WER BEEINFLUSST WEN, WIE?

Über die Missionierung der „Native Americans“ in Nord-Amerika

Rezension eines Sammelbandes von Missionsdokumenten (1886 bis 1932)
Von Susanne Jauernig

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Holy Rosary Kirche, 2005. Foto: K. M. Kreis

Die „Indianer“, (ein nicht unumstrittener Sammelbegriff für die vielen heterogenen indigenen Gruppen Nordamerikas), erfreuen sich insbesondere im deutschsprachigen Raum großer Bekanntheit. Neben ihrer romantischen Verklärung – unter anderem in den Romanen Karl Mays - gibt es zahlreiche historische und aktuelle wissenschaftliche Arbeiten aus unterschiedlichen Perspektiven über die verschiedenen indigenen Gemeinschaften Nordamerikas.

An den folgenreichsten Phasen des Umbruchs in der Geschichte der Indianer im 19. Jahrhundert waren in weiten Teilen Nordamerikas die katholischen Orden, zum Beispiel Jesuiten und Franziskaner, maßgeblich beteiligt. Wie und in welchem Umfang sie die Lebensweise der indigenen Gruppen beeinflussten, geht Karl Markus Kreis anhand von Originaldokumenten der Missionen Holy Rosary und St. Francis unter den Sioux nach. Im Vordergrund stehen hierbei die beiden Missionen und ihre Schulen auf den Reservationen. Auf diese Gebiete hatte die US-Regierung die indigene Bevölkerung zurückgedrängt, und dort sollte sie fortan – ganz entgegen ihrer damaligen nomadischen Lebensweise – in einer dörflichen Struktur nach europäischem Vorbild leben.

Karl Markus Kreis' Sammelband ist der zweite Teil einer umfassenden Zusammenstellung von deutschsprachigen Dokumenten aus Missionsbeständen in Archiven in den USA und Deutschland. Während sich der erste Band von 2000 "Rothäute, Schwarzröcke und heilige Frauen" (2007 auch in englischer Sprache erschienen) mit schriftlichen Quellen aus der katholischen Mission der Sioux-Reservation von 1886 bis 1900 befasst, die Aufschluss über den schwierigen Vorgang der Vorbereitung und Gründung einer Missionsstation im indigenen Amerika geben, setzt der zweite Band mit Dokumenten aus den Jahren 1886 bis 1932 den Schwerpunkt auf die Konsolidierung der Missionen.

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"Handarbeitsklasse Holy Rosary Mission 1896" aus dem Archiv der Franziskanerinnen OSF Nonnenwerth/Rhein

Diese Quellensammlungen richten sich aufgrund ihres ethnografischen Hintergrunds nicht nur an Theologen oder Missionswissenschaftler, sondern auch an Ethnologen, die sich mit gesellschaftlichen Wandlungsprozessen im indigenen Nordamerika auseinandersetzen. Kreis schafft mit der Publikation von bislang unveröffentlichtem Material aus Spezialarchiven die Basis für weitere Studien über die Lakota. Sein Fokus bei der Auswahl der Dokumente ist der Prozess der Konsolidierung der katholischen Mission unter den Sioux, die sich innerhalb der Gemeindestruktur mit Missionaren und Regierungsbeamten, „in dieser neuen Lage aufeinander ein stellen “ (S.11) mussten. Damit verweist der Autor auf die Bedeutung der Wechselwirkungen zwischen Kultur, Religion und politischer Organisation in kolonialen Machtverschiebungen und dem daraus resultierenden gesellschaftlichen Wandel. Kreis’ Textquellen sind Zeugnisse deutschstämmiger Franziskanerinnen und Jesuiten, die im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert ihrer Berufung unter den Sioux folgten und in ihrer Muttersprache Berichte an verschiedene mit ihnen verbundene Personen und Organisationen in Europa schrieben.

Die Gliederung des Sammelbandes ist klar strukturiert, was den Überblick über diese Vielzahl von Dokumenten erleichtert. Zur Orientierung vermisst der Leser jedoch eine geographische Übersichtskarte. Die Dokumente werden verschiedenen Kategorien zugeordnet: Missionarsbriefe an die Deutsche Jesuitenprovinz, adressiert an konkrete Personen; Missionarsbriefe, die in überarbeiteter Version in einer missionsinternen Publikation, den so genannten Mitt(h)eilungen (1899-1932) erschienen; nicht-öffentliche Briefe und Haus-Chroniken der Franziskanerinnen; Berichte, abgedruckt in der Zeitschrift "Die katholischen Missionen", 1904 bis 1932; Artikel in Missionszeitschriften Europas und den USA sowie persönliche Korrespondenz des Paters P. Digmann (einer der Missionsgründer) an Franz Degelmann. Letztere hält der Autor für besonders aufschlussreich, da die Briefe Einblick in den missionarischen Eifer des Paters geben, der ihn „ … zum Repräsentanten dieser Generation von Missionaren, die in der Gründungszeit den Ton und die Richtung angaben“ (S. 482), werden lässt. Das letzte Kapitel ist eine Zusammenstellung von Fotografien aus dem Missionsarchiv Nonnenwerth in Deutschland, bestehend aus Bildern der Missionen sowie einer Auswahl von Portraits bedeutender Lakota.

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"Rev. Patres, Brüder und Knaben der Holy Rosary Mission 1896" aus dem Archiv der Franziskanerinnen OSF Nonnenwerth/Rhein

In der Einführung geht der Autor auf die verschiedenen Ebenen der missionarischen Tätigkeit ein und unterscheidet insbesondere die Gemeindearbeit der Jesuitenpater als Seelsorger von den Aufgaben der Missionsschulen. Diese Zweiteilung wird bereits im Titel des Buches „Schulen und Kirchen“ offensichtlich und betont die Trennung der zwei Institutionen mit ihren jeweiligen Strategien und Zielgruppen. Kreis bringt die Gemeindearbeit mit dem Begriff der "Akkomodation" (S. 14) in Verbindung. Er versteht darunter die „Anpassung und Übernahme von Elementen der einheimischen Kultur“ durch die Pater, die zum Beispiel durch die Verwendung der Lakotasprache im Gottesdienst den erwachsenen Sioux die christliche Botschaft näher bringen wollten - was als durchaus probates Mittel der Missionierung galt.

Solche ordensinternen Strategien standen allerdings im direkten Widerspruch zur US-amerikanischen Schulpolitik, die den Kindern das Sprechen der Muttersprache auf dem Schulhof untersagte. Das vorliegende Material verdeutlicht die Problematik der frühen Missionsarbeit: Die Akteure befinden sich in einem äußerst komplexen Geflecht aus voneinander abhängigen, konkurrierenden und teilweise rivalisierenden Systemen. Hierzu gehören die zwei Orden mit ihren internen hierarchischen Strukturen (Jesuiten und Franziskaner), die übergeordnete kirchliche Behörde (Bischof), die protestantischen Missionare, die US-amerikanische Regierung sowie das lokale indigene, nicht-christliche Umfeld. Das aus dieser Vielschichtigkeit resultierende Konfliktpotential verstärkt sich durch die sprachliche Heterogenität (Deutsch, Amerikanisch und Lakota).

Besonders aufschlussreich können die Reporte sein, wenn man dem Verhältnis zwischen Protestanten und Katholiken in Nordamerika auf den Grund gehen möchte: Das Konkurrenzverhalten und die Frage nach der wahren christlichen Lehre wird, ohne sich dem Diktat der „politisch korrekten“ Ausdrucksweise zu unterwerfen, von den Jesuitenpatern in den Niederschriften ausgemalt. Gleichzeitig legt das Material offen, weshalb die katholischen Ordensleute, die sich augenscheinlich in den politischen Fragen auf die Seite ihrer "Mündel" stellten, dem Vorwurf der Protestanten ausgesetzt waren, sie würden „heidnische" Traditionen der Indianer auf der Reservation nicht genügend bekämpfen und damit indirekt verstärken. Neben dem „Konfessionskrieg“ fand also auch eine machtpolitische Debatte im Wettlauf um die potentiellen Konvertiten statt.

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"Eine unserer Indianerfamilien" (Bloom, Fort Niobara, Nebraska)" aus dem Archiv der Franziskanerinnen OSF Nonnenwerth/Rhein

Mit der Kategorisierung des Materials in öffentliche und nicht-öffentliche Berichte schafft Kreis eine Grundlage, die es ermöglicht, sich durch die Briefe und Chroniken auch ein Bild von der emischen Perspektive der Ordenspersonen mit den „alltäglichen Ereignisse n und Sorgen“ (S. 9) zu machen. Der Autor setzt die Berichte in der etwa 40-seitigen Einführung und Erklärung nicht nur in den historischen Kontext, sondern gibt auch Hinweise auf den entsprechenden Duktus in der Schreibweise von Jesuiten und Franziskanerinnen: Während sich die Jesuitenpater sehr offen kritisch über die US-Politik und vor allem über die Protestanten äußern und auch viel von ihrer persönlichen Einstellung und Stimmung preisgeben, schildern die Schwestern ihre Erlebnisse in der Regel eher verhalten. Indem der Autor den Hintergründen der Anfertigung bestimmter Reporte und ihrer Zielsetzung auf den Grund geht, verhilft er dem interessierten Leser mit den dem jeweiligen Dokumententypus vorangestellten „editorischen Vorbemerkungen“ zu einer adäquaten „Lesart“. Beispielsweise fand der Autor heraus, dass die Schwestern angehalten waren, die Reporte nach einer strikten Anleitung zu verfassen und keine Emotionen, Übertreibungen oder gar Schilderungen interner Streitigkeiten zuzulassen (S. 275), da diese Zeugnisse „in fremde Hände oder in öffentliche Archive wandern können“ (zit. n. Kreis, S. 275).

Das vorliegende Buch ist aber nicht nur relevant in Bezug auf die alltägliche Interaktion. Besonders eindrucksvoll ist die Stellungnahme der Jesuiten und Franziskanerinnen zum Massaker von Wounded Knee (1890), das sie hautnah miterlebten.

Dem Verfasser gelingt es durch die Auswahl der Dokumente den Missionaren ein „Gesicht“ zu verleihen: Nur selten hat man die Möglichkeit den Vorhang, der Einblick in das „Seelenleben“ eines Missionars im Umgang mit anderen Kulturen verhindert, ein wenig zur Seite zu schieben. Profitierte die Ethnologie sehr von den ausführlichen Beschreibungen fremder Kulturen und Religionen durch Missionare, so stellt dieses Buch den Missionar als Akteur in einem fremden Umfeld in den Mittelpunkt. Mit der sorgfältigen Kontextualisierung der Ereignisse haben Forscher, die sich mit Missionierung der Sioux befassen nun die Chance, alle beteiligten Akteure gleichermaßen zu berücksichtigen. Das vom Autor zusammengestellte deutschsprachige Textmaterial ergänzt Veröffentlichungen über katholische Missionsarbeit im indigenen Nordamerika, wie beispielsweise von Christopher Vecsey und Mark Thiel. Karl Markus Kreis eröffnet mit der Herausgabe der deutschsprachigen Dokumente willkommene und Horizont erweiternde Perspektiven, und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Bewertung von katholischen Missionsaktivitäten in Nordamerika.

Karl Markus Kreis (2007): Schulen und Kirchen für die Sioux-Indianer. Deutsche Dokumente aus den katholischen Missionen in South-Dakota, 1884-1932. Bochum: Projekt Verlag. ISBN: 978-3-89733-163-1, 588 Seiten, 30,- Euro.

Weiterführende Literatur

Vecsey, Christopher (1996): On the Padres’ Trail, (American Indian Catholics, Vol. I), Notre Dame
Vecsey, Christopher (1997): The Paths of Kateri’s Kin, (American Indian Catholics, Vol. II), Notre Dame
Thiel, Mark u. a. (Hrsg.) (2003): The Crossing of two Roads. Being Catholic and Native in the United States. Maryknoll, (American Catholic Identities. A Documentory History), New York

Zur Autorin

Susanne Jauernig, M. A., Ethnologin. Seit 2004 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Sonderforschungsbereich "Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel" an der Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt zum Thema Katholische Missionen im Südwesten der USA. Mehrere Feldaufenthalte in Zuni und Jemez, New Mexico, USA.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008