ZWISCHEN KULTUR UND MARKT

Initiation als Kulturfestival in Papua-Neuguinea

Von Joachim Görlich

Klicken Sie für eine vergrößerte Ansicht auf das Bild Klicken Sie für eine vergrößerte Ansicht auf das Bild
Programm-Poster an einer Hauswand in Simbai. Foto: J. Görlich

Das vierte Kulturfestival der Kalam fand vom 16. bis 20. September 2008 in Simbai am nördlichen Rand des Hochlandes von Papua-Neuguinea statt. Simbai – dessen Flugpiste die Hauptverbindung zur Außenwelt darstellt – ist das politische Zentrum der mehr als 20.000 Kalam, die im östlichsten Teil des Schrader-Gebirges oder den westlichen Ausläufern des Bismarck-Gebirges leben.

Das Kalam-Kulturfestival basiert auf einem traditionellen Initiationsritual. Diese noch heute von zahlreichen lokalen Gruppen der Kalam durchgeführte Initiation ist in vielen Grundzügen identisch mit der traditionellen Initiation, wie sie in den fünfziger Jahren, als die ersten australischen Kolonialadministratoren das Gebiet erreichten, von den Kalam praktiziert wurde.

Ein Initiationsritual als Grundlage des Kulturfestivals der Kalam
Die während des Kulturfestivals durchgeführte Initiation fand in und um ein Ritualhaus herum statt (vgl. Abb. 3). In der Mitte des Hauses befand sich der eigentliche Ritualraum, zu dem keine Frauen und Kinder Zutritt hatten. In den Nebenräumen des Ritualraums begannen kurz vor der Abenddämmerung die Initiationsfeierlichkeiten mit einem gemeinsamen Mahl von Männern, Frauen und Kindern. Sobald es dunkel geworden war, tanzte eine Gruppe von jüngeren Männern um das Ritualhaus herum. Im Anschluss daran begleitete diese Gruppe zusammen mit mehreren älteren Männern die drei Initianden in den Ritualraum. Nach dem Entfachen eines Feuers begannen die Ritualgesänge, die die ganze Nacht andauerten. In den Liedern sind traditionelle Themen wie der Erfolg bei Gartenarbeit und bei Jagdaktivitäten oder das Empfangen von wertvollen Molluskenschalen beispielsweise im Rahmen einer umfangreichen Brautgabe immer mehr durch das Thema Geld und seine Beschaffung ersetzt worden. Die Vorbereitungen für den geheimsten Teil der Initiation, nämlich das Durchbohren der Nasenscheidewand der Initianden, begannen nach Mitternacht. Mit einem gemeinsamen Mahl im Ritualraum endete die erste nächtliche Sitzung.

In der zweiten Nacht bestanden die rituellen Aktivitäten vor allem aus einem Wechselgesang zwischen Männern und Initianden innerhalb des Initiationshauses und Frauen außerhalb des Hauses. Die Frauen in traditioneller Ritualbekleidung tanzten um das Haus herum und brachten ihre Sorge darüber zum Ausdruck, dass die Jungen nicht mehr bei ihnen wären.

Klicken Sie für eine vergrößerte Ansicht auf das Bild Klicken Sie für eine vergrößerte Ansicht auf das Bild
Initianden verlassen mit ihren Begleitern das Initiationshaus. Foto: J. Görlich

Am nächsten Morgen verließen die Initianden mit ihrem zeremoniellen Kopfschmuck zum ersten Mal das Ritualhaus, um an der Schlachtung mehrerer Schweine zu teilzunehmen. Noch vor einigen Jahren durften zu diesem Zeitpunkt nur diejenigen Initianden das Haus verlassen, die an der Initiation zum zweiten Mal teilgenommen hatten. Sie wurden damit von den zahlreichen Nahrungstabus befreit, die auf diejenigen Initianden zukamen, die zum ersten Mal am Initiationsritual partizipierten. Heutzutage können jedoch alle Initianden das Haus zur Schweineschlachtung verlassen, da die verschiedenen Nahrungstabus nicht mehr strikt eingehalten werden.

Die wichtigsten Aktivitäten in der dritten Nacht bestanden im zeremoniellen Ankleiden der Initianden. Am Morgen verließen sie gemeinsam mit ihren ebenfalls festlich geschmückten Begleitern das Ritualhaus. Einige Stunden später wurde vor dem Ritualhaus die „Brautgabe“ (eigentlich „Ehefraugabe“) ausgebreitet und verteilt. In der nächsten Nacht kamen „singsing“-Gruppen aus Simbai und benachbarten Ortschaften, um in traditionellem Festschmuck die ganze Nacht über zu tanzen und zu singen. Während früher diese Tänzer auf der Basis des Reziprozitäts-Prinzips am sogenannten „smi“ Tanzfest teilnahmen, müssen sie heutzutage dafür bezahlt werden. Mehrere hundert Menschen aus dem Simbai-Tal und den angrenzenden Gebieten besuchten den spektakulären Höhepunkt der Initiation. Auf der Rückseite des Ritualgeländes, an einer etwas abgelegeneren Stelle, war von jüngeren Leuten eine Lautsprecheranlage installiert worden, um dort auch zu den Klängen moderne Popmusik tanzen zu können.

Klicken Sie für eine vergrößerte Ansicht auf das Bild Klicken Sie für eine vergrößerte Ansicht auf das Bild
Touristen erhalten Erörterung des „Brautpreis“-Systems kurz vor der Verteilung der am Boden ausgebreiteten Brautgaben. Foto: J. Görlich

Das Kalam-Kulturfestival und seine Ursprungsgeschichte
Das Kalam-Kulturfestival ist eng verknüpft mit der Gründung des „Kalam-Gästehauses“. Ein „community leader“ hatte die Idee ein gemeinde-orientiertes Gästehaus zu bauen. Für das Management fanden sich drei Männer, die auf unterschiedliche Weise mit Fremden Erfahrung gewonnen hatten: durch Mitarbeit in der Administration von einer Highschool im 40 km entfernten Distrikt-Zentrum Aiome, durch einen ausbildungsbedingten Australien-Aufenthalt oder durch das Betreuen von Kunden einer Busch-Fluggesellschaft. Zahlreiche Ratschläge bekamen sie auch von drei britischen Lehrern, die an der Aiome Highschool beschäftigt waren, darunter ein Ehepaar, das selbst ein Gästehaus auf der Isle of Man besitzt.

Im Jahre 2004 wurde das Gästehaus mit einer Reihe von Festivitäten eingeweiht. Mit Tourismus-Fachleuten aus der Provinzadministration und aus dem Privatsektor war darüber nachgedacht worden, wie Touristen für das Gästehaus gewonnen werden können. Eine Idee war die Performance einer Kulturshow auf der Grundlage des traditionellen Initiationsrituals der Kalam. Schon einige Monate später, im Jahr 2005, fand dann das erste Kultur-Festival der Kalam statt. Das zweite Festival im Jahr 2006 wurde unter großer Beteiligung der einheimischen Bevölkerung durchgeführt. Im darauf folgenden Jahr 2007 fand nur ein sehr stark reduziertes Festival statt, wegen des Wahlkampfes für die nationalen Parlamentswahlen. Das 2008 wieder etwas umfangreicher organisierte vierte Festival hatte mit etwa 20 Touristen die bisher stärkste touristische Präsenz zu verzeichnen.

Alle Besucher, sowohl einheimische als auch auswärtige müssen ein Eintrittsgeld bezahlen, wobei dass der letzteren um ein Vielfaches über dem der ersteren Gruppe liegt. Die gesamten Einnahmen werden vom Komitee an alle Personen, die in die Organisation und Veranstaltung des Festivals eingebunden sind, umverteilt. Dabei erhält der „Vater der Initiation“ den Hauptanteil; aber neben seiner Lokalgruppe sind zahlreiche andere Lokalgruppen aus der Nachbarschaft ebenfalls an dem Festival beteiligt, sodass eine breite Streuung der Einnahmen erfolgt. Das Organisations-Komitee selbst erzielt keinen Gewinn.

Klicken Sie für eine vergrößerte Ansicht auf das Bild Klicken Sie für eine vergrößerte Ansicht auf das Bild
Willkommensschild im Eingangsbereich des Gästehauses. Foto: J. Görlich

Neben der „Community“-Orientierung spielt für die Begründer und Organisatoren des Kalam-Festivals und des Kalam-Gästehauses auch die Idee des „Cultual Heritage“ eine wichtige Rolle. Von Anfang an war das Gästehaus mit einem Kultur-Museum verknüpft. Zu Beginn bestand dieses Museum nur aus einem Raum innerhalb des Gästehauses. Danach wurde ein kleines Museumsgebäude in der unmittelbaren Nachbarschaft des Gästehauses errichtet. Und in diesem Jahr wurde ein zweistöckiges Gebäude eröffnet. Dazu war auch ein ehemaliger australischer „Patrol Officer“ eingeladen worden, der dem Museum eine Sammlung von Fotos schenkte, die er Anfang der sechziger Jahre in seiner Funktion als Kolonialadministrator in Simbai aufgenommen hatte. Zwischen Kultur-Museum und Kultur-Festival wird ein direkter Bezug gesehen: In der gleichen Weise wie das Museum einen Beitrag zum kulturellen Erbe der Kalam liefert, könnte auch die Performance des traditionellen Initiationsrituals im Rahmen der Kultur-Show zur Erhaltung dieser Institution in der Zukunft beitragen, indem sie zum Beispiel für jüngeren Leute auch einen finanziellen Anreiz liefert traditionelle, kulturelle Praktiken weiterhin zu pflegen.

Klicken Sie für eine vergrößerte Ansicht auf das Bild Klicken Sie für eine vergrößerte Ansicht auf das Bild
Kultur-Museum am Eröffnungstag. Foto: J. Görlich

Transformationen der Initiation durch den Tourismus
Zwei Aspekte des organisatorischen Wandels scheinen mir besonders signifikant. Zunächst zum Wandel des Ressourcen-Managements: Traditionell muss eine bestimmte Menge von Taro und Schweinen vorhanden sein, um alle Tausch- und Bewirtungsnotwendigkeiten, die mit der Ausführung des Initiationsrituals verknüpft sind, durchführen zu können. Diese werden verwendet, um soziale Beziehungen zu knüpfen und zu festigen. Heutzutage muss von den Organisatoren des Gästehauses und Festivals aber auch Geld gespart werden, um damit Waren, wie westliche Nahrungsmittel, Matratzen, Decken und so weiter für die Touristen kaufen zu können.

Eine zweite wichtige organisatorische Veränderung ist die Verbindung zwischen traditionellen rituellen Aktivitäten im Dorf und der „Welt“, wie es die Organisatoren metaphorisch ausdrücken. Aber mit der „Welt“ in Form von Touristen in Kontakt zu treten, bedeutet auch in eine intensivierte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Weltanschauungen und kulturellen Praktiken zu treten. Diese Auseinandersetzung versuchen die Organisatoren dadurch zu steuern, dass die Touristen außerhalb des Gästehausgeländes von Betreuern begleitet werden. Diese Betreuung bedeutet aber auch eine Separierung der Touristen, vom Leben der Einheimischen, woran von Kalam-Seite bereits Kritik geübt wurde.

In Bezug auf das Ritual als solchem unterliegt ein Aspekt besonders der Veränderung, nämlich der des Geheimnisses, das die gesamte Initiation durchdringt. Die Bedeutung des Geheimnisses nimmt kontinuierlich ab. Von den Touristen wurde die Einhaltung von zwei Restriktionen verlangt: Erstens, zu bestimmten Zeiten, wenn besonders geheime Aktivitäten wie das Nasen-Piercing praktiziert werden, dürfen sich keine Touristen im Ritualraum aufhalten. Zweitens, Frauen ist grundsätzlich das Betreten des Ritualraums verboten. Obwohl diese Restriktionen bisher aufrechterhalten worden sind, ist es meines Erachtens nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten Ausnahmen gemacht werden.

Durch die Lockerung der Geheimhaltung und die Reduzierung körperlicher Intensiverfahrungen scheint die Kraft und Wirksamkeit des Rituals reduziert. Trotzdem bleibt die Teilnahme für die acht- bis vierzehnjährigen Jungen aufgrund der fordernden rituellen Praktiken weiterhin ein tief einprägsames Erlebnis. Dies führt auch weiterhin zu bestimmten erwünschten Transformationen bei den Initianden. So spielen die rituellen Praktiken weiterhin eine wichtige Rolle für den Statuswechsel vom Jungen zum Mann. Aber aufgrund des Einflusses der Moderne sind diese Transformationen nicht mehr die gleichen wie in der vorkolonialen Zeit. Das vorkoloniale sozio-kosmologische System, in dem menschliche und nichtmenschliche Personen relational verortet sind, und in dem es keine moderne Differenzierung zwischen Subjekt und Objekt und damit auch keine zwischen sozialer und biologischer Person gibt, befindet sich heute durch den Einfluss der Kirche, der Schule, der Marktwirtschaft und anderer modernen Institutionen in einem tiefgreifenden Transformationsprozess. Dieser durch die Moderne bereits herbeigeführte und durch die Touristen weiter fortgeführten Veränderungsprozesse beeinflussen auch die rituellen Transformationen der Initiation.

Weiterführende Literatur
Bamford, Sandra (ed.) (2007): Embodying modernity and post-modernity. Ritual, praxis, and social change in Melanesia. Durham: Carolina Academic Press
Gewertz, Deborah und Frederick Errington (1991): Twisted histories, altered contexts. Representing the Chambri in a world system. Cambridge: Cambridge University Press
Görlich, Joachim (2003): Tanzen auf mythischen Pfaden. Beziehungen zwischen Land und Menschen bei den Kobon in Papua-Neuguinea. In: Mitteilungen aus dem Museum für Völkerkunde Hamburg, Neue Folge Band 33. S. 337-374
Jolly, Margaret (1994): Kastom as commodity: The land dive as indigenous rite and tourist spectacle in Vanuatu. In: Lamont Lindstrom and Geoffrey M. White (eds.) Culture, kastom, tradition. Developing cultural policy in Melanesia. Suva, Fiji: Institute of Pacific Studies, The University of the South Pacific. S. 131-144
Majnep, Ian Saem und Ralph Bulmer (Edited by Robin Hide and Andrew Pawley) (2007): Animals the ancestors hunted. An account of the wild mammals of the Kalam area, Papua New Guinea. Adelaide: Crawford House Publishing Australia

Zum Autor
Dr. Joachim Görlich ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle. Feldforschungen in Papua-Neuguinea. Forschungsprojekt zu Transformationen von Subjekt-Objekt-Beziehungen in Melanesien.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008