HANF, TABAK, KLATSCHMOHN UND CO

Ethnobotanik: Pflanzen und Ethnomedizin ein altes neues Thema

Von Ekkehard Schröder

Ethnobotanik

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Alraun-Weibchen und -Männchen (Mandragora) nach Peter Treveris, 1526, London

Das Leben der Menschen ist eng mit den Pflanzen verbunden. Kenntnis, Umgang und Nutzung der Pflanzen stellen zentrale kulturelle Aktivitäten zu allen Zeiten in nahezu allen Ethnien und Gruppen dar. Während die Botanik in der Pflanze ein Objekt der naturwissenschaftlichen Betrachtung sieht, bildet die Ethnobotanik eine Brücke zwischen den verschiedenen Vorgehensweisen, sich mit diesem zentralen menschlichen Thema wissenschaftlich zu befassen. Dabei wird in der Ethnobotanik - als ein den Kulturwissenschaften verpflichtetes Arbeitsgebiet - mehr untersucht als die bloße Frage nach der Nützlichkeit der verschiedenen Pflanzen. In ethnobotanischen Fragestellungen finden wir die Pflanze als ästhetisches Objekt, als heiliges Geschöpf oder Medium, als weihendes Subjekt, als Bedeutungsträger in Kommunikationsprozessen, als Anstoß zu Meditation, Philosophie und ursprünglichem Naturerkennen. Aber auch als Werkstoff, Nahrung, Arznei und magisches Utensil im Leben der Menschen.

Diese Fragestellungen fügen sich ein in das Anliegen des interdisziplinären Dialoges im „Arbeitsfeld Ethnomedizin“, dem erklärten Ziel der gleichnamigen Arbeitsgemeinschaft. In „ curare , Zeitschrift für Ethnomedizin und Transkulturelle Psychiatrie“ gibt es eine beträchtliche Anzahl ethnobotanischer Originalarbeiten und Übersichten, die die Entwicklung in diesem Fach gut dokumentieren. Ethnobotanik als ein interdisziplinäres Fach will also nicht nur das Heilpflanzenwissen erweitern, sondern auch andere Weltbilder mit unterschiedlichen botanischen Kategorienbildungen darstellen. Hierdurch wird auch unsere Sicht auf die Pflanzen als Nahrungsmittel, Rohstoff für Werkstoffe, Kultobjekt, Zaubermittel und letztlich pflanzliche Arzneidroge wesentlich erweitert.

Phytotherapie

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Piper methysticum (KavaKava). Foto: P.Cabalion, aus curare 26,3(2003), S.248

Die Pflanzenheilkunde ist schon länger Forschungsobjekt verschiedener Naturwissenschaften, die nach wie vor hoffen, bei den (vermuteten) Drogenschätzen der indigener Pharmakopöen wirksame Einzelstoffe aus deren Heilpflanzen isolieren zu können. Seit Anfang der 1980er-Jahre wird von verschiedenen Seiten gefordert, dass Methoden zu entwickeln, mit denen ganze Pflanzendekokte und Pflanzenmischungen untersucht werden können. Man nimmt an, dass in solchen traditionell typischen Zubereitungsweisen tatsächlich nachweisbare Effekte und pharmako-dynamische Wirkungen vorhanden sind. Es werden zum Teil noch unbekannte synergistische Effekte vermutet(siehe Klaus Rehm). In diesem Zusammenhang sollte auch an den Gedanken erinnert werden, dass die jeweilige kulturspezifische Diät einen Einfluss auf die Pharmako-Dynamik von Heilpflanzen haben könnte.

Bei uns steht im Zentrum dieser Diskussionen in der Regel die Prüfung von Heilverfahren und Pflanzendrogen nach "wissenschaftlichen Maßstäben", wie zum Beispiel die "Kontrollierte Studie" im Rahmen "klinischer" Prüfung. Diese werden jedoch meistens unternommen, ohne medizinethnologische Tatbestände mit einzubeziehen. Für den Bereich der Phytotherapeutika haben in den letzten 20 Jahren bereits mehrere Fachgesellschaften auf internationaler Ebene die Erforschungsmethoden erweitert und im Rahmen der Globalisierung nicht nur ein kritisches Bewusstsein geschaffen, sondern versuchen auch, verbindlichere ethische Grundsätze in die wissenschaftlichen Untersuchungsdesigns einzuführen. Das Studium der Ethnobotanik sollte jedoch primär einem allgemeinen humanistischen Bildungsauftrag verpflichtet sein. Hinter der Frage nach einer klinischen Evaluierung traditioneller Heilmethoden steckt häufig der Wunsch, eine Ressource für neue Heilweisen zu entdecken. Bei "klinischen" Evaluierungen können leicht gewisse Betriebsblindheiten vorkommen, da diese häufig unter einer nicht genügend berücksichtigten ethnozentrischen Perspektive unternommen werden.

Damit möchte ich zum Ausdruck bringen, dass der fragende Forscher oder Arzt unabhängig von der Objektivität der angewandten naturwissenschaftlichen Methoden bereits seine eigenen kulturgebundenen Sichtweisen und Wertungen in die Begriffe, Konzepte und selbst wahrgenommenen Krankheitssymptome einfließen lässt. Dies gilt selbst für die Evaluierung von Heilpflanzen, wo man noch am ehesten erwarten könnte, dass unsere Evaluierungsmethoden erfolgreich angewendet werden könnten. Evaluierungsfragen sind von wesentlich mehr Faktoren abhängig als nur von den klinisch objektivierbaren Parametern, die man zu messen meint. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass die Betroffenen - nämlich die Hilfe suchende Patienten - in der Regel selber auf ihre Weise evaluieren. Dies ist zu einem neuen medizinethnologischen Arbeitsansatz geworden, der vor allem in den Niederlanden und in der frankophonen Welt als „Anthropologie der Medikamente“ ( pharmaceutical anthropology, anthropologie des médicaments ) verfolgt wird. Dieser wird auf der nächsten Fachkonferenz Ethnomedizin in Leipzig vom 8.-10.November 2007 in Leipzig vorgestellt.

Ethnobotanische Perspektiven

In den 1890er-Jahren wurde der Begriff "Ethnobotanik" erstmals von Harshberger benutzt. Ähnlich wie die Beschreiter der "Aboriginal Botany" verwandte er "Ethnobotanik" rein deskriptiv ohne nähere Definition. Jones verwandte 1941 den Begriff zur Bezeichnung des "Studiums der Beziehungen des primitiven Menschen und der Pflanzen". Richard E. Schultes sieht in der Ethnobotanik noch einen Teil der 'Angewandten Botanik' ( economic botany ), versteht aber unter Ethnobotanik im erweiterten Sinne 'das Studium der Beziehungen zwischen dem Menschen und der ihn umgebenden Vegetation'. Interessant sind die Zahlen: Von den ungefähr 800.000 Samenpflanzen (Angiospermen) werden 3.000 in der Geschichte zur Ernährung verwendet. Die heute aktuelle Zahl ist kleiner, 150 Sorten kursieren im Welthandel, etwa ein Dutzend spielt für die Weltbevölkerung und das Hungerproblem eine Rolle, und alle Sorten sind kultivierte. Die in der Kultur so wichtigen Narkotika finden sich in den alkaloidhaltigen Pflanzen (ungefähr 4.000 - 5.000), davon sind circa 60 Pflanzen bei so genannten 'primitiven' und entwickelten Kulturen in Gebrauch. 20 Sorten sind von größerer Bedeutung, vier gelten als im Welthandel wichtig (Hanf, Tabak, Schlafmohn und Koka). Jan Bruhn, einer der Gründer des seit 1979 bestehenden Journal of Ethnopharmacology spricht von einer Herausforderung.

Interessant für unsere Überlegung ist die Feststellung, dass keine dieser kultivierten Pflanzen in ihren unkultivierten Urformen bekannt ist. Auch dies zeigt die lange Verbindung von Mensch und Pflanzenanbau. Ethnobotanik betrachtet den Gebrauch der Pflanzen auch in der historischen Dimension und lässt erahnen, welche Bedeutung die Pflanzenwelt von jeher für den Menschen hat. Ethnobotanische Studien können auch helfen gewahr zu werden, dass die Medizingeschichte eher eine Geschichte der Pflanzenmedizin zu sein scheint. Ein erstes Lehrbuch ist 2001 von Michael Heinrich für den einführenden Unterricht verfasst worden.

Die ethische Reflektion von (ethno-)pharmakologischen Projekten: Der neuere wissenschaftliche Diskurs zur Ethnobotanik und Ethnopharmakologie bewegt sich im Rahmen der Konvention zum Erhalt der Biologischen Vielfältigkeit (CBD = Convention on Biological Diversity, Rio de Janeiro 1992). Die für November 2007 in Leipzig von uns projektierte Konferenz bewegt sich in diesem Rahmen, das heißt, beteiligte Forschungseinrichtungen unterstützen eine Integration von Methoden der Natur-, Kultur-, Sozialwissenschaften und der Medizin zur Bearbeitung komplexer wissenschaftlicher Fragen und entwickeln praktische Lösungsstrategien für die Probleme der „Ursprungsregionen“ dieses Wissens. Ergebnisse von Forschungsprojekten sollen wieder in die Projekte zurückfließen. Internationale Regelwerke erfordern auch die Einbindung von Juristen in den Fortgang wissenschaftlichen Schritte.

Gekürzte Überabeitung meines Beitrages in: Chirley dos Santos-Stubbe, Carsten Klöpfer (Hrsg.): Psychologie aus historischer und transkultureller Perspektive. Eine Festschrift zu Ehren von Prof. Dr. Hannes Stubbe, hier S. 55-69, Shaker Verlag Aachen, 2006. ISBN-10:3-8322-5560-5 www.shaker.de

Weiterführende Literatur

„Ethnobotanik und Ethnopharmakologie in der Zeitschrift curare . Eine Dokumentation“, zusammengestellt von Schröder, Ekkehard. curare 25,1+2(2002) 105-110 (Jubiläumsband 25 der Zeitschrift curare : Der frühe ethnomedizinische Diskurs in der curare . Ausgewählte Artikel aus den ersten 12 Jahren der Zeitschrift curare , gegründet 1978, gewidmet dem Gründer der Arbeitsgemeinschaft Ethnomedizin, Joachim Sterly (1926-2001).
Rehm, Klaus D. (1985): „Jamu - die traditionellen Arzneimittel Indonesiens“. In: Schröder, Ekkehard (Hrsg.). „Ethnobotanik - Ethnobotany, Beiträge und Nachträge zur 5. int. Fach-Konferenz Ethnomedizin in Freiburg, 30.11 - 3.12.1980“. Braunschweig / Wiesbaden: Vieweg, S. 403 - 410
Fleurentin, Jacques (2003): “Ethics, Regulations and Development: New Perspectives in Ethnopharmacology for the Next decade”. curare 26, 3: 201-211
Schiefenhövel, Wulf und Prinz, Armin (1985): „Ethnomedizin und Ethnopharmakologie - Quellen wichtiger Arzneimittel“. In: Czygan F.C. (Hrsg.): „Biogene Arzneistoffe. Entwicklungen auf dem Gebiet der pharmazeutischen Biologie, Phytochemie und Phytotherapie“. Braunschweig Wiesbaden: Vieweg, S. 223 - 238
Harshberger, J.W. (1896): „The purposes of Ethnobotany”. Bot. Gaz. 21,3: 146-154
Schultes, Richard E. (1967): The Plan of Ethnobotany in the Ethnopharmacological Search for Psychotomimetic Drugs. In: "Ethnopharmacologic search for psychoactive drugs", cd. D. Efron, Public Health Serv. Publ. No. 1645, p. 33 – 57, wiederabgedruckt in curare 13,1(1990)31-48
Ford, Richard 1. (Ed.) (1978): “ The Nature and Status of Ethnobotany, dedicated to Volney H. Jones. Anthropological Papers, Museum of Anthropologie, University of Michigan, No. 67, Ann Arbor
Holmstedt, Bo & Bruhn, Jan (1983): “Ethnopharmacology – A Challenge”. Journal of Ethnopharmacology 8: 251-256, wiederabgedruckt in curare 26,3(2003) 263-268
Heinrich, Michael (2001): Ethnopharmazie und Ethnobotanik. Eine Einführung. Stuttgart: Wissenschaftlicher Verlag

Zum Autor

Ekkehard Schröder studierte Medizin, Ethnologie und Philosophie in Kiel, Heidelberg und Mainz, Facharzt für Nervenheilkunde, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Seit Gründung der Arbeitsgemeinschaft Ethnomedizin (1970) für diese aktiv. Seit 1998 in freier Arztpraxis als Nervenarzt und Psychotherapeut, zuletzt seit 2003 in Potsdam.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008