TRIBAL COLLEGES

Indianisch geführte Universitäten als Symbole von Hoffnung und Stolz

Von Anne Grob

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Die Skulptur “Eagle Spirit” am Salish Kootenai College weist auf die kulturelle Komponente dieses Tribal Colleges hin. Foto: J. Grob

„Die Entstehung von Tribal Colleges ist die wichtigste Entwicklung innerhalb indianischer Gemeinschaften seit dem Zweiten Weltkrieg“. So lautet die Aussage eines bekannten Tribal Colleges Experten. Wenn dies stimmt, warum ist so vielen diese Entwicklung nicht geläufig und warum wird das Phänomen Tribal Colleges kaum beachtet? Obwohl Tribal Colleges in der heutigen amerikanischen Hochschullandschaft eine zunehmend wichtige Rolle einnehmen, sind der breiten Bevölkerung in den USA und Europa diese speziellen Hochschuleinrichtungen fast gänzlich unbekannt. Dies verwundert, gelingt es doch bis heute nur sehr wenigen staatlichen oder privaten Universitäten, eine für Indigene erfolgreiche und (kulturell) relevante Ausbildung anzubieten. Dies ist ein Hauptgrund für die Entstehung von Tribal Colleges in den 1970er-Jahren.

Aber eins nach dem anderen: Was sind Tribal Colleges und wie sind sie entstanden? Was macht sie einzigartig und unterscheidet sie von staatlichen oder privaten Colleges? Dieser Sachverhalt und die Frage nach ihrer Funktion im heutigen indigenen Nordamerika sollen im Folgenden thematisiert werden.

Tribal Colleges (auch unter den Bezeichnungen TCUs, Tribally Controlled Community Colleges oder Indian Colleges bekannt) sind Hochschuleinrichtungen für American Indians die überwiegend von indianischen Gemeinschaften gegründet und durch indianische Vorstände geführt werden. Das Leitbild von tribalen Universitäten setzt diese klar von ihren staatlichen oder privaten Pendants in den USA ab. Dabei ist die Kombination von westlich geprägten Bildungsstrukturen mit traditionellen indigenen Formen der Wissensvermittlung ein besonderes Merkmal dieser Institutionen. Die Bestrebungen um den Erhalt und die Weitervermittlung von Kultur und eine akademische Umgebung, in der die speziellen kulturellen Bedürfnisse eine wichtige Rolle spielen, werden im Unterrichten (spezifischer) traditioneller Werte und indigener Sprachen sichtbar und machen Indian Colleges einzigartig. Wie Wayne Stein, ein Professor an der Montana State University und Experte für Tribal Colleges während eines Interviews treffend beschreibt: „Dies sind die einzigen Institutionen, die die Kulturen der American Indians als bedeutend ansehen“.

Diese alternativen Hochschulen entwickelten sich in einer Zeit, die in den USA durch eine zunehmende Aufmerksamkeit für die Situation von Minoritäten geprägt war. Sichtbar wurde dies unter anderem in sozialen, politischen und gesetzlichen Veränderungen, die ihrerseits einen erforderlichen Grundpfeiler für Transformationen im Bildungssektor darstellten. So entstanden in den 1970er- Jahren Tribal Colleges im Zuge des verstärkten Strebens nach Selbstbestimmung seitens der indigenen US-Bevölkerung und als Reaktion auf eine jahrzehntelang dauernde ethnozentristische und missglückte US-Bildungspolitik. Ein weiterer Grund für die Entstehung tribaler Universitäten stellte das wachsende Bewusstsein seitens indigener Gruppen über den positiven Einfluss von Hochschulbildung für den Erhalt von Kultur und Sprache dar. Außerdem sollte der Zugang von Native Americans zur Hochschulbildung verbessert werden, der vor der Gründung von Tribally Controlled Community Colleges schwierig und damit gering war. Dem ersten Tribal College, dem Navajo Community College , das im Jahr 1968 in Tsaile, Arizona gegründet wurde, folgten trotz zum Teil erheblicher Anfangsschwierigkeiten viele weitere, und heute gibt es bereits 34 dieser Universitäten.

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Tribal Colleges in den USA. Quelle: American Indian Higher Education Consortium. http://www.aihec.orgtribal college_map. cfml.gif; December 2007.

Obwohl sich jedes Tribal College in seiner Größe, Einrichtung, seinem Studienangebot und der indianischen Gemeinschaft, in deren Dienst es steht, unterscheidet, gibt es einige Merkmale, die diese Bildungsinstitutionen gemeinsam haben. Ein Großteil der Tribal Colleges befindet sich in geografisch isolierten Gebieten auf oder in der Nähe von Reservationen. Sie bieten, obwohl sie theoretisch jedem offenstehen, in erster Linie den Angehörigen der jeweiligen indigenen Gemeinschaft(en) und Mitgliedern anderer Stämme eine Hochschulausbildung, die für viele sonst nur unter erheblichen Schwierigkeiten oder gar nicht zu erreichen wäre. Folglich sind die meisten Studenten Native Americans. Anders als an staatlichen Colleges sind Studenten durchschnittlich älter. Vor allem indigene Frauen nehmen das Ausbildungsangebot der TCUs mit großem Eifer wahr. Eine auffallend große Zahl der Tribal College-Studenten ist allein erziehend oder hat weitere familiäre Verpflichtungen. Viele arbeiten nebenbei, um für die Studiengebühren aufzukommen und die Familie zu unterstützen, wobei das Einkommen weit unter dem nationalen Durchschnittsverdienst liegt. Darüberhinaus besuchen viele Studenten als erste Mitglieder ihrer Familie ein College.

Die Gründe für eine Universitätsausbildung an einem Tribal College sind sehr verschieden. Die meisten erhoffen sich eine Verbesserung der Lebensumstände für sich selbst, für die Familie und die Gemeinschaft. Andere sehen das Besuchen eines Tribal College als beste Möglichkeit, trotz familiärer und beruflicher Verpflichtungen eine Hochschulbildung zu absolvieren, die sowohl räumlich und finanziell, als auch kulturell auf die Bedürfnisse der indianischen Studenten abgestimmt ist. Wieder andere sehen in der TCU-Ausbildung ein Sprungbrett für die weiterführende Hochschulkarriere. Obwohl die späteren Berufschancen oftmals alles andere als rosig sind, haben Absolventen einer solchen Bildungseinrichtung erheblich bessere Chancen, eine geeignete Anstellung zu finden, als diejenigen ohne Universitätsabschluss.

Diesen besonderen Umständen und Charakteristika der Studierenden ist es zu verdanken, dass Tribal Colleges sowohl über ein besonderes System der Studentenbetreuung, als auch über speziell auf die jeweilige indigene Gemeinschaft abgestimmte Studienangebote und akademische Abschlüsse verfügen.

Alle Tribal Colleges begannen als sogenannte „ two-year schools “, die Zertifikate und Associate Degrees (Universitätsgrad nach dem Abschluss eines zweijährigen Studiums) verleihen. Sie haben darüberhinaus Abkommen mit staatlichen Universitäten geschlossen, an denen Studenten nach Abschluss ihres zweijährigen Tribal College Studiums weiterführende Kurse an staatlichen Universitäten wahrnehmen können, die beispielsweise zu einem Bachelor-Abschluss führen. In solch einem Fall ermöglicht es die offizielle Zertifizierung der Tribal Colleges durch regionale Akkreditierungsagenturen außerdem, dass Studenten die am TCU erbrachten Studienleistungen an der staatlichen Hochschuleinrichtung anrechnen lassen können. Obwohl auch heute noch die Mehrheit der Tribal Colleges Zertifkate und Associate Degrees anbietet (wobei 73% der Studenten einen Associate Abschluss wählen), gibt es mittlerweile tribale Universitäten, die ein Bachelor- und ein Master-Studium anbieten. Ganz gleich, welche Abschlüsse ein TCU anbietet: Allen Tribal Colleges ist gemein, dass Studiengänge und Abschlüsse einen direkten Bezug zu den jeweiligen indianischen Gemeinschaften und deren Bedürfnisse haben. Dementsprechend sind besonders Studienfächer wie Wirtschaftswissenschaften, Lehramtsstudiengänge oder Studiengänge, die auf Berufe im Gesundheitswesen vorbereiten, sehr beliebt.

Tribal Colleges haben sich den Erfolg ihrer Studenten als eines der wichtigsten Ziele gesetzt. Diese „ serving the student comes first “-Einstellung ist sowohl bei Angeboten des mit hiesigen Universitäten zu vergleichendem Studentenwerks, als auch bei der fachlichen Betreuung durch Lehrende spürbar. Im Gegensatz zu den überwiegend indigenen Studenten setzt sich das Lehrpersonal vorwiegend aus nichtindianischen Personen zusammen. In den letzten Jahren hat jedoch der Anteil an indigenen Dozenten - auch durch die Arbeit der Tribal Colleges - stark zugenommen. Obwohl das Dozentengehalt an Tribal Colleges zum Teil beträchtlich unter dem üblichen liegt und es aufgrund der oftmals isolierten Lage der Colleges auf Reservaten schwierig sein kann, eine Anstellung für Familienangehörige zu finden, sind viele Lehrende laut einer aktuellen Studie mit ihrer Arbeit sehr zufrieden und auch „uneigennütziger“ als Kollegen an staatlichen Hochschuleinrichtungen. Die Erklärung liegt im Lohn: Es ist bekannt, dass sich an diesen Institutionen nicht das große Geld machen lässt, weshalb materialistisch eingestellte Kandidaten sich gar nicht erst bewerben. Im Gegenteil, viele TCU-Lehrende – sowie der restliche Mitarbeiterstab - haben den Anspruch, die Situation der Studenten allgemein zu verbessern und gleichzeitig die entsprechende tribal community zu unterstützen, zu denen diese in den meisten Fällen gehören. Durch spezielle Förderprogramme, Tutorenvermittlung oder Kinderbetreuung, um nur einige Beispiele zu nennen, versuchen Tribal Colleges, diese Ziele zu verwirklichen.
Neben der individuellen Förderung ihrer Studenten leisten Tribal Colleges überdies einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Lebenssituation für die gesamte indigene Gemeinschaft. Als wesentliche Bestandteile ihrer jeweiligen Gemeinschaft tragen Indian Colleges zu deren sozialer, kultureller, wirtschaftlicher und politischer Entwicklung erheblich bei.

Soziale Dienstleistungen, die etwa weit verbreitete Gesundheitsprobleme auf der Reservation aufgreifen und Verbesserungen im unzureichenden (staatlich geführten) Gesundheitswesen anstreben, gehören zu den Maßnahmen zahlreicher Tribal Colleges. Auch die Rolle vieler TCU-Bibliotheken als Stammesarchive, die wertvolle Ressourcen über die jeweilige indigene Gruppe verwalten, sowie Programme, die schulpflichtigen Stammesmitgliedern den Weg zu einer Hochschulbildung ermöglichen sollen, sind in diesem Zusammenhang zu nennen.

Im kulturellen Bereich ist die Vermittlung von traditionellem Wissen beachtenswert. Dies geschieht sowohl innerhalb des Unterrichts als auch in Form von Zeremonien oder Powwows in den indianischen Gemeinschaften. Dazu kommen die gezielten Bestrebungen der Colleges in Bezug auf die Bewahrung und Revitalisierung der Kultur, Geschichte und Sprache. Besonders im Hinblick auf die schnell fortschreitende Erosion indigener Kulturen und Sprachen ist diese Funktion der Universitäten enorm wichtig.

Auch wirtschaftlich profitieren indigene Gemeinschaften von der Existenz der tribalen Universitäten. Die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Weiterbildung der berufstätigen Bevölkerung am College oder die tatkräftige Unterstützung mittelständischer Unternehmer durch diverse Programme sind nur einige Beispiele, wie Tribal Colleges die Wirtschaft auf den Reservationen anregen und somit die wirtschaftliche Situation erheblich verbessern. Eine weitere wichtige Rolle, die Tribally Controlled Community Colleges spielen, bezieht sich auf die Selbstbestimmungs- und Souveränitätsansprüche indigener Gruppen. Viele zukünftige Führungspersönlichkeiten genießen eine TC-Ausbildung und erwerben Führungsqualitäten, die sie in ihren späteren Positionen nutzen können. Darüberhinaus gelten Tribal Colleges als Inbegriff für Souveränität, da sie eine der wenigen Institutionen auf den Reservationen sind, die nur der Stammesregierung verpflichtet sind, nicht aber - wie sonst üblich - dem Innenministerium der US-Regierung. Tribal Colleges erfüllen daher eine wichtige Funktion im Streben nach größerer indigener Selbstbestimmung.

In ihrer zwar recht kurzen aber dennoch erfolgreichen Laufbahn haben Tribal Colleges bewiesen, dass sie eine ernstzunehmende Alternative zu herkömmlichen Bildungsmodellen darstellen. Um es in den Worten Raymonds wiederzugeben: “Tribal Colleges geben dem Einzelnen die Möglichkeit sein Schicksal und das ihrer Gemeinschaften zu gestalten”. Ohne Zweifel werden sie noch an Bedeutung gewinnen und auch zukünftig in ihrer Rolle als Hoffnungsträger positive Veränderungen für indianische Studenten und deren Gemeinschaften bewirken.

Weiterführende Literatur
Boyer, Paul (1997): Native American Colleges - Progress and Prospects. A Special Report. San Francisco: Jossey-Bass Publishers
Oppelt, Norman T. (1990): The Tribally Controlled Indian Colleges: The Beginnings of Self-Determination in American Indian Education. Tsaile: Navajo Community College Press
Robbins, Rebecca L. (2002): Tribal College & University Profiles. Pablo: Salish Kootenai College

Zur Autorin
Anne Grob, Studium der Amerikanistik und Ethnologie an der Universität Leipzig. Studium an der Montana State University Bozeman 2004-2005, Feldforschung über Tribal Colleges in Montana, 2007. Magisterarbeit zum Thema “Salish Kootenai College – Responding to Individual Students’ and Community Needs”.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008