KUNST UND POLITIK IN INDONESIEN

Der balinesische Maler Masriadi

Von Achim Sibeth

Kunst und Politik in Indonesien
I Nyoman Masriadi Kembali ke Sekolah (Zurück zur Schule) 1999. 145 x 302 cm, Acryl auf Leinwand. Inv.Nr.: 63.672. Foto: S. Beckers. Sammlung Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main

Politische Ansichten und Meinungen in Kunstwerken darzustellen und zu verbreiten ist für westliche, an Demokratie und Meinungsfreiheit gewöhnte Künstlerinnen und Künstler nichts Ungewöhnliches. Für viele westliche Künstler ist es gar ein Muss, gesellschaftskritische Fragen und Themen künstlerisch in Szene zu setzen, vielleicht sogar öffentlich an den Pranger zu stellen. Kritik zu üben ist in westlichen Demokratien nicht verboten, es wird sogar gerade von Intellektuellen und Künstlern erwartet. Und die Betrachter von Kunstwerken sind durch Erziehung und gesellschaftliche Verhältnisse darauf eingestellt, gesellschaftskritische Aspekte in Kunstwerken zu erkennen und zu reflektieren. Natürlich sind auch in unserer Gesellschaft nicht alle Künstler an Politik und gesellschaftlichen Problemen interessiert, nicht jeder setzt sich in seinen Werken mit ihnen auseinander. Neben politisch motivierter Kunst existiert immer auch vermeintlich unpolitische Kunst.

Im Folgenden möchte ich anhand eines Bildes aus der Kunstsammlung des Museums der Weltkulturen Frankfurt am Main darstellen, wie Künstler in einem Land wie Indonesien zur gesellschaftskritischen Kunst stehen und fragen, ob sie in ihren Werken überhaupt politische Aussagen treffen dürfen und wollen.

Im Vergleich zu Europa ist in Indonesien, dem an der Bevölkerung gemessen viertgrößten Staat der Erde, das Verhältnis von Künstlern und Politik aus historischen Gründen alles andere als entspannt. Nach ca. 350 jähriger Fremdbestimmung durch die Niederländer erreichte der heutige Nationalstaat Indonesien 1949 seine politische Unabhängigkeit. Erst zu Anfang des 20. Jahrhunderts hatte die niederländische Kolonialverwaltung vermehrte Anstrengungen unternommen, den Bildungsstand der Indonesier zu erhöhen. Die Niederländer gründeten Schulen und erste Universitäten und boten auch Kunsterziehung als Unterrichtsthema an. Für niederländische und andere westliche Künstler wurde Indonesien zu einem beliebten Reiseziel, da die ‚Exotik’ von Land und Leuten lockten. Auf Java unterrichteten sie an den Hochschulen, auf Bali entstanden eher informelle Unterrichtsformen durch persönliche Kontakte mit balinesischen Künstlern.

Die nationale Selbständigkeit Indonesiens wurde unter der Herrschaft des ersten Präsidenten Soekarno erreicht. Anfängliche demokratische Ansätze im politischen und gesellschaftlichen System endeten jedoch im blutigen Putsch von 1965, der mehrere Hunderttausend Indonesier das Leben kostete oder für viele Jahre der Freiheit beraubte. Die ‚Neue Ordnung’ (orde baru) von Soekarnos Nachfolger Soeharto war geprägt von dem Trauma, das die mehrere Monate dauernden Verfolgungen und Blutbäder in diesem Bürgerkrieg auslösten. Zensur, Bespitzelung und staatlich-militärische Überwachung kennzeichneten die Qualität der Herrschaft durch die Soeharto-Familie und ihrer Militärverbündeten. KKN (korrupsi, kolusi, nepotisme = Korruption, Verschwörung und Vetternwirtschaft) wurden zu allumfassenden Merkmalen der gesamten indonesischen Gesellschaft. Der staatlich verordnete und kontrollierte Lehrplan an den Schulen und Universitäten wurde den Zielen der neuen Machtelite untergeordnet; eine Erziehung zu intelligenten, selbständig denkenden und kritischen Bürgern war nicht vorgesehen. Wer am herrschenden System Kritik übte oder auf Missstände hinwies, lief erhebliche Gefahr, seinen Job zu verlieren, im Gefängnis zu landen oder einfach spurlos zu verschwinden.

Unter diesen undemokratischen und auch bezüglich der Menschenrechte inakzeptablen gesellschaftlichen Verhältnisse wurden kritische Geister mundtot gemacht oder in den Untergrund gezwungen. Ein offener Diskurs über gesellschaftliche Werte war in dieser über 30 Jahre dauernden Periode kaum möglich. Der Sturz der Soeharto-Oligarchie im Jahr 1998 eröffnete erstmals Chancen, der Vorherrschaft des Militärs und der undemokratischen Verhältnisse ein Ende zu bereiten. Die neue Freiheit, den Indonesiern durch die ersten Ansätze einer wachsenden Demokratisierung des Landes schmackhaft gemacht, hatte auch auf die Kunstszene Auswirkungen. Vor allem an der Gajah Mada-Universität in Yogyakarta, die schon seit längerem das Zentrum geistiger und politischer Erneuerungsbewegungen war und als die unruhigste indonesische Hochschule gilt, befreiten sich die Kunststudenten von den gesellschaftlichen Zwängen der Soeharto-Ära. Vor allem hier entwickelte sich eine politisch orientierte Künstlerszene, die in ihren Bildern erst zaghaft anfingen, politische Meinungen und gesellschaftliche Probleme zu visualisieren.

Zu diesen Künstlern gehört der balinesische Künstler I Nyoman Masriadi, der am Institut Seni Indonesia in Yogyakarta auf der Insel Java seine künstlerische Ausbildung erhielt und auch heute noch dort lebt und arbeitet. Politische Manifeste finden sich jedoch in seinem Werk nur selten, Masriadi ist alles andere als ein Propagandist, denn die meisten seiner Arbeiten nehmen auf die Tagespolitik keinerlei Bezug. Dennoch gehört er zu jenen jungen Künstlern Indonesiens, die sich zunehmend bewusster mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und den ungewohnten, neuen politischen Rahmenbedingungen und Möglichkeiten auseinandersetzen. Doch wie viele andere auch bleibt Masriadi vorsichtig und zurückhaltend. Direkte Kritik ist in Indonesien aus Gründen der kulturellen Tradition ein gesellschaftliches Tabu, daher verpackt Masriadi seine kritischen Aussagen – wie viele andere Künstler Indonesiens – in eine humorvolle bis maximal ironische Bildsprache. Das Vertrauen der Künstler in eine demokratische Zukunft scheint noch nicht sehr gefestigt zu sein. Und sicherlich sind die jüngsten militärischen Auseinandersetzungen in Aceh (Nordsumatra) und der Provinz Papua (früher Irian Jaya) mit all ihren unmenschlichen Übergriffen, von denen wir aus der Weltpresse erfahren, nicht dazu angetan, das Vertrauen der indonesischen Intelligenzia in die Demokratie zu stärken.

Masriadis Malstil ist wenig realistisch, auch wenn er vor allem Figuren-Szenen malt. Gesichter sind selten als Porträts zu erkennen, die Körper meist stämmig und mit großen Muskelpaketen bepackt. Masriadi verzichtet in den meisten mir bekannten Bildern auf einen perspektivisch angelegten Hintergrund und präsentiert seine großvolumigen Körper vor eher neutral gehaltenen Flächen. Er ergänzt seinen relativ plakativen Malstil mit zusätzlich erläuternden Texten in Sprechblasen, die den Bildern jedoch nicht ihre Titel geben.

In dem über drei Meter breiten und in seiner klaren Aussage recht einzigartigen Bild „Kembali ke Sekolah“ = „Zurück in die Schule“, das Masriadi 1999 gemalt hat, klagt er relativ eindeutig das indonesische Militär an. Anlass dieses Bildes waren die auch in Indonesien bekannt gewordenen Menschenrechtsverletzungen, die indonesische Militärs 1999 in Osttimor begingen. In der Bildmitte stellt er hochrangige Militärs dar, die Schüsse aus Revolvern abfeuern – also nicht nur Befehle erteilen, sondern sich selbst der Gewaltanwendung schuldig machen. Vor und hinter ihnen zeigt Masriadi in neben- und übereinander angeordneten Versatzstücken weitere Aspekte und Belege militärischer Gewaltanwendung.

Der Titel „Zurück in die Schule“ verweist auf seine Einschätzung, dass die Täter nach seinem Empfinden erneut die Schulbank drücken müssen, um ihre Menschlichkeit wieder zu erlernen. Diese Interpretation – aus seinem Munde überliefert – entspricht in ihrer Intention der indonesischen Vorstellung, dass Menschen nicht aus reiner Böswilligkeit, sondern aus Unkenntnis und Unreife falsch handeln. Man müsse sie nur entsprechend bilden und informieren, dann würden sie die Falschheit ihres Tuns und Denkens schon einsehen. In Anbetracht der aktuellen Berichte über bürgerkriegsähnliche Zustände, über Ermordungen, Folter und Vergewaltigungen durch Soldaten in Aceh existiert bei indonesischen Militärs sicherlich ein recht hoher Schulungsbedarf.

Künstlerbiographie:

I Nyoman Masriadi
* 1973 in Batuan Kaler, Sukawati

Kunstausbildung:
Seit 1993 ISI Yogyakarta
Seit 1995 rege Ausstellungsbeteiligung in Yogyakarta, Surakarta, Ubud, Seminyak, Jakarta sowie in Den Haag und Dordrecht, Niederlande.

1993
The Final Assignment of SMSRN Denpasar
1995
PKB XVII Denpasar ‘Two years of Kamasra STSI Denpasar’
1996
PKB XVIII Denpasar; Bali Cliff Resort ‘Three years of Kamasra STSI Denpasar’
1997
‘Dies Natalis XXX’ STSI Denpasar
‘Angkatan 94' Ausstellung im Art Center Denpasar
‘Four years of Kamasra STSI Denpasar’ in Tabanan
‘Benda Seni & 1/2 Seni’ Ausstellung in Joger, Kuta
Mit der STSI Denpasar in Canberra Australia
1998
‘Angkatan 94' Ausstellung in Lombok
‘Pra KS I’ in der STSI Denpasar
‘Parade 1001 Meter Seniman Bali’ im Bali Hyatt Sanur
‘Five years of Kamasra STSI Denpasar’ in der Sahadewa Gallery, Batuan
‘98 Art Reflection’ in der Darga Gallery, Sanur
1999
Ausstellung der Poleng Kesiman Group in der Sahadewa Gallery ‘Tugas Akhir’, STSI Denpasar
Teilnahme an 6. Biennale in Yogyakarta
“Knalpot“ in Cemeti Art House, Yogyakarta
2000
Sridatu Gruppenausstellung im Hotel Sanur Beach
‘Himpestrada’ im Museum Negeri Bali
„Sekuntum Asa untuk Millenium Tiga“ im World Trade Center, Jakarta
„Figur di Abad Baru“ in Edwin Gallery, Jakarta
2001
'Sesari' Ausstellung im Titik Dua Building, Denpasar
'Imajinasi dan Warna' Ausstellung in der Bizete Gallery, Jakarta
'Lima Warna' in der Rare Angon Gallery, Sanur
'Oriental' Ausstellung mit 'Kelompok 5' im Art Center Denpasar
Einzelausstellung: ‘The Sides of Woman' in der Paros Gallery, Sukawati
2002
„36 Ideas from Asia, Contemporary South-East Asian Art“ Singapore Art Museum, Singapore
„36 Gedanken aus Asien“ Museum Küppersmühle Sammlung Grothe Duisburg, Stiftung für Kunst und Kultur e.V. Bonn.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008