ZIGARREN, PALMÖL, HONIG UND RUM

Afrokubanische Alltagsreligiosität zwischen Kuba und Deutschland

Von Lioba Rossbach de Olmos

Zigarren, Palmöl, Honig und Rum 1
Kubanischer Zuckerrohrschnaps "Santero" mit Darstellung eines Orakelpriesters. Foto: L. Rossbach de Olmos

Es gibt wohl keine Religion, in der alle Anhänger im Alltag dieselben Vorschriften zu beachten haben. Stets unterscheidet sich die religiöse Alltagspraxis von Priestern, Mönchen oder Initiierten von der der Laien. Selbst dem indianischen Schamanen im Amazonasgebiet, den seine Gemeinschaft nicht, wie die Spezialisten anderer Religionen, vom alltäglichen Bestreiten des Lebensunterhaltes freigestellt, sind spezielle Speisevorschriften, sexuelle Enthaltsamkeit oder zeremonielle Reinigungen auferlegt, bevor er Heilungs- und Jagdrituale oder Initiationen durchführt, während andere Mitglieder der Gemeinschaft diese nicht beachten müssen. Bei der afrokubanischen Santería und ihrer religiösen Praxis in Deutschland ist dies nicht anders, nur dass die Vorschriften neben dem Grad der religiösen Verbundenheit des Einzelnen auch auf sein Schicksal zugeschnitten sind und sein Wohlergehen sicherstellen sollen. Über die Santería sollte man wissen, dass sie - als ursprünglich von afrikanischen Sklaven aus Yorubaland in Kuba ausgebildete Mischreligion - im Zuge der jüngsten Globalisierung auch nach Deutschland gelangt ist, wo sie neben kubanischen Anhängern und Priestern mittlerweile auch solche aus anderen lateinamerikanischen und europäischen Ländern umfasst. An die 3.500 Personen dürfte sie hier zu Lande zählen.


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Wasser für die Toten. Foto: L. Rossbach de Olmos

Einfache Anhänger, die keine der mehrstufigen Einweihungen in die Santería durchlaufen haben, brauchen keine ausgefeilten Vorschriften zu beachten. Sie glauben an die „ santos “, die Heiligen, das heißt an jene Gottheiten, die afrikanischer Herkunft sind, in Kuba aber mit den Heiligen des hispanischen Volkskatholizismus verschmolzen und so ungestört vor christlichem Bekehrungseifer verehrt werden konnten. Wer mit dem Ausruf „ ¡Santa Barbara bendita! “ den Schutz der Heiligen Barbara erfleht, wenn sich etwa am Himmel bedrohlich Gewitterwolken zusammenziehen, wendet sich zugleich auch an Changó, den Gott des Sturms und des Krieges.

Dass man den durstigen Verstorbenen der Familie ein Glas Wasser und weiße Blumen hinstellt, ist selbst unter Kubanern, die keine Santería-Anhänger sind, verbreitet. „Transkulturation“ nannte der große kubanische Forscher Fernando Ortiz seinerzeit die gegenseitige Durchdringung von afrikanischen, amerikanischen und europäischen religiösen Traditionen, deren Mischungen weit über die Summe der Einzelkomponenten hinausweisen. In der Tat ist es heute kaum noch auszumachen, ob der Ursprung dieser Totenehrung in Afrika oder nicht doch im Spiritismus europäischen Ursprungs liegt.

Schlichte Anhänger beschränken ihre religiösen Kontakte auf sporadische Besuche bei Priestern ( santeros ) oder Orakelpriester ( babalawos ), wenn Krankheit, Missgeschick oder Seelennöte drücken und Orakelbefragungen mit Hilfe von Opfern an die Gottheiten oder Reinigungszeremonien Besserung verheißen. Die Santería ist in hohem Maße auf den Alltag gerichtet, das heißt sie will vor allem in der diesseitigen Welt praktische Hilfe und Unterstützung gewähren. Ziel ist es, Menschen zu helfen gemäß ihrer jeweiligen Bestimmung, mit der sie in die Welt traten, zu leben. In vielen deutschen Großstädten ist es mittlerweile kein Problem mehr, Priester und Orakelpriester zu finden, die entsprechende Dienste anbieten.


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Elegua - Orischa der Wegkreuzungen. Foto: L. Rossbach de Olmos

Mit den Stufen der Einweihung, die Santería-Anhänger durchlaufen, nehmen auch die religiösen Alltagspflichten zu. Im Anschluss an den Empfang von sakralisierten Ketten in den typischen Farben und Farbkombinationen der wichtigsten Gottheiten, die dem Träger Schutz vor allen nur denkbaren Kümmernissen gewähren sollen, stellen die so genannten Krieger ( guerreros ) einen Schritt in die Religion dar, der rituelle Verpflichtungen nach sich zieht. Der Anhänger empfängt von einem Priester Repräsentationen der vier wichtigen Gottheiten: Elegua, der als Orischa der Wegkreuzungen Wegbereiter für alle nur denkbaren Unternehmungen ist. Er wird aus angerührtem Beton modelliert und besteht aus einem Gesicht mit Kaurischnecken, während Ogun, der Orischa des Eisens, und Ochosi, der Orischa der Jagd, in Metallobjekten vergegenständlicht werden. Ósun schließlich, der Hüter des Kopfes einer Person, wird in einem mit einer Hahnfigur versehenen verschlossenen Behältnis in gehobener Position aufgestellt.

Diese Orischas wollen gut behandelt werden, nur dann gewähren sie den erhofften Schutz. Vor allem Elegua, dem gemäß seiner Funktion als Wegöffner der Wochenbeginn am Montag zugeordnet wird, darf an diesem Tag das Abbrennen von Kerzen, einen Sprühregen von Zuckerrohrschnaps aus dem Mund des Schutzbefohlenen und ein wenig Zigarrenrauch erwarten. Auch Süßigkeiten sind als Opfergaben willkommen, da Elegua ein kindliches Gemüt nachgesagt wird. Die übrigen Orischas sind anspruchslos, doch müssen sie alle gelegentlich mit Blut aus Tieropfern bei Kräften gehalten werden, damit sie die ihnen zugedachte Schutzfunktion übernehmen können. Da in Deutschland Tieropfer verboten sind, werden die Gottheiten gelegentlich nach Kuba gebracht.

Orunmila, auch Orula genannt, kann die Gruppe der empfangenen Orischas ergänzen, sofern ein Anhänger die so genannte „Hand von Orula“ empfängt. Orula ist die wichtigste Divinationsgottheit (wahrsagende Gottheit) in der Santería. Sie kann - entsprechend der Mythologie - dafür Sorge tragen, dass der Tod ihre Anhänger nicht vor der Zeit aus dem Leben reißt. Die Anhänger empfangen - zusätzlich zu den genannten „Kriegern“ - Palmnüsse, wie sie der Orakelpriester in der Divination verwendet, und ein persönliches Orakelzeichen. Es wird zudem der Orischa bestimmt, dem sich ein Anhänger unter Umständen später einweihen lässt. Ein gelb und grünes Armband und eine Kette in den gleichen Farben sind sichtbare Zeichen der so geweihten „Kinder“. Sie bringen Orula am Sonntag, dem dieser Gottheit zugeordneten Wochentag, zwei Kerzen, Fische oder auch Blumen in den Lieblingsfarben Grün und Gelb dar. An das persönliche Orakelzeichen sind bereits eine Reihe von Vorschriften gebunden. Die Meidung bestimmter Speisen, die Vorsicht vor bestimmten Orten und Handlungen oder eine besondere Aufmerksamkeit gegenüber dem eigenen Verstorbenen können fortan das Leben des Anhängers begleiten. Das Wissen um die Gottheit, als dessen „Kind“ ein Mensch sich vielleicht später weihen lässt, kann ihn veranlassen, eigene Persönlichkeitsmerkmale im Hinblick auf die Eigenschaften „seines“ Orischas zu überdenken. Aufbrausend wie Changó, weise wie Obatalá, kokett wie Ochún oder mütterlich wie Yemayá können Aspekte einer durchdachten Identität auch in der Diaspora sein. Doch müssen sich nicht alle Anhänger initiieren lassen. Für welche es erforderlich wird, bestimmt das Orakel.

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Palmöl, Schnaps, Honig und Kerzen mit Zigarre ... das ist es, was die Gottheiten mögen. Museum für Kommunikation, Frankfurt am Main

Die in der Divination (Wahrsagung) gewonnen Ratschläge und Empfehlungen, sowie Opfer und Gaben an die Orischas, nehmen mit den weiteren Einweihungsstufen zu. In der Initiation ( ), die eine aufwendige siebentägige Zeremonie darstellt, wird der Vorstellung nach der Haupt-Orischa im Kopfe des Initianden verankert, der zudem noch eine Anzahl weiterer Orischas beziehungsweise ihre Repräsentationen erhält. Sie alle wollen in Zukunft umsorgt werden. Sie residieren in der ihnen eigenen Rangordnung in Porzellan-, Holz- oder Keramikgefäßen in einem Hausschrein. Als solcher eignen sich die Fächer einer Schrankwandkombination deutscher Wohnzimmereinrichtungen ebenso wie Ikea-Glasvitrinen oder die gute alte Kommode der Großmutter. Nur das eheliche Schlafzimmer ist als Standort tabu, weil Sexualverkehr in der Nähe der Orischas als Respektlosigkeit betrachtet wird. Aber Rum und Zuckerrohrschnaps, Zigarren und Honig, Palmöl und Kakaobutter sowie gelegentlich eine Kokosnuss dürfen im Hause eines Santeros, dem seine Orischas am Herzen liegen, niemals fehlen. Was davon in Deutschland nicht im Supermarkt zu finden ist, kann im Afrikashop in Bahnhofsnähe jeder größeren Stadt erstanden werden. Zudem hat der Novize ( iyabó ) im ersten Jahr nach seiner Initiation eine ganze Reihe von Vorschriften, Meidungs- und Ausgehgeboten zu beachten. Er hat weiße Kleidung zu tragen und selbst beim Schlafengehen den Kopf bedeckt zu halten. Später kann man auch ihn an einem Perlenarmband in den typischen Farben seines Orischas erkennen und vielleicht auch im deutschen Alltag auf Konzerten oder Straßenfesten mit kubanischer Musik als Santero-Priester identifizieren.

Des Weiteren ist das „Geburtstagsfest“, das der Santero regelmäßig am Jahrestag seiner Initiation begeht, ein Muss. Festlich geschmückt werden die Orischas den Gästen vorgeführt, wobei in Deutschland Verwandte und Freunde anstelle der Kultfamilie in Kuba treten. Früchte, Kuchen und spezielle Speisen werden um den Thronaltar der Orischas positioniert und später genüsslich von den Gästen verspeist.

Die Orakelpriester, die zuvor meist auch eine Santero-Initiation vollzogen haben, halten sich an dieselben Regeln, nur dass sie sich zudem noch einem lebenslangen Studium der Orakelzeichen ( odus ) und ihrer Auslegung unterziehen müssen. Einige Stunden pro Tag soll sich der babalawo diesen Studien widmen, um jedes der 256 möglichen Orakelzeichen und ihre Rangordnung zueinander zu kennen und anhand der damit verbundenen Mythen und Verse für den jeweiligen Klienten interpretieren zu können. Die Orakelkette, mit der sich ein Zeichen einfacher und schneller als mit den Palmnüssen ermitteln lässt, befindet sich auch in Deutschland in der Hosentasche jedes Orakelpriesters. Wer Umgang mit einigen von ihnen pflegt, wird über kurz oder lang Zeuge sein, wie in aller Schnelle eine sich ergebende Unklarheit mit dem Zücken und Werfen der Orakelkette beantwortet wird. Wenngleich auch die Santeros das Orakel befragen und dazu Kaurischnecken oder Karten verwenden, gilt die Divination der Orakelpriester als hochrangiger und deutet mehr Orakelzeichen aus. Unerfahrene Santería-Anhänger können lediglich mit vier Kokosnussstücken einfache Ja-Nein-Fragen klären.

Alltagsreligiosität in der Santería zeigt sich als ein differenziertes und komplexes Geflecht von Praktiken, Vorschriften und Empfehlungen. Alle Anhänger der Santería erhalten Empfehlungen und Vorschriften, doch sind diese nicht für alle Anhänger gleich. Die Religion stellt die einzelne Person, das Individuum, in den Mittelpunkt und will sie befähigen, ihrer Bestimmung gemäß zu leben. Es herrscht keine Universalität und Allgemeingültigkeit, sondern eine Zuwendung zum einzelnen Menschen.

Weiterführende Literatur

Rossbach de Olmos, Lioba (2003): Santería in Deutschland. In: Lioba Rossbach de Olmos, Bettina E. Schmidt (Hrsg.): Ideen über Afroamerika - Afroamerikaner und ihre Ideen. Ethnologische Perspektiven zu afroamerikanischen Gesellschaften im Prozess weltweiter Verflechtungen. Beiträge der Regionalgruppe "Afroamerika" im Rahmen der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde in Göttingen 2001 (Reihe Curupira Workshop, 9). Marburg: Curupira. S. 137-149
Rossbach de Olmos, Lioba (2003): Die Santería. Afrokubanisches in Deutschland. In: journal-ethnologie.de. 3|2003

Zur Autorin

Dr. Lioba Rossbach de Olmos, Ethnologin, Forschungen zu Nicaragua und Kolumbien. Langjährige Mitarbeit im "Klima-Bündnis der europäischen Städte mit indigenen Völkern der Regenwälder", zurzeit Wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt "Santería in Deutschland. Manifestationen der afrokubanischen Religion in deutschen Kontexten" am Institut für Vergleichende Kulturforschung – Völkerkunde der Philipps-Universität Marburg.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008