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Wie Sherpa ihr touristisches Image nutzen und pflegen

Von Sylvia Reschke

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Tilicho, 2003. Foto: om-mane Trekking

Tourismus ist ein schillerndes und komplexes Phänomen. Und ein zuweilen paradoxes: Als Teil der Globalisierung werden die Forderungen nach infrastrukturellen Standards, die weltweit gelten sollen, mehr und mehr erfüllt, sodass die Welt immer homogener erscheint. Gleichzeitig versucht das touristische System der dazu konträren Forderung nach „fremden“ Kulturen an entlegenen Plätzen, die ihre kulturelle Einzigartigkeit bewahrt haben, gerecht zu werden. Oft werden beispielsweise in Reisekatalogen imaginäre Gehalte über ferne „Paradiese“ aufgegriffen und unsere Fantasien in Hinsicht auf andere Kulturen verstärkt, denn Reisen bringt unsere Vorstellungskraft schon seit Jahrhunderten auf Touren. Dieses Spannungsverhältnis bildet eine bedeutende Basis touristischer Prozesse, an der allerorts viele Akteure und unterschiedliche Interessengruppen teilhaben. Mit diesen zwei parallelen Forderungen zeichnet sich aber bereits ab, vor welchen Herausforderungen die lokale Bevölkerung steht, wenn sie die touristische Entwicklung aktiv mitgestalten und produktiv nutzen will.

Angehörige der ethnischen Gruppe der Sherpa in der Himalaya-Region Ostnepals galten bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei Bergexpeditionen als körperlich und mental besonders geeignete, ja als ideale Hochgebirgsträger. Eine zunächst vage Zuschreibung, die sie bis zu einer Monopolstellung als Hochgebirgsträger auszubauen und über mehrere Jahrzehnte hinweg zu halten verstanden. Die loyale bis selbstaufopfernde Haltung vieler Sherpa am Berg - selbst unter widrigsten Umständen - erfuhr durch westliche Bergsteiger, die die Sherpa rekrutierten, schnell große Anerkennung. Gleichzeitig spielten Widerstandsstrategien der Sherpa gegen ungerechte oder abwertende Behandlungen eine erhebliche Rolle: Sie untermauerten aktiv den Anspruch der Sherpa auf ihre gesonderte Stellung. Sie streiften sehr bald ihr Image vom einfachen „Kuli“ ab und stiegen zum „Sherpa“ auf, ein Begriff, der damit als Synonym für Hochgebirgsträger geboren war und doch zugleich bereits die Sherpa als ethnische Gruppe insgesamt bezeichnete.

Spätestens mit der „Bezwingung“ des Mount Everests im Jahre 1953, die als mediales Großereignis in Szene gesetzt wurde und sich als Prestige verheißender Wettlauf der Nationen darstellte, erlangten die Sherpa Weltruhm. Um diesen Ruhm rankten sich Mythen, die an noch frühere Sinnbilder wie den Shangri-La -Mythos anknüpfen und die in den 70er-Jahren bereits Tausende Touristen jährlich ins Tal lockten. Im Falle Solu-Khumbus ist die lokale Autonomie der Sherpa in der Tourismuswirtschaft weitgehend erhalten geblieben, auch nachdem der Massentourismus ins Tal einsetzte. Begünstigt wird dies durch regionale Gegebenheiten, die sich touristischen Großentwürfen sperren. Über die letzten Jahrzehnte wurde diese Autonomie durch den Bau von Tea-Houses, Lodges usw. im Tal weiter gestärkt und mittels Trekking-Agenturen in Kathmandu oder andernorts von Sherpa in der Migration ausgebaut.

Im Trekkingtourismus kam eine seit alters her bekannte Austauschbeziehung unter Sherpa nun zwischen Sherpa und zahlreichen ausländischen Touristen zum Tragen. Diese Austauschbeziehung, die die Bezeichnung jindak trägt und früher allein der religiösen Sphäre vorbehalten war, übertrugen die Sherpa auf angereiste Touristen und gingen mit diesen - mitunter lebenslang andauernde - Sponsorship-Beziehungen ein. Jindak bezeichnet somit zweierlei: eine lokale Person buddhistischen Glaubens, die hiesigen Klöstern spendet und darüber Meriten (= religiöse Verdienste) erhält, und eine Person, gewöhnlich westlicher Herkunft, aus der ein privater Sponsor für einzelne Sherpa geworden ist. Entscheidend ist, dass so auf innovative Weise wechselseitige Beziehungen zu ausländischen Touristen und auch zu anderen touristischen Akteuren geknüpft wurden, die die bestehenden sozialen Netzwerke zahlreicher Sherpa erweiterten.

In der Jindak -Idee, die eng mit buddhistischen Glaubensinhalten verknüpft ist, nimmt der Empfangende einen höheren Status ein als der Gebende. Die Jindak -Beziehungen sind also keineswegs als durchweg hierarchische Strukturen zu werten, bei der ein Wohltäter/Patron einen Rangniederen unterstützt, sondern sie bezeichnen Beziehungen von Gleich zu Gleich und sind auch in der Lage, bestehende Unterschiede nach und nach auszugleichen. In diesem System erfolgt die Gabe als eine Geste der Loslösung und gilt als Zeichen der Nicht-Anhaftung an materielle Werte und erwartet keine Gegenleistungen. Neben Jindak werden fiktive Verwandtschaften, die im vortouristischen Kontext bereits bei Handelsbeziehungen mit Tibet (bis zur Annektion Chinas im Jahre 1950) eine Rolle spielten, nun auch rituell auf Touristen übertragen, um langfristige soziale Bindungen zu etablieren.

Für viele Touristen ist dieser Umgang sehr reizvoll: Er verspricht eine Nähe, die aus der Perspektive der Touristen sehr erwünscht ist – bietet diese Beziehung doch einen Blick in den so genannten “Backstage”-Bereich von Kultur, der für Reisende deutlich mit persönlichem Reise-Prestige belegt ist. Auf diese Weise kommen Touristen dem “Sherpa way of life” näher, können den häufig geäußerten Wunsch, ein Teil ihrer Welt zu werden, verwirklichen und dies zudem auf buddhistische Art und Weise demonstrieren. Auch für die Sherpa hat diese wechselseitige Annäherung Vorteile, denn sie finden westliche Sponsoren und Freunde.

Innerhalb der eigenen Kultur stieg das Ansehen der Sirdars, einer Art Vormann, der das Team der Hochgebirgsträger rekrutiert, anleitet und koordiniert, stark an. Gerade unter der jüngeren Generation nehmen sie die Rolle von nachahmenswerten Vorbildern ein. Verschiedene hochgelobte und positiv besetzte „Charaktereigenschaften“ dieser „Schneetiger“, auf die zunächst allein im Kontext von Bergexpeditionen zurückgegriffen wurde, wuchsen sich zudem aus und gewannen Bedeutung als Wesensmerkmale, die sowohl zur eigenen Beschreibung generell bemüht als auch durch verschiedene Sherpa selbst reproduziert wurden. Dies lässt sich bis hin zu persönlichen Aussagen, was Sherpa-Sein für Einzelne bedeutet, nachvollziehen. Touristische Images finden so Eingang in kollektive Identitätskonstruktionen.

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Foto: S. Reschke

Diese positiven „Rückkopplungen“ wurden bislang weit weniger untersucht als „kulturzerstörende“ Aspekte von Tourismus. Was passiert, wenn wir reisen? Wir haben als Touristen unser „kulturelles Gepäck“ stets mit dabei. Unsere persönlichen Erwartungen an die „Fremde“ sind durch die populären und medialen Vorstellungen vorstrukturiert und prägen unsere Interaktionen mit den Einheimischen. Umgekehrt begegnen uns die „Bereisten“ mit gewissen Erwartungen und Vorurteilen. Die Verhaltensweisen von Touristen und Sherpa in der Begegnung und im Umgang miteinander sorgen für kulturelle Veränderungsprozesse, sowohl innerhalb der eigenen als auch der anderen Kultur. Populäre Darstellungen in Massenmedien dagegen sind häufig von stereotypen Vorstellungen durchzogen, deren Inhalte in der touristischen Begegnung jedoch in Form von Erwartungshaltungen eine Rolle spielen. Unser Wissen, das wir aus Medien gewinnen, strukturiert unsere Erfahrung im Vorfeld: Wir sind eher bereit, das zu sehen, was wir zuvor als bekannt vermittelt bekommen haben. In der persönlichen Reisebegegnung wird deshalb auf solche gängigen Images zurückgegriffen, und sie kommen in Situationen der Selbstdarstellung und der Identitätsbezeugungen zum Tragen.

Aktuelle Textanalysen aus Massenmedien zeigen, wie sich das kultur- und regionalspezifische touristische Image zusammensetzt, an welche Vorstellungen und Bilder es anknüpft und wie es fortgeschrieben wird. Im Falle der Sherpa stellt sich heraus, dass dort verhandelte Images häufig exotischen Klischees und Wahrnehmungsmustern folgen, die die Menschen dieser Region als sozusagen naturgegeben aufopfernd, treu und mitfühlend in stark idealisierender, bisweilen verklärt romantischer Weise zeichnen. Die „Hüter des Himalaya“ leben an einem Ort, der oft als zeitlich entrückt und außerhalb von weltlichen Zusammenhängen angesehen und geschildert wird. Solche modernen Mythen halten sich historisch betrachtet sehr hartnäckig als kollektive Fantasien über die Sherpa und zeugen von einem Kulturverständnis, das davon ausgeht, Kultur ließe sich auf überschaubare Essenzen reduzieren.

Der Begriff Sherpa wurde in neue Kontexte übertragen. Auch dem ethnologisch völlig desinteressierten Menschen ist er mittlerweile ein Begriff. Als geflügeltes Wort für „Träger“ oder „Führer“ hat er Eingang gefunden in den allgemeinen Sprachgebrauch. Schon eine oberflächliche Recherche im World Wide Web zeigt sein positiv besetztes semantisches Feld, das als eine Art Gütesiegel fungiert: „Mein Sherpa bringt uns überall hin“ wirbt eine Sportartikelfirma und meint damit ein Tandemfliegersystem. Unter www.sherpa.de finden wir die „Sherpa-Autodiagnostik“, eine Konstruktions- und Vertriebsfirma von Kraftfahrzeug-Prüfeinrichtungen in Mühldorf, die dafür sorgen will, dass ihren Kunden bei einem Motorschaden schnell wieder alle Wege offen stehen. Es gibt kaum ein Outdoor-Label, das sich die positiven Assoziationen, die der Begriff auslöst und die für Qualität und Sicherheit stehen, nicht zunutze machen würde.

Die ethnologische Darstellung der Sherpa als Handlungsträger im touristischen Geschehen zeigt uns, dass die allgemein kursierenden Bilder über Sherpa sozio-kulturelle Wirkungskraft haben. In der touristisch stark geprägten Ökonomie erhalten die Images als symbolisches Kapital Gewicht. Die Sherpa nutzen dieses positive Image, um sich die Vorteile einer touristischen Entwicklung aktiv zu erschließen und sie in ihrem Sinne mitzugestalten.

Weiterführende Literatur

Adams, Vincanne (1996): Tigers of the Snow and Other Virtual Sherpas. An Ethnography of Himalayan Encounters. Princeton
Luger, Kurt (2000): Kids of Khumbu. Sherpa Youth on the Modernity Trail. Kantipath / Kathmandu
Ortner, Sherry B. (2000): Die Welt der Sherpas. Leben und Sterben am Mount Everest. Bergisch Gladbach
Reschke, Sylvia (2004): Die Sherpa in Nepal: Zu ihrer Selbstinszenierung im Spiegel der touristischen Wahrnehmung. Berlin (unveröffentlichte Magisterarbeit, Auszüge unter www.gate-tourismus.de/download.html)
Tenzing, Judy und Tashi (2003): Im Schatten des Everest. Die Geschichte der Sherpa. München

Zur Autorin

Sylvia Reschke, zzt. Geschäftsführerin, ist Ethnologin und studierte in Göttingen und Bristol Ethnologie, Medien- und Kommunikationswissenschaften und Deutsche Philologie. Seit 2000 ist sie ehrenamtlich bei GATE e. V. aktiv.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008