EDITORIAL

Das Schwerpunktthema Devereux und die Ethnopsychoanalyse stellt eine Richtung in der Ethnologie dar, die aus der Verbindung zur Psychoanalyse wesentliche Einsichten in die „Natur des Menschen“ oder vielleicht besser „Kultur der Menschen“ gewinnt. Georges Devereux (1908–1985) ist die Einsicht zu verdanken, dass da, wo Menschen über menschliches Verhalten forschen, immer auch bewusste oder unbewusste Ängste bei der Begegnung mit dem “Forschungsobjekt“ einfließen. In der Nachfolge von Freud hat der Ethnologe und spätere Psychoanalytiker Devereux das Konzept von Übertragung und Gegenübertragung in die Feldforschung eingeführt, um die Verzerrungen der eigenen Wahrnehmung zu analysieren und dadurch die Forschungsergebnisse zu korrigieren. Auf diesen Aspekt weisen besonders Peter Möhring und Volker Friedrich in ihren Beiträgen hin.

Devereux’ Werk hat wesentlich dazu beigetragen, dass sich die Ethnologie von einer Hilfswissenschaft des Kolonialismus zu einer Wissenschaft des Verhältnisses „vom Eigenen und Fremden“ entwickeln konnte und - zumindest potentiell - eine Kommunikation auf Augenhöhe zwischen kulturell Fremden möglich wurde. Das mag die Betrachtung von Wolfgang Schreiber verdeutlichen, der mit dem „kulturellen Hebel“ (einem Begriff von Devereux) nachzeichnet, wie ethnographisches Detailwissen auch in einer praktischen Therapie gewinnbringend ist. Es handelt sich dabei um eine erste genau dokumentierte analytische Psychotherapie durch den us-amerikanischen „Staff Ethnologist“ am Winter Veterans Administration Hospital in Topeka“, wie er im Klappentext des Buches "Reality and Dream. Psychotherapy of a Plains Indian (1951)" charakterisiert ist. Diese Fragestellungen waren im Rahmen der „Culture and Personality“ -Studien der damaligen Zeit brandaktuell.

Aber auch die Psychologie/Psychoanalyse hat aus der Begegnung mit kulturell Fremden weitere Einsichten in ihre Wissenschaft von der Psyche gewinnen können. Besonders im Umgang mit MigrantInnen und ihren psychischen Traumata sind Erkenntnisse der Psychoanalyse in die Kultur des Menschen von Bedeutung. Eine Fallstudie von Volker Friedrich belegt die fruchtbare Begegnung von Ethnologie und Psychologie, die in Deutschland auf eine lange Geschichte zurückblicken kann, wenn man zum Beispiel an Wilhelm Wundt denkt. Im Zusammenhang mit dem Thema steht auch der Beitrag von Reiner Büch, in dem auf den heute im 94sten Lebensjahr stehenden Kulturpsychologen und Psychoanalytiker Ernst E. Boesch verwiesen wird, der als Wahlverwandter Devereux’, schon in den 1960er-Jahren Forschungen in Thailand zur Arzt-Patienten-Beziehung unternahm und dabei mit Ethnologen in seinem damaligen Saarbrücker Stab zusammen arbeitete.

Die Beiträge sind Kurzfassungen der im Rahmen der letzten jährlichen Tagungen (2005-2008) der Arbeitsgemeinschaft Ethnomedizin gehaltenen Vorträge, die programmatisch den interdisziplinären Aspekt thematisierten.

Dieses Schwerpunktthema ist in Zusammenarbeit mit Ekkehard Schröder, Herausgeber der Zeitschrift Curare der Arbeitsgemeinschaft Ethnomedizin, entstanden.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008