens noch im Computer ...
Frage: Und was ist mit den Audioguides?
C. D.: Das ist geplant. Das hängt vom Geldgeber ab, ob wir Audioguides bekommen. Das wird sich noch mal auf zweihunderttausend Euro extra belaufen, aber das wäre natürlich die beste Form. Da hat man in der Ausstellung selber nur kurze Texte und hört dann Sprechtexte und Originaltöne. Aber nach wie vor wird man die Objekte auszeichnen müssen. Es kommen ja auch Besucher, die selber sammeln und die wollen dann plötzlich auch die Inventarnummer sehen. Es gibt doch immer sehr verschiedene Besuchertypen.
Frage: Bekommt man alle Objekte unter, oder bleiben auch noch welche in den Magazinen?
C. D.: Ich glaube, das gilt für alle Museen, dass man höchstens fünf bis zehn Prozent ausstellen kann, und das wäre schon viel. Wir haben insgesamt hundertsechzigtausend Katalognummern und etwa 220.000 Objekte. Durch die Fusion der sächsischen Völkerkundemuseen kommen ab 1. Januar 2004 noch Tausende Objekte hinzu. Wir werden auf die Bestände der anderen Verbundmuseen im Zuge hausinterner Leihverträge Zugriff haben, sodass wir im zukünftigen Grassimuseum ein Spektrum der ganzen sächsischen völkerkundlichen Sammlungen haben. Umgekehrt gilt das auch für unsere Ausstellungen, die wir demnächst im Japanischen Palais in Dresden zeigen werden. In Zukunft wird es eine neue Organisation geben, die sich ‚Staatliche Ethnographische Sammlungen Sachsen’ nennen wird. Sie wird von Leipzig aus geleitet, und zu ihr gehören die drei Traditionsmuseen Sachsens: das Völkerkundemuseum Herrenhut (ein Missionsmuseum), das Museum für Völkerkunde Dresden und das Museum für Völkerkunde zu Leipzig. Diese drei werden auch ihren Standort behalten, jeweils spezifische Ausstellungskonzepte haben und von einer Zentralstelle geleitet werden.
Frage: Und das sind Sie?
C. D.: Ich bin augenblicklich der letzte amtierende Museumsdirektor der völkerkundlichen Museen in Sachsen. Der Freistaat Sachsen hat mich gebeten, ein Fusionskonzept mit den Dresdner und Herrnhuter Kollegen auszuarbeiten. Da habe ich mir einen Moment lang überlegt, ob ich mich nicht lieber an ein kleines Archiv in Grimma im Muldental versetzen lassen soll – aber darauf wäre keiner in der Staatsregierung Sachsens eingegangen. Also muss ich es machen. Aber wenn es schief geht, das versichere ich schon jetzt, wandere ich in die Sierra Tarahumara aus und spiele dort bis an mein Lebensende Banjo.
Vielen Dank für das Gespräch!
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008