200 JAHRE LEWIS-UND-CLARK-EXPEDITION

Die USA feiern ihre Helden

Von Christian Carstensen

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Meriwether Lewis

Im Westen der USA finden zurzeit zahlreiche Feierlichkeiten statt zu Ehren der Lewis-und-Clark-Expedition, die vor 200 Jahren den Kontinent durchquerte. Allerorten wird der Heroen von damals gedacht, die unter großen Mühen den Missouri hinaufzogen, die Rocky Mountains überquerten und den Columbia River hinunter zum Pazifik reisten. Meriwether Lewis und William Clark führten Tagebücher, beschrieben die Landschaften mit ihren geographischen Details, taxierten die ihnen bis dato unbekannte Flora und Fauna mit wissenschaftlicher Genauigkeit und berichteten über ihre Begegnungen mit indianischen Völkern. Das ist die Version, die von weißen Historikern, der US-amerikanischen Politik und in vielen populären Abhandlungen präsentiert wird. Dass (die) Geschichte zwei und mehr Seiten hat, zeigen Arbeiten von indianischen Wissenschaftlern, welche die Expedition aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Sie komplementieren damit nicht nur die Geschichte der Reise, sondern auch die amerikanische Geschichtsschreibung. Ohne indianische Hilfe hätten Lewis und Clark ihre Reise nicht bewerkstelligen können. Deren Einschätzungen der Expedition sind heute zwiespältig. Feiern will die Mehrzahl der Indianer das Ereignis nicht. Wenn überhaupt, wollen sie die Gelegenheit nutzen, um auf ihr Schicksal hinzuweisen und sich als Nachfahren jener Menschen zu präsentieren, die damals einen Trupp ungepflegter Amerikaner in ihrem Territorium ausmachten und zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen konnten, was die Begegnung für ihre Zukunft bedeuten würde.

Der Hintergrund der Expedition

In St. Louis wurde am 23. September 1806 die Rückkehr der Helden der Lewis-und-Clark-Expedition - das „Corps of Discovery“ - gefeiert. Eine jubelnde Menschenmenge empfing die Teilnehmer der von den Offizieren Lewis und Clark geführten zweijährigen Militär-Expedition durch den Westen des Kontinents. Ein begeisterter Präsident Thomas Jefferson berichtete einige Wochen später dem Kongress von dem Triumph, den die Reise der Soldaten den noch jungen Vereinigten Staaten von Amerika gebracht hatte. Nun konnte Anspruch erhoben werden auf das gesamte Gebiet zwischen Atlantik- und Pazifikküste, das im Süden nur durch die kränkelnde Kolonialmacht Spanien und im Norden und Westen durch das in den Revolutionskriegen in die Schranken verwiesene England begrenzt wurde. Dieses Territorium war bislang nur vereinzelt von Europäern bereist worden, und die Kenntnisse über die Westküste des Kontinents stammten von Seefahrern. Ein Ziel der Expedition war es, eine kontinentale Passage zur Westküste aufzubauen, über die ein profitabler Handel mit den asiatischen Ländern jenseits des Pazifiks organisiert werden konnte, welcher bis dato per Schiff um Kap Horn herum lief.

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William Clark

Im Vordergrund der Expedition, ganz im Geiste des europäischen Kolonialismus, stand aber die Sicherung des Anspruchs auf ein Territorium, welchen der US-amerikanische Kapitän Robert Gray im Mai 1792 für die Vereinigten Staaten geltend gemacht hatte, indem er ein Stück den - später nach seinem Schiff benannten – Columbia River hinaufgesegelt war. Dieser Anspruch wurde von den Briten hinterfragt. Die Expedition von Clark und Lewis hatte somit die Aufgabe, durch eine Erfassung des Territoriums deutlich zu machen, dass die Amerikaner es ernst meinten mit ihrem Anspruch. Die in diesem Gebiet lebenden indianischen Gruppen wurden dabei nicht gefragt.

Hauptmann Lewis kam aus einer Familie, die durch Landspekulationen und andere Geschäfte ein Vermögen gemacht hatte und zum noch frischen Establishment der Union gehörte. Als er von Präsident Jefferson den Auftrag bekam, den Westen zu erkunden, bat er Clark, sein „Co-Captain“ zu werden. Clark, unter dem Lewis in seiner sechsjährigen Militärkarriere gedient hatte, wurde allerdings „nur“ zum Oberleutnant mit der Bezahlung eines Hauptmanns ernannt, was vor den Expeditionsteilnehmern geheim gehalten wurde (erst Bill Clinton beförderte ihn posthum im Jahre 2001 in den Rang eines Hauptmanns). Clark war in der Schlacht von Fallen Timbers gegen eine indianische Allianz unter Little Turtle dabei gewesen und hatte auch nachfolgend längere Zeit im Militär gedient. Er war also in mancher Hinsicht der erfahrenere Mann.

Lewis und Clark stellten im Winter 1803/04 in St. Louis ihre Mannschaft zusammen. Die Männer waren zwar größtenteils an das Überleben in der Wildnis gewöhnt, mussten aber in den Augen der Offiziere noch die notwendige militärische Disziplin lernen. Lewis und Clark sammelten außerdem Informationen über die zu erwartenden Schwierigkeiten und vor allem über die entlang der Route lebenden indianischen Gruppen.

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Eine Folge der weißen Besiedlung war ab der Mitte des letzten Jahrhunderts die Errichtung von Staudämmen, die dem flussaufwärts ziehenden Lachs, Nahrungsgrundlage der indigenen Bevölkerung am Columbia, den Weg versperrten. Foto: Ch. Carstensen

Die indianische Seite

Lewis und Clark hatten die explizite Anweisung des Präsidenten, zu den jeweiligen indianischen Nationen friedliche Beziehungen aufzubauen. Aber sie sollten ihnen auch klar machen, dass sie nun einen „weißen Vater“ in Washington hätten und daher in Zukunft jeglichen Handel mit Amerikanern und nicht mehr mit den Briten und den Franzosen abwickeln sollten. Für alle ihnen bekannten indianischen Gruppen hatten die Offiziere Geschenke und Tauschobjekte wie Perlen und Tabak eingekauft und sogar vorab, je nach Größe der Stämme, entsprechend abgepackt.

Lewis und Clark wussten von den überwiegend fest siedelnden Stämmen am (oberen) Missouri, die einen regen Handel mit britischen und französischen Händlern betrieben, und von einigen der Gruppen am Columbia River. In ihren Aufzeichnungen werden die Sioux als aggressiv dargestellt, die mit allen Mitteln versuchen würden, die Kontrolle über den Handel zum oberen Missouri zu behalten. Händler und Jäger hätten, so die Notizen, üble Erfahrungen mit den Sioux gemacht, einige sogar die Begegnung mit ihnen mit dem Leben bezahlt. Die Tagebuch-Eintragungen der Expedition Ende September 1804 weisen dann auch auf eine konfliktträchtige Begegnung hin. Mehrfach stand man an der Schwelle zum Gefecht, und nur durch die militärische Stärke und Entschlossenheit der Expeditionsteilnehmer, so die Offiziere, haben die Sioux sprechenden Teton nachgegeben und den Amerikanern freie Fahrt gewährt.

Von indianischer Seite hingegen wird dieser Abschnitt der Lewis-und-Clark-Reise etwas anders interpretiert. Der Oglalla-Teton-Ethnologe Craig Howe geht davon aus, dass die Begegnung mit den Sioux die Expedition überraschte. Die Offiziere hätten nicht damit gerechnet, Teton-Gruppen am Fluss anzutreffen. Sie hätten keine Geschenke für diese vorgesehen gehabt und konnten daher auch keine verteilen. Darüber kam es zu einer explosiven Situation. Die Offiziere hätten nur mithilfe einer Geiselnahme die Situation entschärfen können. Da es nun zu einer Konfrontation gekommen und dadurch die Anweisung des Präsidenten, die friedvollen Absichten der USA deutlich zu machen, unterlaufen worden sei, fürchteten Lewis und Clark (so die Interpretation Howes) um ihre Reputation. Sie hätten im Nachhinein Aufzeichnungen und Tagebucheintragungen so geändert, dass ihr Vorgehen gerechtfertigt gewesen sei. Die Teton-Sioux seien als Bösewichte gebrandmarkt worden, denen man die Grenzen ihrer Macht hätte aufzeigen müssen – ein Stigma, das lange Zeit erhalten blieb.

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Lewis-und-Clark-Expedition

Am oberen Missouri überwinterte das Corps of Discovery 1804/05 in der Nähe der Mandan-Siedlungen. Mit den Mandan wurden freundliche Kontakte gepflegt, Handel getrieben und Wissen getauscht, kurz, eine intensive Beziehung aufgebaut. Es kamen neue Mitglieder zur Mannschaft hinzu, von denen Sacagawea heute die bedeutendste und bekannteste ist. Sacagawea war eine Lemhi-Shoshoni und als junges Mädchen von den Hidatsa entführt worden. Nun war sie die Frau des französischen Trappers Toussaint Charbonneau, der im Corps aufgenommen wurde. Sie hatten einen sechs Wochen alten Sohn, der, in ein Tragetuch oder Wiegenbrett eingebunden, ebenfalls mit auf die Reise kam.

Die Anwesenheit von Sacagawea erwies sich für die Expedition in mehrfacher Hinsicht als außerordentlich nützlich. Sie rettete nicht nur einen Teil der Lewis' schen Aufzeichnungen aus den Strudeln des Missouri, nachdem ein Boot aufgrund der Ungeschicktheit ihres Mannes gekentert war, sondern war schon durch ihre Anwesenheit als Mutter mit Kind für andere Indianer ein Zeichen für eine friedliche Absicht der Reisetruppe. Darüber hinaus informierte sie Lewis und Clark über das vor ihnen liegende Terrain, gab Informationen zu Pflanzen und Tieren und erwies sich als unersetzbare Dolmetscherin in mehreren Begegnungen mit indianischen Gruppen. Am bedeutsamsten war aber sicherlich das Wiedersehen mit ihrem eigenen Stamm am Lemhi-Pass, wo Lewis und Clark auf ein Treffen mit den Shoshoni hofften, um von diesen Pferde zu bekommen. Der Missouri war hier auf Bachgröße geschrumpft, sodass eine Weiterfahrt auf dem Wasser nicht infrage kam. Über die erste Begegnung mit den Shoshoni schrieb Lewis, dass drei von ihnen überraschte Shoshoni-Frauen ihren Kopf in Erwartung des Todes senkten, da sie in den Weißen Angehörige der gefürchteten Blackfeet, Arikara oder Hidatsa vermuteten. Lewis übergab ihnen Geschenke, was den Anführer der inzwischen zur Hilfe herbeigeeilten Männer von der Friedfertigkeit der Weißen überzeugte. Die Angst, in einen Hinterhalt der indianischen Feinde zu geraten, hielt die Shoshoni zunächst davon ab, mit über den Pass zum Rest der Truppe zu kommen. Groß war die Überraschung, als sich herausstellte, dass der Anführer der Gruppe, Cameahwait, der Bruder von Sacagawea war. Nur diesem Umstand war es zu verdanken, dass die Shoshoni Lewis und Clark schließlich einige Pferde verkauften und ein Führer sie durch die Bitterroot-Berge bis zu den Flathead und Nez Perce führte. Diese wiederum, so die indianische Variante der Geschichte, waren erst nach der Intervention einer alten Nez-Perce-Frau bereit, das Corps of Discovery freundlich zu empfangen.

Bei den Nez Perce baute sich die Truppe Einbaum-Boote, mit denen sie Anfang Oktober ihre Fahrt den Fluss hinab begann und innerhalb von vier Wochen an den Pazifik gelangte. Auf diesem Abschnitt der Reise hatte die Expedition nicht mehr viel Zeit für die unterwegs angetroffenen indianischen Gruppen. Sie versuchte nun so schnell wie möglich ihr Ziel, den Pazifik, zu erreichen, um sich auf den Winter vorzubereiten. Die am Columbia lebenden Indianer waren Lachsfischer, Jäger und Händler, die sich regelmäßig auch in Celilo an den großen Stromschnellen des Flusses, in der Nähe des heutigen The Dalles (Oregon), trafen. Sie handelten mit europäischen Waren, die von der Küste kamen, und kannten zur Überraschung der Expeditionsteilnehmer einzelne englische Begriffe. Die Weißen wurden von ihnen nicht mit Ehrfurcht empfangen. Sie waren nur eine unter vielen möglichen Handelsparteien. Da die Truppe, statt den beim Handel üblichen Respekt und Tribut zu zollen, nur so schnell wie möglich weiter wollte, kam es bald zu Missstimmigkeiten, die zum Beispiel von Pat Courtney Gold, einer Angehörigen der Wasco-Nation und damit Nachfahrin der negativ beschriebenen Indianer, unter anderem im Internet ausführlich kommentiert werden.

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La-ka-koosh Selam fischt hier von einer Plattform in den Stromschnellen der Sherar’s Falls am Deschutes River mit einem „Dip net“ nach Lachs. Foto: Ch. Carstensen

Folgen

Die durch die Expeditionsteilnehmer vorbereitete Eroberung und Besiedelung des Westens nahm ihren Lauf, und die indianischen Ureinwohner landeten schließlich auf Reservationen oder, ab der Mitte des 20. Jahrhunderts, als ethnische Minderheiten in urbanen Ballungsgebieten. Eine Revitalisierung indigener Kultur(en) und Gesellschaft(en) ist seit den 1960er-Jahren zu beobachten. Es gilt, als Indianer in der Gegenwart zu leben und dabei indianische und US-amerikanische Kulturen miteinander zu verbinden. Das „Corps of Discovery“ wird auf indianischer Seite als Wendepunkt wahrgenommen, der einen immensen Wandel für die indigenen Gesellschaften einleitete, gleichzeitig aber auch als „austauschbarer Vorbote“ gesehen. Wären es nicht Lewis und Clark gewesen, die den Missouri hinauf und den Columbia hinunter gezogen wären, so wären über kurz oder lang sicher andere Amerikaner gekommen, die den gewaltsamen Wandel in Gang gebracht hätten.

Die Feiern zum 200. Jahrestag der Lewis-und-Clark-Expedition bieten für indianische Nationen weniger einen Grund zum Feiern als zum Erinnern. Lewis und Clark machten mit ihrer Reise den Anspruch der USA auf das Gebiet deutlich und legten mit ihren Aufzeichnungen die Grundlage für eine „Erschließung“ des durchquerten Terrains. Bis heute steht der Vorwurf im Raum, dass US-Amerika Versprechen nicht gehalten und rechtsgültige Verträge mit indianischen Völkern gebrochen habe. Dies geschah aufgrund einer eng mit dem Kolonialismus verknüpften Überlegenheitsvorstellung anderen Menschen und Kulturen gegenüber, die die eigenen Werte und Vorstellungen als allgemeingültig und absolut ansah, die in der Welt durchzusetzen seien.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008