DIE SANTERÍA

Afrokubanisches in Deutschland

Von Lioba Rossbach de Olmos

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Speisen für die Orischas. Foto: Rossbach de Olmos

Die Santería, die man früher in Büchern als exotischen Kult kubanischer Schwarzen mit Tieropfern, Ekstase und heftigem Trommeln beschrieben fand, beginnt nun auch in Deutschland Fuß zu fassen. Santería“ kommt vom spanischen „santo“ für Heiliger und kann grob mit Heiligenkult übersetzt werden. Bezeichnungen, wie „religión lucumi“ oder „regla de ocha“, werden heute gemeinhin vorgezogen, doch ist „Santería“ der verbreitetste Name für diese afrokubanische Religion und wird deshalb hier beibehalten. Nach den USA, Puerto Rico, Venezuela und Méxiko werden mittlerweile auch hierzulande Xangó, Ochún, Yemayá, Elegua oder Babalu Ayé verehrt und um Rat und Hilfe gebeten. Dies sind westafrikanische Gottheiten, die Angehörige des Yoruba-Volkes einst als Sklaven nach Kuba brachten, wo sie sie als katholische Heilige tarnten, mit anderen Einflüssen vermischten und daraus eine eigen(willlig)e Religion kreierten. Von Kuba gelangte die Santería durch politische Flüchtlinge, bi-nationale Ehepaare, deutsche Touristen und kubanische Facharbeiter aus der ehemaligen DDR nach Deutschland, wo sie heute zwischen 3.000 und 5.000 Anhängern zählen dürfte. Die Mehrheit stellen kubanische Staatsbürger, die aber nicht mehr nur ausschließlich Afrokubaner sind. Zugleich steigt die Zahl der deutschen Gefolgsleute kontinuierlich an. Ähnliches lässt auch aus den Nachbarländern berichten.

Manches erinnert an die USA. Dorthin gelangte die Santería in den 1940er Jahren und kam im Schlepptau von kubanischen Musikern nach New York. Auch im Rhein-Main-Gebiet wird man, wenn man im Sommer auf Straßenfesten kubanischen Musikgruppen mit dem Namen „Salsa Verde“, „Salsa pa‘ gozar“, „Afuera“ und „Lili y su sabor“ zuhört, unter den Sängern Santería-Priester („santeros“) oder -Anhänger vermuten dürfen. In Berlin, wo vergleichsweise viele Kubaner leben, wird es bei den kubanischen Präsentationen im Karneval der Kulturen ähnlich sein. Selbst im Frankfurter Jazzkeller, in dem viele musikalische Größen Station machten, hat man schon Santería-Anhänger singen hören.

Allerdings passt die Santería (noch) nicht so recht in das Spektrum der Religionen, an die man in Deutschland gewöhnt ist. Sie lässt widerstreitende Tendenzen erkennen, die kaum Vermutungen darüber anzustellen erlauben, welche Entwicklung sie in Zukunft nehmen wird.

In New York und Miami - als dem Zentrum der Exilkubaner nach der Revolution von 1959 - sollte es noch Jahrzehnte dauern, bis sich die ersten funktionierenden Kultgemeinden bildeten. Diese Zusammenschlüsse von Anhängern unterschiedlicher Weihestufen unter der Leitung von initiierten Priestern gelten als unverzichtbar, damit die vorgeschriebenen Festlichkeiten für die Orischas, die Dienste und Rituale für Hilfesuchende und die aufwendigen Initiationen neuer Mitglieder angemessen vollzogen werden können. Während in den USA Afroamerikaner, die damit an die religiösen Wurzeln ihrer afrikanischen Vorfahren anzuknüpfen hoffen, einen eigenen Zweig der Santería gründeten, wird in Deutschland damit kaum zu rechnen sein. Hier lässt die isolierte Lebenssituation vieler Kubaner nicht einmal das Entstehen von Kultgruppen zu, ganz abgesehen davon dass es nur wenige erfahrene Priester, noch weniger Orakelpriester oder geweihte Trommler gibt. Deshalb praktizieren selbst initiierte Anhänger ihre Religion vor allem zur individuellen Bewältigung des Lebens in einer fremden Umgebung. Dazu befragen sie das Orakel, ehren die Geister der Toten und in kleinem Maßstab ihre Gottheiten. Die hierfür erforderlichen Dinge suchen sie in Deutschland zusammen, lassen sie aus Kuba kommen oder führen mit Zustimmung der durch das Orakel befragten Orischas Neuerungen ein. Wenn es die Umstände erlauben, wird die Kultgemeinde durch die Familie und den Freundeskreis ersetzt, um z.B. den Jahrestag der Initiation eines Santeros zu begehen, selbst wenn auf die angezeigten Tieropfer und Batá-Trommeln verzichtet werden müssen. Ansonsten schaffen moderne Kommunikationsmittel die Bedingungen, um den Kontakt zur eigenen Kulturgemeinde in Kuba aufrechtzuerhalten. Dort werden bei sporadischen Reisen auch die erforderlichen Opferrituale durchgeführt und die Initiationen vollzogen. Dadurch ist ein religiös motivierter Reiseverkehr zwischen den Kontinenten entstanden.

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Thron aus Anlass des Geburtstags eines Santeros in Wiesbaden. Foto: Rossbach de Olmos

Es ist aber unwahrscheindlich, dass die Santería in Deutschland, ähnlich wie bei Buddhisten, Aleviten oder Yesiden, den Zusammenschluss in einem Verein sucht, um diesen der Kontrolle von Zentralinstanzen im Heimatland zu unterwerfen oder um ihn für eine politische Mobilisierung seiner Mitglieder zu nutzen. Dem stehen die der Santería eigenen Fliehkräfte im Wege. Wenn man nämlich von hochgestellten Orakelpriestern absieht, die das Jahresorakel auslegen, kennt die Santería im Unterschied zu anderen Religionen keine obersten Hüter der Wahrheit, die über die religiöse Lehre und den Kult wachen. Die Religionsgemeinschaft existiert als ein Netzwerk informell miteinander verbundener Kultgruppen, die sich um einzelne charismatische Priester und Priesterinnen bilden. Deshalb kann man die Santería als „undogmatische Religion“ bezeichnen, die für Vereinsmeierei und Fundamentalismen nicht anfällig ist.

Statt dessen wird die Santería vermutlich in ein schwer vorhersehbares Verhältnis zu esoterischen Strömungen der Gegenwart treten. Eine kleine Zahl von kubanischen Priestern, die ihre Dienste einer deutschen Klientel anbieten und als Erwerbsquelle einsetzen wollen, bemühen sich, in einer vertrauten Sprache an ihre Klientel heranzutreten. In die esoterische Welt der Orakel, Weissagungen und magischen Hilfe in schwierigen Lebenslagen scheint sich die Santería am besten übersetzen zu lassen. Dies ist nicht einmal in Ländern wie Spanien anders, wo die Santería sich allein aufgrund einer großen Zahl von anwesenden Kubanern selbständig präsentieren könnte. Auch dort kommen Läden, die ein umfassendes Angebot an den anonymen Kunden bringen wollen, nicht ohne Anklänge an Esoterisches aus. Außerdem haben hiesige Vertreter esoterischer Strömungen die Santería als Weg entdeckt, direkt mit der Geisterwelt in Kontakt zu treten. Sie kombinieren das Hexeneinmaleins mit Santería.

Für den uneingeweihten Beobachter jedoch treten Santería-Elemente oft nicht einmal im religiösen Gewand in Erscheinung. Die Verbindung zur Musik wurde bereits erwähnt, die sich durchaus nicht in religiöser Strenge geriert, sondern unterhaltsamer Aspekte betonen kann. Mit Gruppen wie „Orishas“, die vom französischen Asyl aus „Elewa und Chango“ ihre Songs widmen, ist diese hierzulande ungewöhnliche Art religiöser Musik bis in das kommerzielle Musikgenre vorgedrungen. Den Interessierten stehen außerdem afrokubanische Tanzkurse zu den jeweils typischen Rhythmen einzelner Orischas offen. Hier werden religiöse Traditionen eher als Folklore präsentiert, vergleichbar dem inszenierten Santería-Ritual, das für Touristen in Kuba aufgeführt wird. Ähnliches lässt sich schließlich auch in der Literatur beobachten. Es sind in der zeitgenössischen kubanischen Belletristik, zumindest soweit sie in deutscher Übersetzung vorliegt, ungleich mehr religiöse Motive aus der Santería verarbeitet, selbst wenn diese nicht im Mittelpunkt des jeweiligen Werkes steht, als dies etwa für die deutsche Literatur festzustellen ist, wo religiöse Motive und Themen literarische Randerscheinungen darstellen. Dies hat sicherlich damit zu tun, dass die Santería in Kuba zu einem Ausdruck all nur denkbar möglicher Alternativen zum real existierenden Leben geworden ist. Dennoch drückt sich hierin zugleich auch etwas über die Religion aus und ihre Durchdringung des Alltagslebens.

Die Santería hält sich nicht an die Grenzen dessen, was wir hierzulande als Religion einzugrenzen gewöhnt sind. Sie stößt Türen zwischen Religion und (unterhaltsamer) Musik, Literatur und Folklore auf, die nach dem in Deutschland herrschenden Religionsverständnis verschlossen sind. Dies macht sie anregend, aber auch zu einer Herausforderung. Und zwar nicht allein für die Ethnologie, die auf eine exotische Religion, die ihr bisher nur in der Ferne begegnete, nun in Begleitung der Esoterik vor der eigenen Haustür trifft, sondern auch für Deutschland, das den Tierschutz gerade zu einem Zeitpunkt in den Verfassungsrang erhob, da mit der Santería eine neu eingetroffene Religion Tieropfer vorschreibt.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008