Iranische Frauenpower bei der RoboCup Soccer-WM 2006

Von Barbara Aboueldahab

Frauen im Iran erfuhren nach der Revolution des Ayatollah Khomeini 1979 im öffentlichen Leben einen Statuswandel. Nachdem sie sich in gleicher Weise wie die Männer um die Revolution verdient gemacht hatten, sahen sie sich nun in einer gesellschaftlich und politisch problematischen Situation. Einerseits propagierte Khomeini den Respekt gegenüber Frauen und ihr Recht auf politische und soziale Chancengleichheit, auf der anderen Seite wurden frauenbenachteiligende Regelungen getroffen hinsichtlich Polygamie, Scheidung, Sorgerecht für Kinder und Zeitehe, sowie darüber hinaus den Zwang, den Tschador, die persische Form des Schleiers, zu tragen.

In den Jahren nach der Revolution hat sich für die Iranerinnen aber einiges geändert. Vieles, was in den 80er Jahren noch verboten war, ist heute Normalität. Zwar müssen Frauen immer noch in der Öffentlichkeit ihre Haare bedecken, immer noch sitzen sie in den Bussen hinten, und Koedukation ist nach wie vor sowohl in den Schulen als auch den Universitäten undenkbar. Es haben sich jedoch besonders bei den Jugendlichen Parallelwelten entwickelt, in denen es Rockmusik, Drogen und Fluchtpunkte vor den Toren der großen Städte ohne Kleiderordnung und Geschlechtertrennung gibt. Viele städtische Frauen halten sich darüber hinaus nicht mehr genau an die strengen Vorschriften. Sie ersetzen den klassischen schwarzen Tschador durch farbenfrohe Kopftücher oder tragen ihn nicht korrekt, indem sie die eine oder andere Haarlocke hervorschauen lassen. Sie schminken sich, schauen amerikanische oder europäische Fernsehsender, besuchen Internetcafés und treiben wieder Sport.

Der Frauensport hat im Iran im Vergleich zu anderen islamischen Ländern eine lange Tradition. Heutzutage hat die Begeisterung da ihre Grenzen, wo sich der Sport nicht mit den geltenden islamischen Vorschriften in Einklang bringen lässt. Und noch sind es auch nur bestimmte Sportarten, die Frauen ausüben dürfen, getrennt von den Männern. Es gibt Frauenorganisationen in 23 Sportarten und zwei sportwissenschaftliche Vereinigungen mit circa 290 000 Mitgliedern, von denen mehr als ein Viertel aus Teheran sind. Populär sind Aerobic, Volleyball, Schwimmen, Badminton und Schießen. Fitnessstudios boomen. Seit 1992 finden im Iran die Islamischen Frauenspiele statt, bei denen sich Musliminnen unbeobachtet von Männern und Medien in 16 bis 20 Disziplinen messen.

In einem fußballverrückten Land wie dem Iran macht auch dieser Sport vor den Frauen nicht halt. Laut Umfragen sind 60 Prozent aller Fußballfans weiblich. Bis vor kurzem durften sie allerdings bei den Spielen der Männer in der Öffentlichkeit nicht zusehen, da das Anschauen von Sportlern in kurzen Hosen als unkeusch galt. Viele Frauen protestierten in der Vergangenheit gegen dieses Verbot, es kam zu Handgreiflichkeiten vor den Stadien, und immer wieder versuchten Frauen, sich heimlich Zutritt zu verschaffen. Selbst zu spielen war und ist Frauen aber möglich, jedoch mit Kopftuch und weiter Kleidung und statt auf Rasen meist in Hallen vor ausschließlich weiblichem Publikum. Fußball gibt den Frauen die Möglichkeit, aufgestauten Energien freien Lauf zu lassen. Öffentliche Frauenfußballspiele fanden seit der Revolution nicht statt, bis auf eine Ausnahme im April 2006, als die internationale Berliner Frauenmannschaft Al Derimsport in Teheran zu Gast war. Bei diesem Spiel war Männern oder Reportern der Zugang zum Stadion verboten. Dabei ist die iranische Frauen-Nationalmannschaft sehr erfolgreich: Bei den westasiatischen Meisterschaften spielte sie sich bis ins Finale.


Diese Fußballbegeisterung könnte auch der Grund für die hohe Beteiligung von iranischen Frauen bei der diesjährigen Roboter-Fußball-WM, dem RoboCup sein. Hier konnten sie sich einem gemischten Publikum präsentieren, ungezwungen auch mit männlichen Gegnern konkurrieren und ihrer Begeisterung freien Lauf lassen. Die RoboCup-Weltmeisterschaften werden jährlich an wechselnden Orten ausgetragen. In den Jahren, in denen eine Fußballweltmeisterschaft stattfindet, stellt das Gastgeberland den Austragungsort. So fand der RoboCup 2006 vom 14.-20. Juni in Bremen statt. Wissenschaftler, Schüler und Studenten aus aller Welt trafen sich, um ihre Teams in verschiedenen Disziplinen gegeneinander antreten zu lassen. RoboCup Soccer besteht aus fünf Ligen: der Simulationsliga, der Small-Size-Liga, der Middle-Size-Liga, der Sony-Legged-Liga und der Humanoidliga. Den Abschluss bildet ein Kongress, auf dem neue wissenschaftliche Erkenntnisse aus den Bereichen künstliche Intelligenz und Robotik ausgetauscht werden. In diesem Jahr nahmen 50 iranische Mannschaften teil, darunter sechs weibliche Teams. Bei den westlichen Teams bildeten Mädchen und Frauen eher die Ausnahme.

Ist dieses verhältnismäßig starke Auftreten der Iranerinnen allein mit Fußballbegeisterung zu erklären oder als Zeichen der Emanzipation zu sehen? Zum einen bietet eine Veranstaltung wie der RoboCup natürlich auch Frauen die Gelegenheit, internationale Erfahrungen zu sammeln und sich mit Teilnehmern anderer Nationen austauschen. Im realen Fußballeben ist dies schwer möglich, da auf Grund der politischen Situation im Iran nur sehr selten ausländische Frauenfußballmannschaften in den Iran kommen, und bei einem eventuellen Gegenbesuch die Bekleidungsvorschriften den Iranerinnen zum Nachteil gereichen würde.

Die Geschlechtertrennung führt dazu, dass Frauen und Mädchen auch im Sportbereich eigene Wege gehen können und müssen. Sportunterricht von Mädchen durch männliche Lehrer ist untersagt, und von Regierungsseite war niemand daran interessiert, sich in diesem Bereich zu engagieren. Die Frauen selbst haben die Ausbildung und Betreuung von Sportlerinnen organisierten. So konnte der Frauensport im Iran seinen Stellenwert zurückerobern.

Auf der anderen Seite sind es gerade die Frauen, die im Iran die Technik-Themen voranbringen, wenn auch oft in unterbezahlten und untergeordneten Positionen. Immerhin sind aber 60 Prozent der Studienanfänger Frauen, von denen über 40 Prozent Ingenieurwissenschaften studieren. Die unter einheimischen Experten am meisten geschätzte Person auf dem Gebiet der Informationstechnologie ist eine Frau, Mehran Shantiyai, die in der Öffentlichkeit allerdings kaum jemand kennt.

In den Schulen spielen Fächer wie Informatik und Robotik eine große Rolle. Die Tatsache, dass Mädchen, die in Mathematik und den naturwissenschaftlichen Fächern nicht zusammen mit Jungen unterrichtet werden, bessere Leistungen erbringen als Mädchen, die koedukativ unterrichtet werden, ist allgemein bekannt. In diesem Fall kommt also die Geschlechtertrennung den Mädchen zugute.

Die RoboCup Wettbewerbe vereinigen Sport und Technik. Bei der Roboter Soccer-WM geht es also um mehr als Fußball. Neben Spiel, Spannung und Spaß steht der Austausch von Wissen im Vordergrund. Für die Iranerinnen ist die Teilnahme eine Selbstverständlichkeit. Hauptmotivation ist der Lerneffekt und für einige die Chance, einen Studienplatz für Informatik zu bekommen. Das mag so manchen westlichen Beobachter erstaunen, kommen diese jungen Frauen doch aus einem Land, das rückständig und frauenfeindlich zu sein scheint. Trotzdem programmieren sie hervorragend und kennen sich mit der neuesten Technik mindestens ebenso gut aus wie ihre westlichen Konkurrentinnen. Und auf die Frage eines Journalisten, ob sie Männer in ihrer Gruppe vermisse, antwortete eine iranische Teilnehmerin: „Das ist doch kein Unterschied zwischen Männern und Frauen. Wir können auch denken.“

Durch den verbesserten Zugang zur Bildung und ein starkes Interesse daran hat sich die ökonomische und soziale Situation der Frauen im Iran verbessert. So konnte sich das seit jeher propagierte Bild der Frau als Mutter und Ehefrau nicht ganz durchsetzen. Der Kampf für die Gleichstellung von Mann und Frau hat im Iran dennoch eine andere Qualität als in den westlichen Industrieländern. Die Doppelrolle als Mutter und Ehefrau auf der einen und als sozial aktive Frau auf der anderen Seite wird nicht als Behinderung empfunden, gegen die es zu kämpfen gilt. Sie stellt vielmehr eine Herausforderung dar, die wenigen Möglichkeiten, die die Gesellschaft Frauen bietet, zu nutzen, um Einfluss zu nehmen und Entwicklungen mit zu gestalten. Hierbei sind die iranischen Frauen weitgehend auf sich selbst gestellt, da es im Iran nur wenige Institutionen oder soziale Einrichtungen für Frauen gibt. Die persönliche Selbstverwirklichung und das gesellschaftliche Engagement beginnen also bereits im Alltag, und Selbstverwirklichung und Unterdrückung schließen sich dabei nicht zwangsläufig aus.

Die von außen sichtbare Welt im Iran ist eine Männerwelt, die innere bestimmen dagegen die Frauen, wobei sie sowohl subtil als auch offensichtlich auf die Männerwelt Einfluss nehmen. Durch Kompetenz, Engagement, Beharrlichkeit und einer großen Portion Selbstwertgefühl kämpfen sie mit zunehmendem Erfolg um öffentliche Positionen und sind so zu einem Motor für gesellschaftliche und politische Veränderungen geworden. Das selbstbewusste Auftreten der weiblichen iranischen Teams bei der RoboCup Soccer-WM mag hierfür ein Zeichen sein.

Weiterführende Literatur

Ebadi, Shirin (2006): Mein Iran. Zürich
Gruber, Lilli (2006): Tschador. Im geteilten Herzen des Iran. München
Shafiq, Shahla (2006): Totalitarim-i islami. Paris

Zur Autorin

Barbara Aboueldahab, M.A. studierte Ethnologie, Iranistik, Germanistik und Sport in Kiel und Göttingen. Magisterarbeit über die Baha’i im Iran. Freiberufliche Tätigkeit als Ethnologin, Schwerpunkte: Islam, Frauen in islamischen Ländern.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008