AUSSTELLUNGSREZENSION:

Sonderausstellung im Hafenmuseum Bremen. Eine Lehrforschung über Lebensgeschichten von Migranten in Bremer Unternehmen

Von Romy Hinz und Katrin Holdmann

Rezension 1
Das Radio war Anfang der 70er-Jahre die einzige Verbindung zum Herkunftsland Portugal. Die Familie versammelte sich regelmäßig vor dem Gerät, hörte portugiesische Nachrichten und Fußballübertragungen. Foto: Kulturwissenschaft Uni Bremen

Migration hat viele Gesichter. Das politische Projekt eines offiziellen Einwanderungsgesetzes ist kaum durchgesetzt, da wird in den Medien über „versäumte Integration“ und „Parallelgesellschaften“ der Migranten debattiert, die seit 30 Jahren in Deutschland leben. Demgegenüber werden staatliche Maßnahmen ergriffen, um ausländische Eliten für den Standort Deutschland zu gewinnen. Immer wird dabei über die Betroffenen geredet, statt sie selbst zu befragen.

Im kulturwissenschaftlichen Forschungs- und Ausstellungsprojekt „Arbeit und Migration. Transkulturelle Lebensgeschichten in Bremer Unternehmen“ kommen mehr als 20 ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu Wort. Auf der Basis biografischer Interviews entwickelten Studierende der Kulturwissenschaft der Universität Bremen die Ausstellung „Under Construction. Lebensgeschichten von Migranten in Bremer Unternehmen“. Sie ist Teil des Gesamtprogramms „Stadt der Wissenschaft 2005“ und kann vom 15. April bis 12. Juni 2005 im Hafenmuseum Speicher XI der neuen Überseestadt besucht werden. Die wissenschaftliche Leitung der Lehrforschung lag bei Prof. Dr. Maya Nadig, Dr. Cordula Weißköppel und Dr. Margrit Kaufmann. Unterstützt wurden die Studierenden bei der Konzipierung und Umsetzung der Ausstellung von Ulrike Osten (Agentur kulturräume) und Ulf Treger (Grafikdesigner).

Die befragten Migrantinnen und Migranten arbeiten in Bremer Unternehmen wie Kraft Foods oder den Stahlwerken, bei der Bremer Volkshochschule, der Polizei oder in Kranken- und Pflegeeinrichtungen. Im Zentrum der Gespräche standen die beruflichen Werdegänge vor und nach der Migration. Lebendig schilderten Menschen aus Mexiko, aus der Türkei oder aus Russland, welche Bedeutung der Arbeitsplatz für ihr Leben in Deutschland hat. Ausdrucksstarke Installationen, eindringliche Zitate und persönliche Gegenstände illustrieren nun in der Ausstellung, wie man sich mit dem Arbeitsleben zwischen verschiedenen Ländern und Kulturen einrichtet.

Zentrale Erfahrungen im Einwanderungsland, die viele der Befragten teilen, werden in sechs Themeninseln behandelt, die in einem Rundgang organisiert sind.

Die erste Insel thematisiert das „Ankommen – Deutschland kennen lernen“. An einem Klassenzimmer wird hier gezeigt, dass es im neuen Leben zunächst ums Lernen geht: Die Migranten müssen sich in der neuen Gesellschaft orientieren und meistens die fremde Sprache aneignen. Aber sie sind nicht nur Schüler, sie können auch zum Lehrer werden. Einige von ihnen arbeiten als Sprach- und Kulturvermittler.

Daran schließt sich die Themeninsel „Mythos Arbeit – Wissenschaft, Geschichte und Perspektiven“. Jedes Volk verkündet eigene Weisheiten über die Arbeit: zwölf Sprichwörter aus verschiedenen Ländern und in verschiedenen Sprachen offenbaren anerkannte Arbeitstugenden, die nicht nur in Deutschland verbreitet sind. Ein Zeitstrahl macht deutlich, wie sich der Arbeitsbegriff im Laufe der Jahrhunderte verändert hat. Außerdem veranschaulichen zwei Lebensgeschichten die ganz persönliche Bedeutung von Arbeit. Dabei wird dem Besucher klar, dass Arbeit nicht nur den Lebensunterhalt von Migranten sichert. Arbeit führt Menschen zusammen und lässt Freundschaften entstehen. Nicht zuletzt kann Arbeit bewirken, dass sich Migranten erfolgreich in die deutsche Gesellschaft einleben.

Rezension 2
Schnecke. Ein Geschenk der Mutter vor 25 Jahren. Die Schnecke soll ihrer Besitzerin überall auf der Welt ein Zuhause bieten, da sie ihr Haus immer mit sich trägt. Foto: Kulturwissenschaft Uni Bremen

Einen ganz aktuellen Aspekt thematisiert die Themeninsel „Global Player – Die Welt als Lebensziel“. Sie bringt uns das Leben von „modernen Nomaden“ näher, die der Arbeit hinterherreisen, heute durchaus von Kontinent zu Kontinent. Es werden zwei Typen von Global Playern kontrastiert: diejenigen in der Führungsebene multinationaler Konzerne, die einen Großteil ihrer Lebenszeit für die berufliche Karriere aufbringen, und diejenigen, für die Lohnarbeit das notwendige Mittel zum Überleben darstellt und die sich flexibel auf universale Jobangebote wie Putzen einlassen müssen.

Oftmals bekommen Migrantinnen und Migranten die im Herkunftsland erworbenen Schul- und Berufsabschlüsse in Deutschland nicht oder erst nach dem Erwerb einer Anpassungsqualifikation anerkannt – dieses Dilemma wird in der Themeninsel „Verkannt – Lebensläufe und –barrieren“ behandelt. Eine „umgekehrte Karriereleiter“ veranschaulicht die Degradierungserfahrung vieler Einwanderer.

Die Themeninsel „Mehrfach zugehörig – Die vielen Gesichter einer Identität“ zeigt demgegenüber, dass Menschen als vielschichtige Persönlichkeiten wahrzunehmen sind. Je nachdem, wo wir sind und mit wem wir sprechen, zeigen wir verschiedene Seiten unserer Identität. So bedeutet Migrant zu sein im Alltag für jeden etwas anderes, etwa eine berufliche Zusatzqualifikation zu haben, Konfliktpotenzial zu spüren oder als Bereicherung wahrgenommen zu werden. Momentaufnahmen aus dem Leben eines deutsch-türkischen Polizisten, einer Französischlehrerin bei der VHS und einer türkischen Arzthelferin erzählen in dieser Hinsicht vom praktischen Umgang mit der vielschichtigen Identität.

Ein besonderes Merkmal der Ausstellung sind die ganz unterschiedlichen Inszenierungsideen. Von der Vitrine bis zum interaktiven Spiel ist der Besucher eingeladen, sich auf das Thema Migration mit allen Sinnen einzulassen. Durch die exemplarischen Biographien werden Lebenserfahrungen von Migranten nachvollziehbar. So meldeten Besucher zurück, dass sie dem Thema Einwanderung nach Deutschland durch die Ausstellung ein ganzes Stück näher gekommen sind und durch die persönlichen Zitate die individuelle Bedeutung von Migration besser verstanden haben. Auch Migrantinnen und Migranten besuchen die Ausstellung und können sich in den gezeigten Themen wieder finden.

Die Zusammenhänge von Migration, Arbeit und Integration darzustellen, ist in vielerlei Hinsicht noch ausbaufähig. Der zu verzeichnende Wandel der klassischen Arbeitsmigration zu heutigen globalen und transnationalen Mobilitätsformen könnte noch stärker historisch eingebettet werden. Die Ausstellung wird bereichert durch ein umfangreiches Begleitprogramm. Es treten unter anderem Musiker, Künstlerinnen und Wissenschaftler auf, um die Zusammenhänge von Arbeit und Migration aus ihrer Perspektive zu beleuchten. Außerdem organisierten die Studierenden eine besondere Filmreihe „Grenzen überschreiten – Lebenswege von Migranten“ mit aktuellen Produktionen zum Thema.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008