Eine Buchrezension von Achim Sibeth
Arbeiten von Noam Chomsky zu rezensieren, führt entweder zu tief gehender Ablehnung oder faszinierter Zustimmung zu seinen Thesen und Meinungen. Dies macht Noam Chomsky zu einem stark polarisierenden Autor. Seine kritischen Aussagen über die ‚wahren Hintergründe’ der zahlreichen weltweiten politischen und militärischen Interventionen der Vereinigten Staaten lassen nationalistisch denkende US-Amerikaner fast verzweifeln. Sie sehen in ihm einen Nestbeschmutzer, dessen ‚linke’ Gesinnung und Denkweise sie auf der Grundlage amerikanischer Denkweise mit Marxismus und Kommunismus gleichsetzen. Als scharfsinniger Wissenschaftler blickt Chomsky (er ist eigentlich Sprachwissenschaftler) hinter die Fassaden der öffentlichen Regierungs- und Presseaussagen, er vergleicht Argumente und Begründungen daraufhin, ob diese objektiv angewandt oder je nach Zielorientierung oder Zweck relativiert oder gar auf den Kopf gestellt werden. Schonungslos zeigt er die Inkonsequenzen US-amerikanischen Polithandels auf und legt an seine eigene Heimat dieselben Maßstäbe wie die USA an andere Länder.
Wenn er zum Beispiel die Definitionen hinterfragt, mit denen die USA ihnen nicht wohlgesinnte Länder und Regierungen als „Schurkenstaaten“ charakterisieren (siehe War against People 2001: 24 ff., 35 ff., 50), gelangt er zur Erkenntnis, dass diese Definition sehr wohl auch auf sein eigenes Land zutrifft. Nach seiner Definition ist „ein Schurkenstaat ... nicht einfach ein Verbrecherstaat, sondern einer, der die Regeln der Mächtigen missachtet – und diese genießen natürlich einen Sonderstatus.“ (a. a. O.: 50) Letzteres meint er in diesem Zusammenhang ironisch! Für Chomsky sind die USA ein Schurkenstaat bzw. Verbrecherstaat, da sie sich in der Position der Mächtigen befinden, aber die Regeln der eigentlich noch Mächtigeren – nämlich der Vollversammlung der UN, des Weltsicherheitsrates, der Welthandelsorganisation und des Internationalen Gerichtshofes nur dann befolgen, wenn es ihnen in den Kram passt. Wie echte Schurkenstaaten würden die USA ihre privaten, nationalen Interessen im Bereich von Wirtschaft und Politik befolgen, ohne sich an die Reglements der Weltorganisationen zu halten. Das in seinen Augen falsch empfundene angebliche „individuelle US-amerikanische Recht“ würde grundsätzlich im Vordergrund der politischen und militärischen Entscheidungen stehen. Noam Chomsky gehört zu den vergleichsweise wenigen US-Bürgern, die sich in der Öffentlichkeit kritisch mit der Politik ihrer Regierung auseinander setzen. Vor allem der Anschlag auf das World Trade Center hat eine repressive Stimmung in den USA ausgelöst, die die wenigen Kritiker dieser unilateralen Machtpolitik fast zum Schweigen brachte.
Schon Susan Sontag, die populäre Schriftstellerin und bekannte amerikanische Intellektuelle, antwortete in einem Interview (FR-Magazin 7.9.02) auf eine Frage zum Fehlen US-öffentlicher Kritik an den Entscheidungen der US-Regierung: „ ... das Klima der Repression ... ist gesellschaftlich bedingt. Durch Selbstzensur. In weiten Teilen Amerikas herrscht ein großer Anpassungsdruck, was die Einsätze der Streitkräfte betrifft. Ein Ausmaß an Konformität, das mich sehr überrascht. Dementsprechend gering ist das Maß an Kritik. Es gibt in den USA so gut wie nichts mehr, was links ist, es herrscht ein großes Schweigen. Natürlich gibt es eine Reihe wirklich Radikaler wie Noam Chomsky, die jede Form von Machtbezeugung Amerikas ablehnen. Zu ihnen zähle ich mich nicht, so fremd mir diese Regierung auch ist.“
Susan Sontag verweist damit auf die auch von anderen beobachtete Gleichmacherei im politischen System und moniert letztlich die mangelnde Kritik- und Einsichtsfähigkeit der Mehrzahl der amerikanischen Bürger. In diesem Punkt ist sie inhaltlich nicht weit von Noam Chomsky entfernt.
Durch seine Publikationen, die hier teilweise und auch nur im Ansatz rezensiert werden, zieht sich als roter Faden seine fundamentale Kritik an den US-amerikanischen Wertmaßstäben, die sich seiner Meinung nach ausschließlich utilitaristisch am projektierten Zweck zum Nutzen der USA orientieren. Die reine Machtorientierung der Weltmacht USA ist Chomsky ein Dorn im Auge. Daher durchziehen seine Publikationen die nachweislichen Verstrickungen der Geheimdienste, der politischen Elite und der militärischen Führungselite in die weltweiten Konfliktherde, die immer dann von Interesse für die USA sind, wenn wirtschaftliche oder geostrategische Interessen tangiert sind. Dann würden sogar Schurkenstaaten plötzlich zu Verbündeten. Hierbei verweist er auf die Unterstützung der Regime eines Pol Pot in Kambodscha und eines Soeharto in Indonesien (Without Rights 2002: 85).
Chomsky ist ein aufrechter Kritiker, der alle seine Aussagen und Vorwürfe mit umfangreichen Quellenverweisen untermauert, die auch von seinen Gegnern nicht falsifiziert werden können. Auf alle Aspekte seiner Publikationen einzugehen, sprengt eine Rezension. Es sei jedem an Weltpolitik Interessierten empfohlen, sich mit Chomskys Sichtweisen auseinander zu setzen. Ob man sich all seinen Interpretationen und Aussagen anschließen kann, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Auswahl jüngerer Publikationen von Noam Chomsky:
2001 War Against People. Menschenrechte und Schurkenstaaten. Hamburg: Europa-Verlag, 160 S.; ISBN 3-203-76011-8.
2002 The Attack. Hintergründe und Folgen. Hamburg: Europa-Verlag, 91 S.; ISBN 3-203-76013-4.
2002 Without Rights. Kosovo, Ost-Timor und der Westen. Hamburg: Europa-Verlag, 160 S.; ISBN 3-203-76012-6.
Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008