SCHULKLEIDUNG

Eine Diskussion mit kulturellem Klärungsbedarf.

Von Beate Schmuck

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Abb. 1: Eine muslimische Studentin hilft einem Schüler im Textilunterricht. Foto: B. Schmuck

Immer mal wieder wird in der Schule und den Medien diskutiert, wie sich Jugendliche in öffentlichen deutschen Schulen kleiden sollen. Dazu gehört auch die Frage, ob eine kopftuchtragende Muslima an deutschen Schulen unterrichten darf (vgl. Abb. 1). Veranlasst durch den Schulausschluss zweier burkatragender Mädchen an einer Bonner Gesamtschule, meldete sich Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) zu Wort. Sie will die Einführung von Schuluniformen vorantreiben und hält dies für ein probates Mittel, religiöse und ethnische Konflikte an Schulen zu lösen.

Eine Gefahr für den geordneten Schulalltag wird auch in der bauchfreien Kleidung von Schülerinnen gesehen. Diese Art von sexy outfit sei etwas für den Strand oder für das Schwimmbad, aber keinesfalls angemessen für den Schulbesuch, wird argumentiert. Eine solche Bekleidung verletze den guten Stil der Schule. Insbesondere gilt der bauchfreie Look als eine Gefahrenquelle für Jungen. Sie würden vom Lernen abgelenkt, könnten sich nicht konzentrieren. Ebenso würden männliche Lehrkörper von so viel nackter Haut irritiert, heißt es immer wieder

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Abb. 2: Schülerinnen in bauchfreien Outfits. Foto: B. Schmuck

Eine andere Gefahr scheint von Schülern zu drohen, die Lonsdale -Shirts tragen und bei denen man von ihrer Bekleidung auf eine rechte Orientierung schließt. Um jede Gesinnungsgefährdung auszuschließen, wurde das Tragen von Lonsdale -Bekleidung an mehreren Schulen verboten. „Schule verbietet geheimen Dresscode“, betitelt Spiegel Online am 31. März 2005 einen Artikel, in dem ethische und juristische Bedenken deutlich werden, die zwischen verfassungsrechtlichen, antirassistischen Anliegen und der Wahrung von Persönlichkeitsrechten schwanken. Die Unterscheidung zwischen rechten Bekundungen im Dresscode und jugendlichen Modevorlieben, bei denen bestimmte Marken angesagt sind und zum jugendkulturellen Habitus gehören, bereitet offensichtlich Schwierigkeiten. So kommen Zweifel auf, ob ein Punker mit Springerstiefeln, Lonsdale -Sweatshirt und Antirassismus-Zeichen auf seinen Taschen (Abb. 3) eine rechte Gesinnung hat, vor der sich eine Schule schützen muss. Was ist mit Gabbern (Gabber = Musikrichtung, Variante des Hardcore-Techno), die diese Marke in ihr jugendkulturelles outfit aufgenommen haben?


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Abb. 3: Punker mit Lonsdale-Sweatshirt. Foto: B. Schmuck

Nach Angaben der taz („Waschgang gegen braune Flecken“ vom 2.7.05) kämpft die Firma Lonsdale gegen ihr rechtes Image. Sie führte unter anderem eine Aktion durch, die dem bundesweiten Projekt „Schule ohne Rassismus“ angeschlossen wurde. Lonsdale stiftete Schulen Shirts, die zusätzlich mit „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“ bedruckt wurden. Ein weiterer Aspekt der Diskussionen um Schulkleidung ist die Angst vor übertriebenem Markenkult und Kleidermobbing. Nordrhein-Westfalens Schulministerin Barbara Sommer (CDU) befürwortet in diesem Zusammenhang ausdrücklich Schuluniformen. Sie betont die Vorteile einheitlicher Schulkleidung: Keiner laufe dann mehr bauchfrei herum oder provoziere durch teure Kleidung. Die Unions-Fraktionsvize Katharina Reiche (CDU) stimmt dieser Argumentation zu und sieht in Schulkleidung ein geeignetes Mittel, sozialen Druck zu vermeiden und den bereits bei Erstklässlern einsetzenden Markenfetischismus zu dämpfen. Die Hamburger Studienrätin Karin Brose hat zusammen mit der Elternschaft ihrer Schule Schulkleidung zum zentralen pädagogischen Thema gemacht und unterhält eine eigene Homepage (www.schulkleidung.com). Brose tritt vehement für eine einheitliche Schulkleidung als Arbeitskleidung in der Schule ein. Gleichzeitig lehnt sie die Bezeichnung „Schuluniform“ ab und definiert Schulkleidung als „moderne Kleidung mit Schullogo für junge Leute, auf dem Weg zu besserem Lernen“ (Karin Brose: Schulkleidung ist nicht Schuluniform, Hamburg, 2005, S. 13). Zum Repertoire der von Brose favorisierten Schulkleidung gehört eine umfangreiche Kollektion aus Shirts, Polos, Blusen, Hemden, Fleece, Sweats und zahlreichen Accessoires. Pädagogisch professionell vermarktet, werden sie zur Marke Schulkleidung .

Vertreter der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) äußern sich dagegen deutlich ablehnend in Bezug auf Schulkleidung. Der Landesvorsitzende von Nordrhein-Westfalen Andreas Meyer-Lauber bezweifelt, dass Schüler sich für Schuluniformen erwärmen können, da sie ihre Individualität genießen. Auch die Jungen Liberalen (JuLis) in Nordrhein-Westfalen kritisieren die derzeitigen Äußerungen der nordrhein-westfälischen Bildungsministerin Sommer. Von einheitlicher Schulkleidung gehe ein falsches Signal aus. Es komme auf die innere Stärke der Kinder und Jugendlichen an und nicht auf äußere Gleichmacherei, formulierte Marcel Hafke (Vgl. openPR.de/news/86122.html).

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Abb. 4: Gabberinnen mit Lonsdale-Shirt. Foto: B. Schmuck

Was machen diese Diskussionen um Schülerkleidung und deren Dresscodes deutlich? - Zunächst fällt auf, welchen Umfang die Diskussionen um geeignete oder als gefährlich, unanständig oder unmoralisch einzustufende Schüleroutfits einnehmen. Diese Thematik scheint fast so brisant zu sein wie die PISA-Sorge. Die Behandlung der schulischen Bekleidungsfragen verweist dabei auf ein Wirrwarr an Problemüberlagerungen, auf ein nicht mehr nachzuvollziehendes Geflecht aus Argumentationssträngen und spiegelt eine umfassende Ratlosigkeit wider - das outfit zehn- bis etwa 20-jähriger Schüler als Terra incognita?

Nicht nur außereuropäische Kulturen sind fern, fremd und komplex. Auch die so nahe liegend erscheinenden outfits von Schülerinnen und Schülerinnen an deutschen Schulen wirken oft äußerst fremd und sind - wie eine andere Kultur - in sich differenziert. Aber diese Differenzierungen werden von Außerstehenden oft nicht wahrgenommen, weil wir alle durch eine kulturelle Brille sehen. Alles Fremde wird als unpassend abgelehnt.

Wenn Einordnungen in eigene Schemata nicht möglich sind, wird Fremdheit oft als Gefahr gedeutet. Diese Blickverengung trifft auch auf Generations-, Positionsdifferenzen zu. Sie bezieht sich auch auf eine mangelnde Wahrnehmung von Vielfalt und Ausgestaltung jugendkultureller Stile in der Schule. Unser Verständnis für Jugendkulturen wird bestimmt von Erfahrungen der eigenen Generation und der eigenen Biografie. Das heißt, die Frage der angemessenen Schüler outfits wird durch durchaus unterschiedliche Brillen betrachtet und beurteilt.

Für die Jugendlichen besteht Schule nicht nur aus Unterricht. Schule ist ein Feld , das durch die Vielfalt und Heterogenität jugendlicher Stilsuche und biografischer Verortungssuche geprägt ist. Gerade im Erproben jugendkultureller outfits arbeiten Jugendliche auch innerhalb der Schule an ihrer Identität. Sie nutzen das Medium der Bekleidung zum Zusammenschluss mit Gleichgesinnten oder zum Abgrenzen.

Damit die Diskussion um befremdende Schüleroutfits nicht die alleinige Angelegenheit der Erwachsenen bleibt, ist es wichtig, die Betroffenen einzubeziehen. Denn Jugendliche erleben im Feld Schule ebenso wie Lehrende das Gefühl des fremden Gegenübers. Es ist keineswegs allen Jugendlichen klar, was die Codierungen der unterschiedlichen jugendkulturellen Gruppierungen bedeuten. Vielmehr gibt es auch unter ihnen große Unsicherheiten und Berührungsängste. Gabber haben auf dem Schulhof oft andere Treffpunkte als Punks, Normalos oft andere als Gothics et cetera. Gespräche untereinander sind oft von Vorurteilen geprägt. Das heißt, hier müsste es im pädagogischen Sinne darum gehen, unter Schülern und Schülerinnen ein Interesse für die Vielfalt jugendkultureller Stile zu wecken und eine positive Neugierde auf den anderen zu wecken. Ein neugierig fragendes Aufeinanderzugehen im eigenen Hause fördert kulturelle Kompetenz, und gemeinsam zu lernen heißt auch mit Vielfalt und Heterogenität umgehen zu können.

Weiterführende Literatur

Schmuck, Beate: Bauchfreie Shirts und sichtbare Slips unter Hüfthosen ... In: ...textil... Wissenschaft - Forschung - Unterricht, 1/ 2003, S. 5 - 32. Schmuck, Beate: Ethnographischer Blickwechsel: Reflexionen zu einer schülerorientierten, gender- und kulturdifferenten Textildidaktik von der <?!. In: ...textil... Wissenschaft - Forschung - Unterricht, 3 / 2003, S. 11 - 22.
Schmuck, Beate: Gabber, Gothic, Hip-Hop und Co.: Adoleszente SchülerInnen erforschen ihre jugendkulturellen Selbstinszenierungen im Textilunterricht. In: ...textil... Wissenschaft - Forschung - Unterricht, 1. Teil 2 / 2005, S. 17 - 26; 2. Teil 3 / 2005, S. 19 - 39.

Dr. Beate Schmuck


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008