FREMDE FREUNDE

Eine Rezension von Achim Sibeth

Ethnologen sind bei ihrer Forschungsarbeit „im Feld“ immer auf Informanten angewiesen. Diese ermöglichen ihnen erst einen inhaltlichen, emotionalen und persönlichen Zugang zu ihren ‚Forschungsobjekten’. Die Wahl der Informanten und die Beziehungen zwischen den Ethnologen und ihren Informanten bestimmen in einem nicht unerheblichen Maße die Qualität ethnologischer Feldforschungsergebnisse. Entscheidend ist jedoch auch die Frage nach der Stellung des Informanten in seiner eigenen Gesellschaft, denn diese bestimmt letztlich Grad und Qualität seines Wissens. Ein gesellschaftlicher Außenseiter, der in seiner Gesellschaft nicht anerkannt ist, kann a priori kein guter Informant sein. Im Schlepptau eines solchen werden sich für Feldforscher nie die richtigen und wichtigen Türen öffnen. Informanten sind aber auch sehr wichtig, wenn es darum geht, sich in der gastgebenden Gesellschaft als fremder Forscher richtig zu verorten und zu verhalten beziehungsweise von der gastgebenden Gesellschaft verortet zu werden. Die „Do’s and Don’ts“ einer Gemeinschaft kann man meist nicht schon im Vorfeld einer Feldforschung aus der Fachliteratur erlernen. Und die für eine erfolgreiche Forschung wichtigen Gesprächspartner erkennt man als Fremder auch nicht auf Anhieb. Schon vor vielen Jahrzehnten hat die Ethnologie als Wissenschaft dieses Thema als bedeutungsvoll erkannt. In sehr vielen Forschungsberichten, Dissertationen und Habilitationen wird den Informanten meist in den einführenden Seiten Raum gegeben.

Selten jedoch wird so frank und frei über persönliche Erlebnisse mit Informanten und Nachbarn berichtet wie im vorliegenden Buch Fremde Freunde. Gewährleute in der Ethnologie , herausgegeben von Charlotte Beck, Romana Büchel und anderen. Hier erzählen EthnologInnen – die meisten eng mit dem ethnologischen Institut in Bern in der Schweiz verbunden – von ihren ganz individuellen Erlebnissen, von Erfolg und Misserfolg bei der Kontaktaufnahme und während ihres Aufenthaltes im Dorf ihrer Informanten. Regionale Schwerpunkte der 16 Einzelberichte sind die Regionen Südsumatra, Flores und Java in Indonesien. Zwei Berichte befassen sich mit Burkina Faso und je einer mit Kuba, Indien, Nepal und den Philippinen. Große gemeinschaftliche Forschungsprojekte der Universität Bern auf Sumatra und Flores sind für den Schwerpunkt auf Indonesien verantwortlich (unter Leitung von W. Marschall und H. Znoj).

Regionale Besonderheiten der Forschungsregion an sich sind jedoch nicht Thema dieses Buches. Hier stellen sich vielmehr Forscherinnen und Forscher der Aufgabe, einer breiteren Leserschicht von ihren ganz persönlichen Erfahrungen im Umgang mit ihren Informanten zu berichten. Der Titel des Buches „Fremde Freunde“ verweist schon auf zwei mögliche Beziehungsqualitäten, die im Laufe des Kontaktes zwischen Forschenden und Beforschten entstehen können. Man hätte auch noch „Feinde“ in die Darstellung aufnehmen können, da misslungene Kontaktaufnahmen theoretisch ja auch in Feindschaften enden können. Wahrscheinlich werden solche negativ empfundenen Vorfälle jedoch eher schamhaft verschwiegen. Mir ist aus Praxis und Fachliteratur kein Beispiel bekannt. In der knappen, aber dichten Einleitung (von M. Galizia und J. Schneider) wird zu Recht darauf verwiesen, dass zur Abrundung der Forscher-Berichte über die Qualität der Beziehungen zu ihren Informanten nun auch Berichte der Beforschten über die Forschenden folgen müssten. Dies konnte jedoch wohl nicht umgesetzt werden.

Das Bewundernswerte, Spannende und Amüsante an dieser Aufsatzsammlung ist die Selbstkritik, die Selbstreflexion der AutorInnen, die bei den meisten Berichten zu spüren beziehungsweise herauszulesen ist. Fazit: ein locker, amüsant geschriebenes Buch über ein zentrales Thema der Ethnologie, mit dem sich jeder „rumschlagen“ muss, der zwischenmenschliche Kontakte nicht nur über kulturelle Grenzen hinweg aufbauen möchte.

Beck, Charlotte; Romana Büchel et al. (2005): Fremde Freunde. Gewährsleute der Ethnologie. Wuppertal: Edition Trickster im Peter Hammer Verlag (ISBN 3-7795-0042-6). Paperback, 20,5 x 13,5 cm; 240 S., 32 SW-Abb.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008