AUSSTELLUNGSREZENSION: SEHENDEN AUGES

Zur Ausstellung "Weibsbilder - Frauenträume und Lebensentwürfe"

Von Danila Mayer

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Ausgehend vom Interesse an der hinduistischen Gottheit Durga Devi haben Frank Beat Keller, der seit bald zwei Jahrzehnten als Selbständiger (Ethno-Expo) Ausstellungen konzipiert und produziert und sein Team vor mehr als drei Jahren die Arbeit für «Weibs-Bilder» aufgenommen, und im Barockschloss Halbturn gemeinsam mit dem Kulturverein Schloss Halbturn und Schlossherrin Marietheres Waldbott realisiert. Das Konzept von „Weibs-Bilder“ wurde nach und nach zur jetzigen Form verbreitert und vertieft - unter Mitarbeit zahlreicher Wissender, um eine "gute und attraktive Mischung von bekannten Identifikationsfiguren mit in anderen Teilen der Welt wichtigen, aber hier in Europa vielleicht weniger bekannten Frauengestalten" sowie ästhetischen Stücken zu erhalten.

Die Exponate der Ausstellung sind aus allen Teilen der Welt zusammen gekommen und in den Sälen des Schlosses zu zwölf „Rollen“ geworden. Wir finden neben Tochter, Träumerin, Mutter auch die Verführerin (wunderbar: das Portrait der „Circe“ von Franz von Stuck), die Schöne und die Naturverbundene, begegnen der Dienerin und der Mächtigen. Und der Rolle der Sachkundigen, Engagierten, die Frauen wie Marie Curie, Dian Fossey und auch Ulrike Meinhof zeigt. Als letzte Rolle, wie ein Ziel, die Weise: dort wirbelt etwa „Wu“ groß über die Wand, das chinesische Schriftzeichen für die tanzende Schamanin.

Die Ausstellung lädt zur Reflexion ein: Wer bin ich, welche bin ich? Ein spielerischer Zugang, leicht gemacht durch die Raum- und Saalbetitelung mit Beschreibung, die Raumwände in unterschiedlichen Farben gehalten. Von den zwölf Typen bleiben einige bei der Betrachterin, einige liegen ferne; aber andere bieten sich als Optionen an, als wäre frau schon auf dem Weg dorthin.

Nach diesem persönlichen approach tritt schnell ein Zustand der Verwunderung ein ob der Vielfalt der Frauen, die uns entgegenblicken, die sich uns unverhüllt oder schlafend zeigen, die Kontakt mit uns aufnehmen oder sich abwenden, manche verbergen sich in einem Symbol, in einer Gummirolle, in einem Buch, einem Gebäude. Die Themen oder Rollen verschwimmen, machen einem Universum Platz; manches drängt sich in den Vordergrund, Figuren, überlebensgroß, leuchtende Portraits und bewegte Bilder. Dahinter die Feinarbeit, ziselierte Kleinode, Messinghände unter Glas, Hinweisschilder und Gebrauchsgegenstände. Es entsteht bei der Betrachterin eine Stimmung der Vervollständigung, als wären doch alle gezeigten Frauengestalten auch in uns selbst enthalten.

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Soweit die unbefangenen Gefühle beim Betreten und Durchschreiten der zwölf Räume, der großen Fülle an Exponaten. Diese sprengt Genregrenzen deutlich. Dennoch wird ein ethnologischer Blick einiges erkennen können, und fühlt sich auch bedient: die Frauen-Rollen durchziehen die menschlichen Gesellschaften, und umgekehrt sind viele Gesellschaften mit ihren Eigenheiten in der Ausstellung präsent. Aus ethnologischer Sicht kommen Schriften ins Gedächtnis und fallen aus der Bücherwand, die sich mit Frauen befassen, feministische Forschung, Frauenforschung, die Themen Zustimmung zur Macht, oder die Untersuchung von weiblichen Bereichen, die dem male bias entgangen sind. Eleanor Leacock, die mit Friedrich Engels argumentiert, dass die Unterordnung der Frau an die Entstehung des Privateigentums an Produktionsmitteln gebunden sei, und die „Myths of Male Dominance“ beschreibt; Meillassoux, der darangeht, die „wilden Früchte“ der Frau - die häusliche Reproduktionsarbeit - zu untersuchen.

Ein psychoanalytischer Blick hingegen kann nicht umhin, mit Lacan zu fragen, existiert sie überhaupt, die Frau, oder ist sie nur irgendwie konstruiert, sucht sich nicht jeder und jede etwas zusammen, lesen doch deshalb Frauen die Frauenmagazine, damit ihnen endlich gesagt werde: was ist eine Frau, wie soll ich sein, um eine Frau zu sein?

Es liegt nahe, die Rollen als Archetypen zu sehen. Träumen wir alle im kollektiven Unbewussten dasselbe, teilen wir alle diese Trennung, die Zuordnung? Kann überhaupt so klar unterschieden werden? Aus Gründen der Anschaulichkeit selbstverständlich; hier muss den AusstellungsmacherInnen größte Anerkennung zuteil werden, die Rollen deutlich auseinander gezupft zu haben. Ob die Mischungen, die sich für jede Frau anders ergeben, tatsächlich aus diesen zwölf Rollen bestehen – und dabei noch unterscheidbar bleiben –, oder ob sich eine Frau, ein Mensch, auf ganz andere Weise begreift, muss einstweilen offen bleiben.

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„Weibs-Bilder“ ist durch den Gegensatz gekennzeichnet: Die Manns-Bilder stehen den Frauen gegenüber. So lenkt die beinahe übergroße Fülle von Frauen und Frauenbildern, -fragmenten, -themen, -aussagen, -arbeiten letztlich (in Anlehnung an Simone Beauvoir) den Blick auf das andere Geschlecht: „Männlichkeit“. Viele Fragen tauchen auf, und gerade dadurch ist die Ausstellung und ihr Katalog zu empfehlen.

Das gleichnamige Begleitbuch zur Ausstellung ist ein eigenständiges Werk, das zu den zwölf Rollen auch Texte unterschiedlicher Art versammelt. Fachleute aus Ethnologie und Anthropologie, Medizin, Psychoanalyse und Geschichte, aber auch Poetinnen schreiben zu den Themen, und so finden wir die moderne Reproduktionsmedizin genauso vor wie Prosa zur Träumerin; „die Schöne“ erscheint in einer Anlehnung an Walter Benjamin als „Schönheit im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit“.

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288 Seiten informieren, leiten und verführen. Die Abbildungen beinahe aller Exponate sind von Angelika Wey-Bomhard hervorragend arrangiert; alles ergibt „Frauenträume und Lebensentwürfe“, so der Untertitel. Das Coverbild, auch am Plakat der Ausstellung, zeigt ein Frauengesicht aus sieben Gesichtern - ein Blickfang, der innerlich Vertrautes berührt und zugleich verunsichert, der zunächst offen und einladend wirkt, dann wieder abweisend und fragmentarisch. Eine Schimäre, die das Angebot „welches Gesicht passt zu mir, welche Rolle möchte ich spielen“ ein bisschen konterkariert, die auch vermittelt, dass wir schon vor jeder Wahlmöglichkeit ein Gesicht, einen Körper, Geburtsstunde und -ort mitbekommen haben. Besonders aufschlussreich sind zwei Einträge am Ende des Begleitbuchs: ein schöner Text zu Frida Kahlo: „Fridas Botschaft geht uns alle an, die wir am Leben leiden und uns nach der Eindeutigkeit im Leben sehnen: weder das Helle noch das Dunkle ist ewiglich und nur so.“ Die letzte abgebildete Arbeit ist von Malak Helmy aus Kairo, heißt „Maladies“: Zwölf kleine Klinikbettchen zur Behandlung einer neuen Krankheit, die sich in zwölf Formen gezeigt habe, weil erst die Aufsplitterung des komplexen Frauenlebens durch Wissenschaftler und Ausstellungsmacher die Frauen krank mache …

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Zum Abschluss, und um dem gutmütigen, aber hartnäckigen und wohl verhängnisvollsten Vorurteil zum „weiblichen Weltzugange“ genüge zu tun, zwei Lieblingsstücke:
Marietheres Waldbott, Schlossherrin und seit Jahren Ausstellungs-Veranstalterin liebt die kleine Plastikfigur der Bianca Castafiore, erfunden von Hergé, die „alles von allen weiss“ und in der Rolle der „Sachkundigen, Engagierten“ auftritt: „Castafiore steht für die völlig in der Musik aufgehenden (sic) Dame – ohne Kinder, ohne Mann, ohne Liebhaber –, die durch ihre Kompetenz grosse Macht über ihr Publikum und die sie umgebenden Figuren besitzt“.

Und die Autorin dieser Zeilen? Sie mag alle „Träumerinnen“, und besonders das Video „Die Schlafenden“ von Chantal Michel, 2006. Dazu das Begleitbuch, S. 39: „Mit einfachsten technischen Mitteln realisierte sie eine Reihe von Videos, die mit einer einzigen Kameraeinstellung eine minimale Handlung abbilden. Traum, Vision und Fantasie verdichten sich zu poetisch-unheimlichen Bildern mit großer Suggestivkraft.“ Die beiden Frauen liegen beisammen, schlafend, in pastellblauen Cocktailkleidern und grünmetallischen Lackschuhen, und sind von oben gefilmt. Ihre traumverlorenen Bewegungen schmelzen ineinander, die Figuren wirken unantastbar und verletzlich zugleich.

Weiterführende Literatur

Haraway, Donna (1992): The Promises of Monsters: A Regenerative Politics for Inappropriate/d Others. In: Grossberg, Nelson, Treichler, Cultural Studies. New York, London: Routledge
Leacock, Eleanor Burke (1981): Myths of Male Dominance. Collected Articles on Women Cross-Culturally. Monthly Review Press
Maier, Corinne (2007): Die Entdeckung des Begehrens. Von der Kunst, unsere Triebe und Neurosen gelassen zu betrachten. München: Goldmann Verlag
Meillassoux, Claude (1983): Die wilden Früchte der Frau. Über häusliche Produktion und kapitalistische Wirtschaft. Frankfurt/M: Suhrkamp
Arbeitsgruppe Ethnologie Wien (1989): Von fremden Frauen. Frausein und Geschlechterbeziehungen in nichtindustriellen Gesellschaften. Frankfurt/M: Suhrkamp
Kossek, Langer, Seiser (Hg.) (1989): Verkehren der Geschlechter. Reflexionen und Analysen von Ethnologinnen. Reihe Frauenforschung Band 10. Wien: Wiener Frauenverlag
Singer, Mona (2005): Geteilte Wahrheit. Feministische Epistemologie, Wissenssoziologie und Cultural Studies. Wien: Löcker Verlag

Zur Autorin

Danila Mayer ist Anthropologin und Künstlerin. Sie arbeitet u.a. zu Anthropology of Youth, zu Türkei und Iran, zu Film und Fernsehen, beschäftigt sich mit Repräsentation und diversen kulturellen und politischen Bewegungen. Sie lebt und arbeitet in Wien.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008