DER EWIGE KAMPF ZWISCHEN GUT UND BÖSE

Barong und Rangda auf Bali / Indonesien

Von Achim Sibeth

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Mythisches Ungeheuer barong kékét. Private Sammlung. Foto: Stephan Beckers

Religiöse Zeremonien und Dorffeste auf Bali zeichnen sich durch Tanzveranstaltungen aus, die entweder in den Tempeln oder in ihrer Nähe aufgeführt werden, nach rituellen Regeln der Tradition aber immer auch zur Unterhaltung der Zuschauer. Zu den meisten Veranstaltungen gehört der Auftritt von zwei sehr eindrucksvollen Gestalten, die man als Protagonisten des Kräfteverhältnisses zwischen kaja und kelod , zwischen Gut und Böse, bezeichnen kann.

Das große und mächtige, mythische Ungeheuer Barong gilt in seiner Verkörperung des Schutzgeistes Banaspati Raja als Wächter und König der Totenseelen. Er ist dafür verantwortlich, dass Totenseelen und übel wollende Geister ( bhuta kala ) die Lebenssphäre der Menschen nicht heimsuchen. Zudem heilt er Krankheiten, vertreibt Krankheitsgeister und bewahrt Dörfer, Gehöfte und ihre Bewohner vor schwarzer Magie, Hexerei und unerwarteten Todesfällen. Er ist der wichtigste Schutzgeist der Menschen. Banaspati Raja kann in verschiedenen Maskenkostümen auftreten. Am bekanntesten ist er in seiner Gestalt als löwenähnliches Ungeheuer barong kèkèt , das mit seinen fast vier Metern Länge einen wahrhaft imposanten Eindruck macht. Sein von zwei Tänzern getragenes zotteliges Kostüm besteht aus schwarzen Fasern der Zuckerpalme oder aus weißlichen Fasern der Ananaspflanze sowie aus Leder- bzw. Pergament-Besatzstücken, die mit punzierten (eingestanzten) Mustern und Goldfassung versehen sind. Die relativ kleine Gesichtsmaske ist aus Holz geschnitzt und überwiegend in Rottönen gehalten. Der Unterkiefer ist beweglich, sodass der Barong beim Auftritt klappernde Geräusche von sich geben kann. Große hervorquellende Augen, die grobe Nase mit den weit geöffneten Nasenlöchern und seine mächtigen Eckzähne sind Hinweise auf seinen dämonischen Charakter. Der am Unterkiefer befestigte Bart aus Menschenhaar gilt als mächtigster Teil und wird mit weißen, wohlduftenden frangipani -Blüten geschmückt. Der lange, weit aufragende Schwanz des Barong ist mit punzierten Lederstücken versteift. Von den beiden Maskenträgern sieht man nur rot-weiß-schwarz gestreifte Hosen und Füße.

Neben barong kèkèt gibt es noch viele unterschiedliche Barong-Maskenkostüme. Zum Beispiel die eines Ehepaares in nahezu doppelter Lebensgröße ( barong landung ), deren Masken als besonders kraftgeladen gelten. Banaspati Raja kann alle diese Barong-Gestalten annehmen. Er lebt als Schutzgeist und Herr der Totenseelen und Dämonen in Bäumen, die man auf Friedhöfen angepflanzt hat. Seine Maske wird traditionell aus dem Holz des pulé -Baumes (Alstonia scholaris) geschnitzt. Um sie wirksam zu machen, reinigt, weiht und belebt der Brahmanen-Priester padanda die Maske während einer Tempelzeremonie. Danach ist der Barong so kraftgeladen, dass der Priester mit seiner Hilfe das geheiligte Wasser ( toya tirta ) für die häufigen rituellen Reinigungszeremonien herstellen kann. Er gießt Wasser über den Bart des Barong und fängt es wieder auf. Damit ist das Wasser wirksam und verfügt nun über heilende Kräfte, die zum Beispiel in Trance gefallene Tänzer wieder aus ihrer Trance befreien oder Krankheiten vertreiben können. Das Barong-Kostüm darf wegen seiner magischen Kräfte niemals den Boden berühren. Lagert es im Dorftempel oder dem Gehöft eines wohlhabenden und einflussreichen Mannes, so wird es in einem speziellen Gebäude aufbewahrt, indem man es über zwei hohe Ständer legt oder aufhängt. Die Maske des Barong wird mit einem weißen Tuch bedeckt. Tritt der Barong zum Beispiel bei einer Tempelzeremonie auf, so wird er seitlich von zwei großen Ehrenschirmen flankiert. Ein dritter Schirm steht meist an seinem hinteren Ende.

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Maske der Hexe Rangda. Anfang 20. Jh. Foto: Rudolf Nagel. Sammlung Weltkulturen Museum

In seiner Gestalt als barong kékét trifft der Schutzgeist Banaspati Raja bei vielen Aufführungen auf seine direkte Gegenspielerin, die Hexe Rangda. In Rangda inkarniert sich die Göttin der Unterwelt Durga, die Anführerin der gefährlichen Hexen leyak . Sie hat als Wächterin des Friedhofs dort auch ihren Wohnsitz. Der Name "Rangda" bedeutet bei den Balinesen "Witwe", und vor der Ehefrau eines Verstorbenen, eines Geistes also, hat man gewöhnlich Angst. Auch Rangdas Kostüm und Maske werden an einem besonderen Ort aufbewahrt, dem pura dalem , einem immer meerwärts gelegenem Tempel. Ihre meist weiße Maske mit großen hervorquellenden Augen, einem geöffneten Mund mit besonders langen Eckzähnen und heraushängender Zunge sowie langem zotteligem Haar, das den ganzen Rücken des Maskentänzers bedeckt, wird immer in einem Korb aufbewahrt. Auch das Kostüm mit schwarz-rot gestreiften Ärmeln, angenähten Hängebrüsten, engen Beinkleidern sowie Handschuhen mit Haarbesatz und extrem langen Fingernägeln wird im pura dalem aufbewahrt. Werden Barong und Rangda zu bestimmten Festen ausgestellt oder für Tanzaufführungen vorbereitet, liegt jeweils ein heiliges weißes Tuch über ihnen, das, mit magischen Zeichen und Symbolen versehen, die magische Kraft der beiden bis zum Beginn des Tanzes ruhen lassen kann. Bei ihren Auftritten hält Rangda dieses Tuch oft in ihren Händen. Ehrenschirme werden bei solchen Gelegenheiten auch für die Rangda aufgestellt. Begleitet wird sie von einer wechselnden Zahl von Schülerinnen – bis zu fünf Rangda-Masken können gleichzeitig auftreten –, aber alle sind Manifestationen ihrer selbst.

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Auftritt der Hexe Rangda. Denpasar, Bali. Foto: A. Sibeth

Barong und Rangda sind die Hauptfiguren in dem Spielzyklus Calon Arang. Hier findet der Kampf statt zwischen der Göttin Durga, die sich in der Gestalt der Rangda inkarniert, und dem Exorzismuspriester Mpu Paradah, der in der Gestalt des Barong auftritt. Dieser Maskentanz wird in den Nachtstunden, wenn die magischen Kräfte der Geister- und Dämonenwelt am stärksten sind, außerhalb des Friedhofs in der Nähe des Tempels pura dalem aufgeführt. Der Höhepunkt der Auseinandersetzung findet um Mitternacht statt. Dieser Zeitpunkt ist in vielen Kulturen besonders gefährlich (auch in Deutschland glaubt man an die Geisterstunde, in der die Toten ihre Särge verlassen und als Gespenster ihr Unwesen treiben). Der Spielzyklus endet damit, dass Mpu Paradah nach langen dramatischen Kämpfen Calon Arang besiegt.

Alle Kämpfe zwischen Barong und Rangda sind gekennzeichnet durch eine ungeheure Dramaturgie. Ihr Kampf ist enorm dynamisch und von intensiver Wirkung auf die Zuschauer und sonstigen Beteiligten. Das Gamelan-Orchester, das aus verschiedenen Metallophonen, Xylophonen und Trommeln besteht, begleitet die Auftritte der beiden und ihres Gefolges auf eindringliche Art und Weise. Die räumliche Nähe zum gefürchteten Friedhof, zu den Seelen Verstorbener, zu Dämonen und anderen übernatürlichen Mächten wie auch die real empfundene Anwesenheit der gefährlichen Hexe Rangda tragen ebenfalls erheblich zur magischen Wirkung der Maskenauftritte bei. Im Verlauf des Auftritts fallen einige Zuschauer und Priester in Trance, aus der sie mithilfe von heiligem Wasser wieder zurückgeholt werden. Diese Trance ist fester Bestandteil innerhalb der Auseinandersetzung zwischen Barong und Rangda. Denn zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte, wenn im Kampf zwischen den beiden das Pendel zugunsten der Hexe Rangda auszuschlagen scheint, kommen dem Barong unmaskierte Tänzer zu Hilfe, die mit ihren Messern ( keris ) versuchen, Rangda zu töten. Rangda ist jedoch viel stärker als die Keris-Tänzer, sie versetzt sie in Trance und zwingt sie mit ihrer Magie, die keris gegen sich selbst zu wenden. Die Tänzer pressen die Dolchspitze gegen ihre Brust, werfen sich zu Boden und wälzen sich in heftigen Bewegungen hin und her. Die magischen Kräfte von Barong verhindern aber, dass sich die Tänzer selbst erdolchen. Trotz der erkennbaren Kraft, mit der sie die Dolche gegen sich richten, verletzt sich keiner der Tänzer. Ein Priester kümmert sich mit Unterstützung des Barong um die in Trance Gefallenen, die nach und nach wieder erwachen.

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Priester und Barong holen einen Keris-Tänzer aus der Trance zurück. Denpasar, Bali. Foto: A. Sibeth

Dieser Keris-Tanz ist der Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Barong und Rangda. Er versinnbildlicht die magischen, übernatürlichen Kräfte der Rangda, die den Barong in große Bedrängnis bringen und seine menschlichen Helfer (die Keris-Tänzer) in einen totenähnlichen Trancezustand versetzen können. Rangda steht damit repräsentativ für die dämonischen Kräfte der Unterwelt, die den Menschen gefährlich werden können. Barong, als ihr Gegner, repräsentiert zwar ebenfalls ein mythisches Ungeheuer, doch er setzt seine magischen Kräfte zum Guten für die Menschen ein. Beide treten bei krisenhaften Situationen auf. Es sind Zeitpunkte im Jahresablauf, bei denen man Grund hat, eine Gefahr für Leib und Seele oder auch für den Zusammenhalt der Gemeinschaft zu sehen. Oder aber es sind religiöse Feiertage, an denen man sich der prophylaktischen Wirkung einer rituellen Reinigung versichern will. Auf Bali wählt man also nicht nur Zeitpunkte, wenn nach vorherrschendem Verständnis das Böse bereits die Macht oder auch nur ein momentanes Übergewicht gewonnen hat, sondern auch Zeitpunkte, bei denen man glaubt, dass man mithilfe dieser rituellen Maskenauftritte dazu beitragen kann, dass das Böse erst gar nicht mächtiger als das Gute wird.

Die im Maskentanz von Barong und Rangda dargestellte Auseinandersetzung ist der allgemein bekannte Kampf zwischen Gut und Böse, den in vielen Kulturen der Protagonist des Guten für sich entscheidet. Aber im Gegensatz zu der westlichen Vorstellung, dass jeder Mensch mit seinen Problemen und Krisen – im Sinne eines Kampfes zwischen Gut und Böse – alleine fertig werden muss, wird in Bali der Einzelne mit seinen Problemen nicht allein gelassen, sondern die Familie und auch die Dorfgemeinschaft nimmt aktiven Anteil an dem Schicksal ihrer einzelnen Mitglieder. Nach balinesischem Verständnis betrifft eine krisenhafte Situation, in der sich ein einzelnes Familienmitglied befindet, nicht nur es allein, sondern in jedem Fall auch die ganze Gemeinschaft. Darüber hinaus beinhaltet die Vorstellung, dass Gut und Böse untrennbare Bestandteile eines Ganzen sind – das Gute prinzipiell nicht existieren kann, ohne dass das Böse in irgendeiner Form anwesend ist –, die Bereitschaft zu akzeptieren, dass zu bestimmten Phasen auch das Böse die vorherrschende Kraft sein kann.

Zentral in der balinesischen Weltanschauung ist die Idee, dass sich die beiden extremen Kräfte im Idealfall in einem ausgewogenen Gleichgewicht befinden. Dieses Gleichgewicht aufrechtzuerhalten ist eine zentrale Verpflichtung. Die Existenz von Barong und Rangda, ihre Auftritte bei Prozessionen und Maskentänzen sowie ihre mitreißenden Kämpfe sind für die Balinesen sichtbare und nachvollziehbare Belege für die Schlüssigkeit und Richtigkeit ihres Konzeptes vom notwendigen und erreichbaren Ausgleich zwischen Gut und Böse. Einen unterlegenen Verlierer gibt es in der balinesischen Weltanschauung nicht.

Der vorliegende Artikel ist eine gekürzte Version meines Beitrages zur Ausstellung: „Mythos Maske. Ideen, Menschen, Weltbilder“ Frankfurt 1992; siehe Raabe, Eva. Ch.: 1992: 47-88.

Weiterführende Literatur

Ramseyer, Urs (1977):The Art and Culture of Bali. Oxford, New York, Jakarta: Young, E. F.
Ramseyer, Urs (1980): Topeng in Bali: Change and Continuity in a Traditional Drama Genre. Diss. San Diego
Zoete, Beryl de und Walter Spies (1938): Dance and Drama in Bali. London


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008