DER ERZÄHLTE TOD

Lesen, worüber man nicht sprechen mag

Von Lioba Rossbach de Olmos

Anders als hierzulande wird der Tod bei den meisten Völkern der Welt nicht aus dem Leben ausgegrenzt. Viele Kulturen räumen ihm vielmehr einen festen und prominenten Platz ein und zollen ihm in Bestattungsfeierlichkeiten, Trauerbekundungen und Erinnerungsriten Tribut. Auch die Erzählkunst der Völker ist von Motiven rund um den Tod und das Sterben durchdrungen. Sylvia Schopf hat für ihr jüngstes Buch Mythen und Legenden der ganzen Welt zusammengetragen, die über Tod und Sterben handeln. Ausgangspunkt war, wie die Autorin in ihrem Vorwort eindrücklich betont, der große Gegensatz einer von Tod durchdrungenen Medienwelt, in der Krieg, Naturkatastrophen oder Hunger und Krankheit alltäglich über den heimischen Bildschirm flimmern, und unsere Lebenswelt, die mit dem Alter und der Krankheit auch den Tod ins Abseits schiebt.

In Schopfs Buch „Wie der Tod in die Welt kam“ wird der Tod in Mythen und Erzählungen aus der ganzen Welt und unterschiedlichen Geschichtsepochen in das Blickfeld des Lesers zurückgeholt. Die Erzählungen wurden von der Autorin auf der Grundlage verschiedener Quellen frei nacherzählt. Auf reißerische Effekthascherei wird dabei verzichtet, stattdessen erhält der Tod ein fast menschliches Antlitz. Zum Teil ist dies auf die Bearbeitung der Erzählungen durch die Autorin zurückzuführen. Sylvia Schopf, die sich schon als Autorin von zahlreichen Kinderbüchern hervorgetan hat, verstand es auch, die teils fremdartigen Erzählungen so zu bearbeiten, dass sie einem ethnologisch unvorbelasteten Leser nahegebracht werden. Zum anderen haben es auch weltweit viele Völker verstanden, den an sich unbegreiflichen Tod begreifbar zu machen, indem sie ihn sozusagen vom Jenseits ins Diesseits ziehen und bis zu Unkenntlichkeit vermenschlichen. So ist es in Ostafrika ein schlichter Fehler bei der Ausführung einer göttlichen Anweisung, durch den der Tod zu den Menschen kam, in Zentralafrika entkommt der Tod aus seinem Gefängnis durch die Leichtsinnigkeit des Frosches. Bei den Inuit wurde der Tod gerufen, weil zu viele unsterbliche Menschen auf der Erde weilten, und er ging nicht mehr fort. In Indonesien schließlich kam der Tod, nachdem die Menschen aufgehört hatten, wie die Schlangen ihre Haut zu wechseln. Die Lektüre der zusammengetragenen Erzählungen mag vielleicht keine Nachdenklichkeit über den Sinn des Lebens evozieren; doch passen diese zu einem zutiefst menschlichen Problem, das man sich an einem verregneten Sommerabend oder einer besinnlichen Winternacht eher unterhaltsam als tiefgründig zu Gemüte führen will.

Es ist nicht das erste Mal, dass Sylvia Schopf sich ethnologischer Themen annimmt. Sie hat bereits Schöpfungsmythen aus aller Welt in einem Hörbuch für Kinder zusammengestellt. Das vorliegende Buch ist hingegen auf Erwachsene zugeschnitten. Es ist zwar keine ethnologische Mythenkompilation, sondern eine populärwissenschaftliche Sammlung von Erzählungen. Doch hat die Systematik, in welche die einzelnen Erzählungen eingeteilt sind, ethnologischen Charakter. Das Buch umfasst insgesamt sieben Kapitel, die einen Bogen spannen vom übernatürlichen Beschluss über die Existenz des Todes (Kapitel 1) bis zum Zustand jenseits des Todes (Kapitel 7). Der Tod wird in den Kapiteln sozusagen durchdekliniert, geordnet nach Erzählungen, in denen er durch ein Missgeschick die Welt der Menschen betritt (Kapitel 2) oder als Strafe für ein Vergehen (Kapitel 3). Er wird in seiner Qualität als Böses (Kapitel 4) präsentiert, gespiegelt am Leben (Kapitel 5), oder es wird mit ihm gestritten (Kapitel 6). Alle Kapitel sind um so genannte Stichworte ergänzt, die weniger erzählend, dafür aber ethnologisch Motive, Themen und Symbole interpretieren und auch denjenigen auf seine Kosten kommen lassen, den es über die pure Erzählkunst hinaus nach anspruchsvolleren geistigen Einsichten dürstet. Auch das Nachwort von Josef Franz Thiel ist in denselben Zusammenhang zu stellen und sollte hervorgehoben werden. Schließlich verdienen auch die Illustrationen Beachtung, die von Kristen Reinhold auf der Grundlage von Bildvorlagen eigens für das Buch geschaffen wurden. Das Umschlagsbild, auf dem sich zwei mexikanisch ausstaffierte Skelette vergnügt beim Tanz gegenüberstehen, versinnbildlicht prägnant das zutiefst Menschliche, das der Tod annehmen kann, wenn er im Leben der Menschen seinen Platz hat und nicht tabuisiert oder ausgegrenzt wird. Sich davon erzählen zu lassen, dafür bildet - wie gesagt - der verregnete Sommerabend oder die besinnliche Winternachteinen passenden Rahmen.

Schopf, Sylvia: Wie der Tod in die Welt kam. Mythen und Legenden der Völker. Freiburg, Basel, Wien: Herder, 2007, 191 Seiten, ISBN 978-3-451-29605-5. Preis: 19,90


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008