EIN ETHNOLOGISCHER STADTBUMMEL

Ethno-Mode zwischen textilen Traditionen, Must-Haves und exotischem Zauber.

Von Birgitta Huse

Ein ethnologischer Stadtbummel 1
Abb. 1: Plakat (Karstadt, Dortmund, Mai 2006). Foto: B. Huse

Ethno-Mode, Ethno-Look, Ethno-Mix ... Was verbirgt sich dahinter? „Ethno“ hat einige wichtige Lebensbereiche erfasst: Musik, Nahrung, Kunst und Innenarchitektur. Hier wird die Ethno-Mode im Bereich der Kleidung näher betrachtet.

Danach befragt, an was sie bei Ethno-Mode spontan denken, nannten Frauen unter anderem die folgenden Begriffe: Leder, Holz, Federn, Perlen, Afrika, bunte Muster, Tierdrucke, wie Zebra, Tiger, Leopard, Schlange, Halsketten, Erdfarben, Ringe, Stickerei, Sandalen, Leinen, Baumwolle, Bast. Interessant ist es, nachzuvollziehen, wie diese und auch andere Frauen zu solchen Assoziationen gekommen sind. Eine wesentliche Rolle dürften hierbei die zahlreichen optischen Reize spielen, denen wir in den Einkaufszonen der Innenstädte, beim Durchblättern von Zeitschriften und durch sonstige Werbung (zum Beispiel im Briefkasten oder in der Tageszeitung) ausgesetzt sind. Scheinbar plötzlich sind wir in diesem Jahr „an jeder Ecke“ von Ethno-Mode umgeben.


Ein ethnologischer Stadtbummel 2
Abb. 2: Schaufenster (Roland Schuhe, Dortmund, Mai 2006). Foto: B. Huse

Die Ethno-Mode ist nicht neu: Immer wieder hat sie im Laufe der Jahrzehnte Konjunktur. Unter anderem taucht sie als Safari-Look immer wieder einmal auf (wie auch in den 1970er-Jahren). Sie ist also latent vorhanden, und ihr „Auftauchen“ wird professionell vorbereitet. Die unübersehbare Mode dieses Frühjahrs und Sommers wurde bereits im vergangenen Jahr als Trend gehandelt. In der Zeitschrift „Freundin“ hieß es beispielsweise: „trendguide - Welche Ideen in der Luft liegen. Und was Kult wird.“ Gezeigt werden darunter Lederstiefel mit Reptilprägung, eine Kette mit tigerzahnförmigen Hornanhängern, ein Plexiglassessel mit Zebrafell und Models in einem Anzug sowie einem Abendkleid, in deren Farben sich „Afrika spiegelt“: Erd- und Savannentöne, Orange und Sonnengelb.


Welche Erklärungen erhalten wir über die Ethno-Mode von Fachleuten? Laura Lusuardi, Max Mara, erklärte im März 2005 in der Zeitschrift „Amica“ unter der Überschrift „get the look“ zur Ethno-Mode: „Die Ethno-Kollektion ist besonders inspiriert von der afrikanischen Landschaft, den Farben der Erde und der Savanne. Ganz typisch sind die traditionellen Stoffe, die authentisch und modern dieses ursprüngliche Gefühl in der Mode umsetzen.“

In den „Görtz-News“ vom Herbst/Winter 2005 ist folgende Erläuterung zur Ethno-Mode zu finden: „New Ethno. Der aktuelle Ethno-Look bietet einen bunten Mix aus Asia-Style, Westernlook und südamerikanischer Folklore. Weit schwingende Röcke und Kleider sind fröhlich-bunt bedruckt und werden mit Spitzenblusen, Strickjacken und Samtblazern kombiniert ... Bewusst werden Kontraste gesetzt: Spitzentops unter grob gestrickten Jacken, zarte Chiffonkleider mit rustikalen Fellboots oder Cowboystiefeln ... Wichtige Accessoires für den Ethno-Look sind Gürtel mit großen Schnallen, farbige Handtaschen und auffällige Ketten.“


Die Inspiration zu ihrer Afrika-Sommerkollektion 2005 beschreiben Domenico Dolce und Stefano Gabbana: „Unsere gemeinsame Reise nach Botswana und Südafrika. Ohne unsere sizilianischen Wurzeln und die mediterrane Leidenschaft zu vergessen, haben wir uns entschlossen, den beeindruckenden afrikanischen Kontinent mit seinen vielfältigen Schätzen und dem außergewöhnlichen Reichtum zu erkunden. Die Reise hat bei uns Gefühle hinterlassen, die wir unbedingt weitergeben wollten ...“ (Amica, März 2005, S. 98). Auch „exotische“ Erklärungen für diesen Ethno-Trend finden sich. In der Zeitschrift „Freundin“ heißt es: „Der Zauber Afrikas. Vielleicht ist ja ein bisschen Voodoo im Spiel - jedenfalls feiern plötzlich alle Afrika: Modemacher, Möbel- und Schmuckdesigner, Event- und Ausstellungsveranstalter.“

Vor allem die Zeitschriften geben Tipps für die Praxis. Die Amica-Tipps zur Ethno-Mode lauten: „Zebra, Leo und Schlangenleder können, müssen aber absolut nicht als kompletter Look daherkommen. Anspielungen sind gefährlich genug.“ In der Zeitschrift „Brigitte“ wurde der Ethno-Look schon im April 2004 als „wahre Fundgrube“ angepriesen, die viel Spaß machen soll.


Diese Äußerungen vermitteln sicher erste Eindrücke und Tipps zur Ethno-Mode, doch welche weiteren Informationen erhalten wir über die Stoffe, Muster, Farben in der Ethno-Mode und über textile Traditionen (alte und neue) in den außereuropäischen Herkunftsregionen? Die Texte, die die ansprechenden Fotos in Zeitschriften und Werbematerial begleiten, sind ausgesprochen dürftig: „Afrikanische Armreife vom Green Market“, „Kaftan mit Bordürenstickerei von Angela Pintaldi“, „Weste aus Snakeskin“, „Stehkragen-Blazer im aktuellen Mao Stil. Auch in Mandarin“, „Ethnoketten in Türkis: C&A, ca. 12 Euro. Braun, mit Kugeln und Quadraten: Bijou Brigitte, ca. 22 Euro“, „Schattenspender wie in China. Nicht nur Asiatinnen schützen sich mit Strohhüten vor der Sonne“ und so weiter. Alles in allem erfahren die Konsumentinnen wenig Konkretes zu den Materialien in der Ethno-Mode. Wichtig sind vor allem die zum Kauf notwendigen Informationen wie Preis und Designer beziehungsweise Geschäft.


Auch wer sich für mehr interessiert und außerhalb der Welt der Zeitschriften versucht, Näheres über die Hintergründe der Ethno-Mode (alte und neue textile Traditionen außerhalb Europas) herauszufinden, hat es nicht leicht. Nur vereinzelt und noch nicht allzu lange gibt es für eine breitere Öffentlichkeit beispielsweise Informationen über Mode in Afrika. 2001 fand in Stuttgart die Ausstellung „Sand und Seide. Mode Made in Africa“ des Instituts für Auslandsbeziehungen statt, im Herbst 2005 in Hamburg „Oumou Sy. Mode Made in Africa“ im Museum für Kunst und Gewerbe. Im Hamburger Museum für Völkerkunde wurden jüngst die Stücke der Ausstellung „Mode in Afrika“ (Herbst 2005) in die Dauerausstellung übernommen. Im Programm des Fernsehsenders „Arte“ gab es einen Themenabend zu Mode in Afrika. Außerdem gibt es zwar zahlreiche Bildbände, die uns Menschen aus anderen Kulturen in ihrer „typischen“ Kleidung zeigen, aber erst in den letzten Jahren finden sich auch im deutschsprachigen Raum (in England schon länger) fundierte ethnologische Publikationen für eine breite Öffentlichkeit zu Kleidung, Schmuck und Körperbemalung (zum Beispiel Huse 2004).

Dass die Ethno-Mode nur wenig mit den „Originalen“ zum Beispiel in Afrika zu tun hat, verdeutlicht der Vergleich der Abbildungen fünf, sechs und sieben.


Ein ethnologischer Stadtbummel 7
Abb. 7: Maasai-Frau

Für das Foto in der Zeitschrift wurde vor allem ein Element aus der Maasai-Kleidung übernommen, das kombiniert mit ansonsten eher schlichter Kleidung einen starken Eindruck hinterlässt (Blickfang): der bunte Perlenkragen. Verzichtet wurde auf westlich anmutende Bestandteile der Maasai-Kleidung wie Knöpfe (s. Abb. 7). Ebenso auf den dem hiesigen Schönheitsideal nicht entsprechenden schweren Ohrschmuck in geweiteten Ohrläppchen sowie Stirnperlenschmuck und Armreifen.

Die auffallende Frisur des Models bildet einen Gegensatz zu den Maasai-Frauen mit ihren sehr kurzen Haaren. Nur Maasai-Männer tragen langes, geflochtenes Haar.

Lederkleid und -mantel auf dem Modefoto könnten früher übliche Lederumhänge der Maasai imitieren, haben aber natürlich einen eleganten Schnitt. Maasai-Frauen kleiden sich heute mit rot-weiß-karierten Stoffumhängen. Völlig neu „hinzugedichtet“ ist in der Zeitschrift der Federkragen, der eher an Indianer in Amerika erinnert.

Die Gründe dafür, dass den Anhängerinnen der Ethno-Mode dieser geringe Zusammenhang mit der „Originalkleidung“ ausreicht, sind wahrscheinlich folgende: Erstens geht es darum, einen Modetrend mitzumachen. Bei den „Must-Haves“-Fans ist das Interesse an textilen Traditionen außerhalb Europas kaum ausgeprägt. Zudem verspricht uns die Werbung ein „Modeerlebnis“, das Spaß macht - und wer möchte schon auf Spaß verzichten?! Zweitens sprechen exotische Inszenierungen in Schaufenstern Sehnsüchte (Sommer, Sonne, Leichtigkeit) und Fernweh an. Es wird mit dem Ethno-Look ein Stück tragbare und für jeden Geldbeutel angemessene Exotik für den deutschen Alltag geboten. Tiere und Dschungel spielen dabei eine besondere Rolle: „Wildlife zu Hause“, „Schick im Großstadtdschungel“, „Raubkatzen-Look“. Drittens ist die Ethno-Mode begleitet von „Afrika-Events“, die ein eher exotisches Afrikabild pflegen und damit Publikumsmagneten sind. Dazu gehören Filme wie „Jenseits von Afrika“ und „Die weiße Massai“ sowie die entsprechenden Bücher. Die „ferne“ Exotik ist bei der Ethno-Mode ganz wichtig, an die nahe gelegene Exotik (Bavarian Chic mit Dirndl) traut sich niemand, der modern sein will, recht heran.

„Ethno“ hat also für die breite Öffentlichkeit ganz allgemein irgendetwas mit fremden, fernen Völkern zu tun. Es geht lediglich um eine Erinnerung an fremde Völker und ferne Welten und keineswegs darum, sich beispielsweise tatsächlich wie eine Maasai zu kleiden. „Fremde Kleidung“ wird nicht so schnell übernommen ... Klare Botschaften werden transportiert, komplexe Hintergründe in einzelnen Ländern Afrikas und dortigen gesellschaftlichen Gruppierungen werden in der Ethno-Mode nicht thematisiert.

In welchem Ausmaß und mit welchen Folgen sich jedoch die zur Ethno-Mode gehörende Werbung weit verbreiteter Klischees bedient, macht sich kaum jemand bewusst. Oft kommt es zu platten Verallgemeinerungen, die die Vorstellungen von Teilen der Welt als in jeder Hinsicht „traditionellen Regionen“, in denen „traditionelle Werte“ uneingeschränkt ihre Gültigkeit haben und sich die Lebenswirklichkeit der dort lebenden Menschen seit Jahrhunderten nicht verändert hat, bestärken. Immer wieder wird eine große Naturverbundenheit und Natürlichkeit beschworen. „African Queen - Mode voll Stolz und Schönheit. Inspiriert von einem Land, in dem die Natur die Menschen prägt“ (Amica, März 2005, S. 90), „Armreife vom dunklen Kontinent” (Amica, Juli 2005, S. 58), „Farbenfroh wie im Senegal“ (Brigitte, März 2006, S. 39). Ein besonderes Moment für Kenner: Manches, das hier als „typisch afrikanisch“ angeboten wird, hat seinen Ursprung in Europa. So wie die Glasperlen, die von den europäischen Kolonialherren erst in Afrika eingeführt wurden und jetzt in der Ethno-Mode gefeiert werden.

Während sich einerseits zahlreiche Institutionen, Autoren und andere Personen seit Jahren um ein realitätsnahes Afrikabild in Deutschland bemühen, feiert die Ethno-Mode andererseits gerade mit „Afrika-Klischees“ in diesem Jahr einen besonderen Höhepunkt. Dies verdeutlicht, wie wichtig die Verbreitung von Informationen auch aus dem Bereich der Kleidung, Mode, Textilien außerhalb Europas ist.

Weiterführende Literatur

Gillow, John (2003): Afrika. Stoffe und Farben eines Kontinents. München u. a. Huse, Birgitta (Hg.) (2004): Von Kopf bis Fuß - Ein Handbuch rund um Körper, Kleidung und Schmuck für die interkulturelle Unterrichtspraxis. Münster u. a. Institut für Auslandsbeziehungen (Hg.) (2001)): Sand und Seide - Mode Made in Africa. Ausstellungskatalog. Stuttgart
www.modeinafrika.de (Ausstellung des Hamburger Museums für Völkerkunde 2005); ein Begleitbuch ist erschienen (Hg. Ilsemargret Luttmann)
www.bergpublishers.com (GB, Oxford; zahlreiche Publikationen zu Textilien, Mode, Kleidung)

Zur Autorin

Dr. Birgitta Huse ist Referentin/Trainerin in Jugend- und Erwachsenenbildung; Schwerpunkte: Kleidung/Textilien außerhalb Europas, Kulturwandel/Tourismus, Interkulturelle Kompetenz. Seit 1989/90 regelmäßige Forschungen in Mexiko. Lehrbeauftragte an der Universität Dortmund (Institut für Kunst und Materielle Kultur).


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008