SAJAT-NOWA: „DER KÖNIG DES GESANGES UND DER MUSIK“

Von Armenuhi Drost-Abgarjan

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André "Darvish" Sevrugian, ca.1980. Illustration aus den Liedern Sajat-Nowas. Privatbesitz Dr. E. Sevrugian

Das künstlerische Werk des armenischen Malers André „Darvish“ Sevrugian (1894–1996) steht in der Tradition persischer Buchillustration. Die persische Buchkunst umfasste sowohl wissenschaftliche, wie auch philosophische oder poetische Texte, die meist sehr aufwändig illustriert wurden. Darvish hat sich mit seiner Arbeit ausschließlich poetischen Texten meist von persischen Dichtern und Sufigelehrten gewidmet. In seiner späten Schaffensperiode etwa ab 1980, hat er auch Gedichte und Lieder des armenischen Minnesängers Sajat-Nowa, der im 18. Jahrhundert in der Region des Kaukasus lebte, illustriert.


Mit Liedern kam und ging mit Leid, Sajat-Nowa,
Mit Dichtung kam und ging mit Wunden, Sajat-Nowa,
Mit Liebe kam und ging durch’s Schwert, Sajat-Nowa,
Doch blieb in Liebe Sajat-Nowa…
Howhannes Tumanjan (1945)

Nicht Jedermann kann es trinken,
Mein Wasser ist von anderem Gewässer,
Nicht Jedermann kann es lesen,
Meine Schrift ist eine ganz andere …
Sajat-Nowa (ca. 1759)
Übersetzung aus dem Armenischen von Armenuhi Drost-Abgarjan

Sajat-Nowa (gest. 1795), der bedeutendste Dichter und Volkssänger ( aschugh , Minnesänger oder Troubadour), des späten Mittelalters im Südkaukasus, wurde als Arutin Sajadean oder Sajatnean in der georgischen Hauptstadt Tiflis in einer Handwerkerfamilie armenischer Herkunft ca. 1712/1722 geboren. Der Vater, der Jerusalem-Pilger ( mahtesi ) Karapet, stammte aus Aleppo, seine Mutter Sara, war eine gebürtige Tifliserin aus dem vorwiegend von Armeniern bewohnten berühmten Stadtteil Hawlabar.

Die knappen Auskünfte über sein Leben und Werk sind seinem 1755-1759 am königlichen Hof geschriebenen und 1765 abgeschlossenen Liederheft Dawtar ( Tetrak ) und den Kolophonen, zweier von ihm 1761/62 und 1765/66 im Mönchspriesterstand kopierten Handschriften entnommen. Kolophone sind Schlussformeln in alten und mittelalterlichen Handschriften, die Angaben über den Schreiber, gegebenenfalls den Miniaturmaler, den Auftraggeber, die Entstehungszeit und die Umstände der Produktion des Manuskripts enthalten.

Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in der kaukasischen multinationalen Metropole Tiflis. Zur Ausbildung eines armenischen Kindes im 18. Jahrhundert gehörten das Erlernen eines Handwerks, Lesen und Schreiben und die Unterweisung in Musik. Mit 12 Jahren begann Harutin seine Lehre als Handwerker (vermutlich in einer Weberei). In die Armenische, Georgische, Persische und Arabische Schrift und Sprache wurde er drei Jahre später in der armenischen Klosterschule Sanahin, an der Grenze zwischen Armenien und Georgien, eingeführt. Dort soll er auch angefangen haben, auf drei orientalischen Musikinstrumenten kjamantscha (Streichinstrument, Kniegeige), tschonguri (Saiteninstrument, Stockgeige) und tar (Zupfinstrument, Laute) zu spielen. Mit 18 trat er schon als Volkssänger auf und wanderte mit seinem kjamantscha durch die Länder des Nahen und Mittleren Ostens. Er bereiste Persien, Indien und die Länder des Osmanischen Reiches. Sajat-Nowa dichtete in drei Sprachen: Armenisch (Tifliser Dialekt), Georgisch und Azeri-Türkisch.

Im Kloster Surb Karapet (Johannes der Täufer-Kloster) in Musch (Provinz Taron in Westarmenien/Osttürkei), wurde er in den Stand der Minnesänger, aschugs , aufgenommen und dem Schutzpatron der Minnesänger, Johannes dem Täufer, geweiht. Sein Ruf brachte ihn zum Hof des damaligen georgischen Königs von Kartlien und Kachethien Irakli II (1720 - 1798) zu einer Zeit, als das vereinigte Königtum Georgien versuchte, den Einfluss des Persischen und Türkischen in der Literatur, Musik und Dichtung durch die georgische Sprache und nationale Themen zu ersetzen. Sajat-Nowa, der Sänger der Liebe, der Gerechtigkeit und des Stadtlebens, der erstmalig in georgischer Sprache dichtete und sang, entsprach genau den Intentionen des königlichen Hofes in Telawi und Tiflis. Etwa 10 Jahre lang (1741-1754) erfreute er den georgischen Adel mit seiner innovativen Musik. 1759 wurde er jedoch aufgrund von Intrigen und Verleumdungen aus dem Palast verbannt und in den Stand eines Geistlichen versetzt.

In seiner neuen Identität als Priester Ter Stepanos betreute er verschiedene armenische Gemeinden am Kaspischen Meer. Nach dem Tod seiner Frau Marmar, der Mutter ihrer gemeinsamen Kinder Howhannes, Melikseth, Mariam und Sara, trat er 1768 den Mönchen des Klosters Haghpat in Nordarmenien bei, zunächst in der Niederlassung des Klosters in Tiflis und seit 1778 versah er den Dienst des Küsters der Heiligen Kreuz-Kirche im Haghpat-Kloster selbst, das sich in der Nachbarschaft seiner ehemaligen Klosterschule Sanahin befand.

1784 kehrte der Dichter, vermutlich mit den Haghpat-Mönchen, nach Tiflis zurück. Er soll bei der Eroberung von Tiflis durch den persischen Schah Agha Mohammed Khan im September 1795 gefallen sein. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof der armenischen Diözesankirche des Heiligen Georg in Tbilisi. Seit 1914 findet am Grab des Poeten jeden Frühling im Mai eine Gedenkfeier mit einem Volks- und Rosenfest statt: Eine symbolische Erinnerung an die allegorischen Gestalten seiner Lyrik, die Rose und die Nachtigall.

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André "Darvish" Sevrugian, ca. 1980. Illustration aus den Liedern Sajat-Nowas. Privatbesitz Dr. E. Sevrugian

Es sind mehr als 230 Lieder von Sajat-Nowa in unterschiedlichen Liedersammlungen überliefert, die in verschiedenen Volksweisen und literarischen Gattungen der orientalischen Poesie geschrieben sind. Sajat-Nowas Poesie schöpft seine Inspiration aus dem Reservoir mittelalterlicher armenischer geistlicher und säkularer Poesie, aus der Spruch- und Liebesdichtung der armenischen mittelalterlichen Dichter vom 12. bis 16. Jahrhundert: Chatschatur Ketscharetzi, Howhannes Jerznkatzi, Nahapet Kutschak, Grigoris Aghtamartzi und seinem unmittelbaren Vorgänger Naghasch Hownathan (1661-1722) sowie der mittelalterlichen persischen, arabischen und türkischen Poesie (Firdusi, Omar Chajjam, Nizami, Navoi, Hafes und andere). Die Metaphorik und die poetischen Bilder aus der orientalischen Epik und Folklore, aus epischen Zyklen wie dem persischen Nationalepos Schahname oder den Liebesromanen Lejla und Medschnun , Farhad und Schirin in ihrer persischen, arabischen, armenischen und georgischen Versionen, nähren Sajat-Nowas poetische Welt und entwickeln sich zu neuen Höhepunkten in seiner Dichtung.

Auf Beschluss des Weltfriedensrates wurde 1963 weltweit das 250. Jubiläum des dreisprachigen kaukasischen Dichters begangen, der durch die Hinwendung zu universellen Themen der Menschheit, speziell durch seine Liebes- und philosophische Poesie die Barrieren zwischen den Menschen unterschiedlicher Völkerschaften in dieser multinationalen Region schmelzen ließ.

Auf Antrag des Ehrenpräsidenten des Internationalen Gesellschaft für Planetenforschung wurde 1976 ein Vulkan-Krater auf dem Planeten Merkur (im Süden des so genannten Mars-Meeres) nach Sajat Nowa benannt. Seinen Namen tragen das Jerewaner Staatliche Konservatorium, eine Musikschule und eine Straße in Jerewan sowie verschiedene Ensembles für Volksmusik. Sein Leben und Werk wurden nicht nur in der Literatur und Kunst der kaukasischen Völker rezipiert. Unter den Filmen, die das Leben und Werk des Poeten thematisieren, erlangte das 1969 gedrehte Filmpoem des berühmten armenisch-georgischen Regisseurs Sergej Paradschanov „Sajat-Nowa“ Weltruhm, obwohl es von der sowjetischen Zensur verboten wurde. Unter dem Titel „Die Farbe des Granatapfels“ ist eine Kurzfassung des Films bekannt.


Tamam Aschcharh (Die ganze Welt)

Die ganze Welt hab’ ich durchquert, selbst habasch (1) ließ ich nicht aus, Nasani (2)
Keine solche Gestalt hab’ ich gesehen, du übertriffst alle, Nasani,
Ob schlicht, ob einfach du gekleidet, alles verwandelst du in Seide, Nasani,
Daher jeder, der dich sieht, sagt: „wasch, wasch!“(3), Nasani.

Du bist ein teurer Edelstein, Glück hat, wer dich besitzt,
Wer dich gefunden, nie „Ach!“ sagen (4) wird, wehe dem, der dich verliert.
Schade, dass früh gestorben ist, die dich geboren; es werde ihr Licht.
Wenn sie am Leben bliebe, gebäre sie abermals eine solche Schönheit wie dich, Nasani.

Du bist von Anfang an ein Juwel, du bist mit Gold verziert,
In deiner Haarflechte wie an einem Faden sind Korallenketten aufgefädelt,
Deine Augen sind wie goldne Schalen, mit einem Blumenstrauß umgeben,
Deine Wimpern sind Pfeil und Fichtennadel, Federspitze, Nasani.

Dein Gesicht ist, auf Persisch gesagt, Sonnengestirn und Mond,
Deiner schmalen Taille besticktes Tuch gleicht einem Gürtel aus Gold,
Die Schilffeder (5) bleibt nicht in seiner Hand, Du hast den Maler ins Entzücken gebracht,
Wenn Du sitzt, gleichst Du einem Vogel im Maulbeerbaum, wenn Du stehst, bist du einem Schimmel gleich, Nasani.

Ich, Sajat-Nowa, bin keiner, dessen Wurzeln im Sande ruh’n,
Was ist dein Wille, Liebste? Tu mir aus deinem Herzen kund,
Du bist Feuer, deine Gewänder sind Feuer, welchem Feuer nun soll ich widerstehen?
Indischen Brokat hast du mit Schleiern bedeckt, Nasani!
(Sajat-Nowa, ca. 1745)

Übersetzung aus dem Armenischen von Armenuhi Drost-Abgarjan

(1) Im Armenischen wird mit „Habasch“ ein unbestimmter geographischer Raum bezeichnet, der mit Äthiopien bzw. einem fernen afrikanischen Land, wo die „Mohren“ leben, verbunden, wird.
(2)Anrede an eine Frau, bedeutet „Graziöse, Anmutige“
(3)Entzückungs-, Bewunderungsausruf
(4)Das heißt „seufzen“.
(5)Oder: „Der Pinsel fällt aus der Hand



Dieser Artikel wurde zuerst im gleichnamigen Katalog zur Ausstellung „Sevrugian. Bilder des Orients in Fotografie und Malerei, 1880-1980“ (Museum der Weltkulturen, 6.12.2008-12.7.2009) veröffentlicht. Herausgegeben von Ulrike Krasberg. Frankfurt/M: Societätsverlag 2008. S. 138–143

Weiterführende Literatur
Sayat‛-Nova (2005): Davt‛ar. Jerewan
Sayat‛-Nova (2003): Xałer (Lieder). Jerewan
Charles Dowsett (1997): Sayat‛-Nova: An 18th-century troubadour. A biographical and literary study (Corpus scriptorium christianorum orientalium, vol. 561, Subsidia tomus 91), Louvain

Zur Autorin
PD Dr. phil. habil. Armenuhi Drost-Abgarjan ist Oberassitentin am Institut für Orientalistik (Christlicher Orient und Byzanz) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Leitung des VW-Forschungsprojekts: „Das Mittelarmenische Wörterbuch von Joseph Karst“.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008