DAS KOLLOQUIUM PERFORMANCE, ART AND ANTHROPOLOGY

im Musée du Quai Branly in Paris vom 11. & 12. März 2009

Von Kristina Hinrichsen

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Als „Nomaden zwischen den Disziplinen“ bezeichnete Arnd Schneider (Universität Oslo) die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des von ihm und Caterina Pasqualino (Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS), Paris) organisierten und mit einem dichten Programm gefüllten Kolloquiums bei der Einführung im Claude-Lévi-Strauss-Theater des Musée du Quai Branly in Paris. Während zweier Tage stand das Zusammenspiel, aber auch die Differenz zwischen den Disziplinen mit Beiträgen aus verschiedenen Genres auf dem Programm. Dabei sollten die Nachbardisziplinen in ihrer Schnittmenge betrachtet werden, die konstituiert wird durch das Ritual in der Anthropologie, durch die Beschäftigung mit nicht-westlichen Traditionen in der Kunstgeschichte und durch das Mittel der Performance in der Kunst. Die Beiträge wurden daher sowohl von Künstlern und Künstlerinnen praktischer oder theoretischer Art geliefert, als auch von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen sowohl der Anthropologie als auch der Kunstwissenschaften.

Craigie Horsfield (Künstler, London) bot im ersten Beitrag des Kolloquiums einen theoretischen Einblick in seine Arbeit und die Kunstgeschichte und zeigte sich skeptisch gegenüber der These, dass zeitgenössische Kunst Rituale aus „traditionellen Gesellschaften“ imitiert.

Der Filmemacher und Fotograf Horsfield betonte in seinem Beitrag die Bedeutung der „slow time“, der langsamen, fast in „Realzeit“ aufgenommenen und künstlerisch verarbeiteten Prozesse. Horsfield arbeitet oft über Jahre an seinen Projekten und - gleich einem Ethnologen - macht er sich vertraut mit anderen sozialen und kulturellen Gruppen und ihren Lebenswelten, wie zum Beispiel in seinem großen Fotoprojekt „Ciutat de la Gent“ von 1997 über die Vororte von Barcelona oder seiner auf der Documenta 11, 2003 gezeigten 8-stündigen Videoinstallation über die Prozession und das alltägliche Leben auf der Kanareninsel El Hierro, „El Hierro Conversation“.

Einen mehr praktischen Ansatz boten Paul Ardenne (Universität Amiens) und Miquel Barceló (Künstler, Mallorca/Paris) mit ihrer Präsentation und der Besprechung einer Videoaufzeichnung von Paso Doble . Diese Performance, die in Zusammenarbeit mit dem Tänzer und Choreographen Josef Nadj 2006 stattgefunden hatte, imitierte Riten und Tanz mit natürlichen Materialien wie Ton und Erde.

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"The Chief". Foto: M. Thorshaug. Aus dem Film "Comancheria"

Den Teilnehmenden im gut gefüllten Claude-Lévi-Strauss-Theater wurden vor allem visuelle Eindrücke durch Videos oder Fotografien geboten. Von künstlerischer Seite her ist vor allem Marthe Thorshaug (Oslo) zu erwähnen, die mit ihrem Film Comancheria (2007) großen Anklang beim Publikum fand. Sie warf die Frage nach den Grenzen und der Autorität der Ethnographie auf. Die Künstlerin drehte den Film - der im Stil eines „road movies“ gehalten ist - in Oklahoma und unternahm dafür mehrfachen Reisen in den mittleren Westen der USA. Die Protagonisten des Filmes gehören zum Stamm der Comanche und spielen in teilweise gestellten, teilweise improvisierten oder dokumentierten Szenen Rollen, die ihrer tatsächlichen Position in der Gesellschaft sehr nahe kommen. Romantisierende Bilder von Landschaft und Ruhe werden dabei durchbrochen von Aufnahmen aus der realen Lebenswelt, die die jugendlichen Hauptdarsteller in ihrer Alltagskleidung zwischen Moderne und Tradition zeigt. So wechselt sich eine Szene, in der die Jugendlichen an einer Tankstelle halten, um sich mit Softdrinks zu versorgen, mit einer längeren Frequenz ab, die sie bei der Vorbereitung einer rituellen Handlung zeigt, der Konstruktion einer „sweat lodge“, wie sie bei vielen Stämmen Nordamerikas üblich ist. Kritische Töne schlägt die Künstlerin an, wenn sie einen bei den Filmarbeiten zufällig angetroffenen weißen Farmer unkommentiert zu Wort kommen lässt. Dieser äußert sich - gelinde gesagt: besorgt - über die erwarteten Rückforderungen der Indianer. Durch die eigentümliche Mischung von Realität und Fiktion balanciert der Film spannungsvoll zwischen visueller Anthropologie und Kunst. In der anschließenden Diskussion standen die Symbolfiguren eines Hundes und einer Schlange, sowie die Bezeichnung des Künstlers als ‚trickster’ im Mittelpunkt, und die Zuschauer fragten sich schließlich: Wer betrügt hier eigentlich wen?

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Lucien Castaing-Taylor, Still from "Hell Roaring Creek"

Der Künstler und Anthropologe Lucien Castaing-Taylor (Harvard University) schlug mit seinen beiden im Videoformat gezeigten (aber original auf 35 mm gefilmten) Beiträgen, die in einer Reihe von acht Filmen mit dem Titel „Sheep Rushes“ das Leben von Schäfern im Nordwesten der USA thematisieren, leisere aber auch schockierende Töne an. Drei Jahre lang begleitete der Filmemacher die Schafshirten am Beartooth Mountain in Montana immer wieder und dokumentierte so ihren Alltag in bewegten Bildern. In Echtzeit und Nahaufnahme zeigt der erste Film Hell-Roaring Creek die Überquerung eines Flusslaufes von 3000 Schafen, ihrer Hirten und Schäferhunden. Unkommentiert und versehen mit Originalgeräuschen wie dem Rauschen des Flusses, zartem Glöckchengebimmel und dem Hufgetrappel der leise blökenden Schafe, wähnt sich der Zuschauer in meditativer Ruhe direkt vor Ort und mitten im Geschehen, während auf der Leinwand langsam der Tag anbricht. Umso größer ist dann der Schock angesichts des rauen Geschehens in seinem zweiten Film Into-The-Jug ( geworfen ). Castaing-Taylor zeigt darin in schonungslos nüchternen Aufnahmen die Geburt mehrer Lämmer und den scheinbar groben, sachlichen Umgang der Schäfer mit den Neugeborenen. Die romantisierende Sicht auf den Alltag, den der Zuschauer nach dem ersten Film anzunehmen geneigt ist, wird hier gebrochen. Die Frage nach der Legitimität von ästhetischen Ansprüchen in der Präsentation von ethnographischem Material lässt sich anhand dieser Filme besonders gut aufzeigen und diskutieren.

Der Anthropologe Chris Wright (Goldsmiths College, London) unternahm eine theoretische Auseinandersetzung mit dem künstlerisch-anthropologischem Film Kranky Klaus des Künstlers Cameron Jamie. Mit Unterstützung eines Ausschnitts des Films stellte Wright Jamies Ansatz dar, die Zuschauenden in das Geschehen - in diesem Fall das ‚Krampustreiben’ zur Adventszeit in einer ländlichen Gegend Österreichs - hineinzuziehen, ohne dabei den analytisch-distanzierten Blick eines Anthropologen einzunehmen. Wright stellte die Frage, ob ein solcher Ansatz, der den Zuschauer das Geschehen erleben lässt, nicht auch in der Anthropologie sinnvoll sein könnte.

Künstlerische Beiträge in Form von Videos wurden einmal vom Künstler-Architekten-Duo Francesco Careri und Lorenzo Romito (Universität Rom) geboten mit einer Dokumentation der Räumung einer Siedlung von „Nomadi“ (italienische Roma) bei Rom. Und zum anderen setzte sich der Künstler Barthélémy Toguo (Kamerun/Paris) mit der Videoperformance Circumcision mit dem Ritual der Beschneidung von Jungen in westafrikanischen Regionen kritisch auseinander

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Prozession Santa Ana, Corrientes, Argentinien, 2006. Foto: A. Schneider

Eine Kollaboration zwischen zeitgenössischen Künstlern und Anthropologen präsentierte Arnd Schneider (Universität Oslo) in seinem Beitrag über die Beobachtung des Rituals der Prozession zu Ehren der Santa Ana in Corrientes, Argentinien, und der anschließend in diesem Zusammenhang entstandenen Ausstellung mit Beiträgen von zeitgenössischen argentinischen Künstlern. Dabei betonte Schneider die Andersartigkeit der künstlerischen Feldforschung, die aber dennoch Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit Ethnologen bietet. Die Frage nach den „ethischen Relationen“ in der Ethnographie und ihren unterschiedlichen Bedeutungen für Künstler und Anthropologen wurde in der anschließenden Diskussion erörtert. Ebenfalls aus der anthropologischen Perspektive näherte sich Kjersti Larsen (Universität Oslo) dem Thema, die mit einer „klassischen“ anthropologischen Beschreibung der Beziehungen zwischen Geistern und Menschen auf Sansibar und der Frage nach der fließenden Grenze zwischen Ritual und Performance nachging. Catherine Choron-Baix (CNRS, Paris) fragte mit der Annäherung an ein traditionelles Ritual (die Cours d’Amour , ein Gesangsritual zwischen Männern und Frauen in Laos) durch die iranische Künstlerin Shirin Neshat, inwieweit ein ästhetischer Anspruch in der visuellen Anthropologie zulässig ist, ebenso wie die Frage nach der Berechtigung einer künstlerischen Intervention in ein Ritual und der dadurch möglicherweise stattfindenden Grenzüberschreitung hin zur Performance.

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Kurt Schwitters, Urlaute

Einen Aufsehen erregenden Beitrag lieferte der Performance-Theoretiker Richard Schechner (New York University), der mit provokanten Bildern und detaillierten Beschreibungen von Performances die Frage nach Selbstverletzung als eine Form von Ritual in der Kunst und Populärkultur aufwarf und damit hitzige Diskussionen um ihre ethischen Grenzen auslöste.
Caterina Pasqualino (CNRS, Paris) ging in ihrem Vortrag der Kernfrage des Kolloquiums nach und wählte mit ihrem Thema von Stimme und Sprache in der zeitgenössischen Kunst einen bis dahin noch nicht angesprochenen und originellen Ansatz. Sie brachte den in vielen Performances und Besessenheitsritualen reduzierten Sprach- und Stimmgebrauch in einen Zusammenhang mit den Sprachexperimenten der experimentellen Lyrik und Kunst des 20. Jahrhunderts. Können uns zum Beispiel die Urlaute aus der „Ursonate“ (1922-23) von Kurt Schwitters oder die Sprachexperimente von François Dufrêne und Jean Dubuffet helfen, die gutturalen Schreie der spanischen Gitanos beim Flamenco, oder die gestammelten Laute der Teilnehmer an den kubanischen Palo Monte Seancen besser zu „verstehen“ – das heißt zu beschreiben und zu analysieren? Sprache - wenn auch Körpersprache - thematisierte auch Barbaro Martinez Ruiz (Stanford University). Er zeigte in seinem Beitrag Parallelen zwischen Gesten in der Alltagskultur des Kongo, der Körpersprache in der multikulturellen modernen Musikszene der westlichen Welt und der weltweiten afrikanischen Diaspora auf.

Als Abschluss bot die Pariser Künstlerin Orlan einen Überblick über die anthropologischen, aber auch rituellen und performativen Elemente und Ansätze in ihrer eigenen Arbeit seit den sechziger Jahren (von Annäherungen an fremde Kulturen in Form von ‚Selbst-Hybridation’ bis hin zu Selbstverstümmelung). Und George Marcus (University of California, Irvine) wies auf die Bedeutung von theoretischen Konzepten aus dem Theater und der zeitgenössischen Kunst für die ethnographische Feldforschung hin und rundete mit diesen Überlegungen die Tagung ab.

Das dichte Programm mit Beiträgen hochkarätiger Künstler und Wissenschaftler hat viele interessante Ansatzpunkte zur Kollaboration zwischen den Künstlern - in diesem Falle vor allem der Performance-Kunst und der Visuellen Anthropologie und Ethnographie - gezeigt und ihre Relevanz im 21. Jahrhundert noch einmal nachhaltig betont. Es ist zu hoffen, dass die zum Kolloquium geplante Publikation den Dialog zwischen den Disziplinen weiter stimulieren und eine Folgeveranstaltung evozieren wird.

Zur Autorin
Kristina Hinrichsen wird im Herbst 2009 ihr Studium der Ethnologie, Geschichte und Kunstgeschichte an der Universität Zürich abschließen. Ihre Abschlussarbeit verfasste sie zur Schnittstelle von Anthropologie und zeitgenössischer Kunst. Zurzeit arbeitet sie als Assistentin in der Zürcher Galerie Karma International.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008