Anfänge von Tourismus und Souvenirhandel im Batak-Gebiet, Nordsumatra/Indonesien

Von Achim Sibeth

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Nordsumatra. Foto: A. Sibeth

Die Geschichte des Tourismus im Batak-Gebiet ist in seinen Anfängen eine Geschichte von ‚einzelreisenden’ Abenteurern, die keinen anderen Zweck für ihre Reisen angaben, als dieses Land besuchen und die angeblich weißen Flecken der Landkarte im Verlauf ihrer Aufenthalte mit Informationen füllen zu wollen. Zu diesen weißen Flecken gehörte viele Jahrzehnte der sagenumwobene Tobasee, der 1853 erstmals von einem Europäer gesehen wurde. Über seine exakte Lage und Größe gab es noch bis in die letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts abenteuerlichste Spekulationen. Die Bewohner des Seeufers galten als wilde Kannibalen, die Region als völlig unzugänglich. Und so verwundert es nicht, dass immer wieder Reisende versuchten, Zugang zu diesem See zu erhalten.

Nach der zunehmenden Entwicklung der Plantagenregion an der Ostküste um 1870 mehren sich Reisen von Europäern ins Hochland der Karo- und Toba-Batak. Bei den Reisenden dieser Zeit muss man jedoch unterscheiden zwischen Kolonialbeamten, Naturforschern, Missionaren und Vergnügungsreisenden. Nur Letztere haben als erste „Touristen“ in der Region zu gelten. Den Batak, die eine scheinbar zwecklose touristische Form des Reisens nicht kannten und Besuche von „Weißaugen“ nicht gewohnt waren, waren sie deswegen äußerst suspekt.

Zu den frühen Reisenden gehört Ida Pfeiffer, die im Juli 1852 von Batavia kommend in Padang ankam und unbedingt ins unabhängige Batak-Land reisen wollte. Ein einheimischer Führer und ein einziger Gepäckträger begleiteten sie. Am zehnten Tag ihrer Reise wurde Pfeiffer jedoch von Einheimischen zur Umkehr gezwungen, ohne den Tobasee erreicht zu haben. In ihrem Reisebericht beschreibt sie am intensivsten den Kannibalismus der Batak. Dies ist aus touristischer Sicht durchaus verständlich, ist es doch ein Beweis für ihren Mut und die Gefahren, denen sie sich ausgesetzt und die sie bewältigt hat.

Albert Bickmore, der 1865/66 Niederländisch Ostindien bereiste und gegen Ende seiner Reise nach Sumatra kam, war ebenfalls ein früher Tourist. Von Padang aus bewegte sich Bickmore ausschließlich auf sicheren Pfaden der bereits kolonial einverleibten südlichen Batak-Regionen. Neben den für die Zeit üblichen Aussagen zum Kannibalismus beschreibt er die Dorfchefs in der Gegend Sipirok. Ihre Jacken, Kopftücher und Gürtel waren reichhaltig mit Gold verziert und dürften damals übliche ‚Geschenke’ seitens der Kolonialmacht an die lokalen Führungspersönlichkeiten gewesen sein.

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Haus eines europäischen Plantagenbesitzers, Nordsumatra. Foto: A. Sibeth

Mit der Erschließung der ostsumatranischen Plantagenregion für den Tabakanbau kamen Karo- und Simalungun-Batak, die in küstennahen Regionen lebten, in einen viel engeren Kontakt zur Kolonialmacht. Damals wurden sehr viele Arbeitskräfte für den entstehenden Plantagengürtel benötigt. Die Urbarmachung des ostsumatranischen Sumpflandes durch Abertausende Tagelöhner aus China, Singapur und Java war eine Menschen mordende Pionierleistung. In diesem neu entstandenen Völkergemisch lebten zahlreiche Europäer als Besitzer oder Verwalter der Plantagen. Die Bevölkerung wurde nicht mehr nur mit einzelnen Europäer konfrontiert, und die Kontakte waren nicht mehr nur flüchtiger Natur wie bei den frühen Reisenden. Für Europäer waren die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der damaligen Zeit alles andere als angenehm. Jeder dritte Europäer starb oder reiste todkrank in die Heimat zurück. Emil Carthaus schreibt 1891, was die Handelshäuser alles für die Europäer herbeischafften: Konserven, Fleischwaren, Käse, Brot, Kuchen, Obst, Kondensmilch und holländische Suppen. Man importierte Genever, französischen Rotwein, Rheinwein, englische, holländische, dänische und deutsche Biere. Doch auch nicht alkoholische Getränke, wie deutsches Mineralwasser und britisches Apollinaris, wurden „in Millionen von Flaschen“ ins Land gebracht. Kinos, Amüsierbetriebe und Bordelle bestimmten das öffentliche Leben in Medan und Labuan Deli.

Einige der auf den Plantagen beschäftigten Europäer verbrachten einen Teil ihrer Freizeit auch auf Wanderungen und Reisen in die Bergheimat der Karo und Simalungun. Sie flohen vor dem mörderischen Klima der Küstenregion, das nicht nur heiß und feucht, sondern auch durch Malaria, Typhus etc. ausgesprochen gesundheitsschädlich war. Von diesen Ausflügen, die selten mehr als einige Tage dauerten, brachten sie gelegentlich auch Ethnographica mit – als Souvenir und Beweis für eine Reise zu den Kannibalen. Fliegende Händler kamen jedoch auch schon in die Küstenstädte und boten den Europäern dort Antiquitäten und Souvenirs an. Der Reisebericht des naturforschenden Touristen Paul Staudinger ist ein Beleg für die Intensivierung der touristischen Kontakte zwischen Weißen und den Batak. Staudinger nutzte seine Anwesenheit 1889/90 zu Streifzügen in die Umgebung von Deli und auf die karosche Hochfläche. Er wohnte in Sungei Tuntungan bei dem Arzt Dr. Ludwig Martin, der als Sammler von batakschen Ethnographica im Münchner Völkerkundemuseum bekannt ist. Staudinger reiste in einer kleinen Gruppe auf die Karo-Hochfläche, musste aber seinen Plan, den Tobasee zu erreichen, wegen angeblicher Kriegsgefahr aufgeben. So gelangte er nur bis Seberaya. Er berichtet über seine Einkäufe von Ethnographica. Steinskulpturen konnte er nicht erwerben, doch erfolgreich war er beim Kauf von vier batakschen Textilien.

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Nordsumatra. Foto: A. Sibeth

Ludwig Martins Bruder Friedl war ebenfalls auf einer Plantage beschäftigt. Er startete eine 10-tägige Reise von Asahan aus nach Laguboti. Sein Reisebericht ist eine zentrale Quelle im Hinblick auf die Probleme von Tourismus, Souvenirproduktion bzw. die damals schon übliche Herstellung gefälschter Antiquitäten.

„... die hier aufliegenden Gegenstände ..., die alle mehr oder minder antik sind, insoferne dieselben wohl heutzutage noch gebraucht werden, aber Niemand mehr da ist, der dieselben fabrizieren könnte, soweit nicht schlechte Fabrikate zum Handel mit europäischen Sammlern produziert werden. Ich möchte beinahe annehmen, dass diese Stücke neuerer Mache chinesischer Abstammung sind, da ... die Chinesen ... als gewiefte Handwerker und Geschäftsleute natürlich sofort das Vortheilhafte eines solchen Handels mit gefälschten Antiquitäten erkannt haben.“ (Martin 1891:55)

Unter den ca. 150 Objekten seiner Sammlung befindet sich ein Ritualstab tunggal panaluan ohne Patina und Vertiefungen für magisch wirksame Ingredienzen. Dieser Stab war niemals in Gebrauch eines religiösen Spezialisten, sondern wurde ausschließlich für den Verkauf produziert. Andere Objekte seiner Sammlung waren reine Auftragsarbeiten.

Bereits um die Wende zum 20. Jahrhundert hatten sich die Reisemöglichkeiten so weit verbessert, dass zunehmend Schriften erschienen, die sich – aus heutiger Sicht – der Tourismuswerbung verschrieben hatten. In seinem 1901 erschienen Buch „Smaragdinseln der Südsee“, womit der Autor Pflüger die indonesische Inselwelt meint, wirbt dieser bereits im Vorwort ausdrücklich für touristische Reisen nach Indonesien: „So gehe denn hin, mein Buch; dein Zweck ist erfüllt, wenn du Söhne reizest, die Reise zu machen, Väter, sie zu bewilligen.“ (Pflüger 1901:IX)

Der Künstler Hugo Pedersen kam 1901/02 nach Ostsumatra, um u. a. seinen Bruder zu besuchen, der dort als Pflanzer lebte. Pedersen hielt sich nur in der Plantagenregion auf, hatte dort allerdings auch mit einzelnen Karo Kontakt, wie Zeichnungen in seinem Buch belegen.

Bereits 1912 war die Infrastruktur so weit ausgebaut, dass der Tobasee von Medan aus mit dem Auto erreichbar war. Für die Fahrt von Medan zum See brauchte man nun nur noch 7 Stunden. Die Straßenverbindung nach Padang an der Westküste war ab 1916 durchgehend befahrbar. Die Plantagenregion Ostsumatras blühte wirtschaftlich auf, und die Bevölkerungszahl vervierfachte sich binnen 30 Jahren. Über 2600 Europäer lebten damals in dieser Region. Bis heute erhaltene Kolonialgebäude belegen den Reichtum, der hier erwirtschaftet wurde. Auf der Hochfläche der Karo entstanden erste Gasthäuser der großen Plantagengesellschaften, und am Tobasee schossen Villen aus dem Boden. Nach 1920 häufen sich Lebenserinnerungen von Europäern. Der Däne Kaarsberg, dem wir eine Art Sittenbild kolonialen Lebens in Medan verdanken, reiste 1920 mehrfach auf die Karo-Hochfläche. Seine Beschreibungen von Land und Leuten entsprechen dem damaligen Zeitgeist und zeugen von einer unglaublichen Überheblichkeit der lokalen Bevölkerung gegenüber. Kaarsberg reiste zur Erholung nach Berastagi, wo er im Ferienhaus seiner Firma wohnte.

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Kolonialhaus, Nordsumatra. Foto: A. Sibeth

„Wieviel ist hier gebaut worden, seit ich – vor nur drei Monaten – zuletzt da war. Die Häuser schießen wie die Pilze aus der Erde. Der Boy erklärt mir, wem die verschiedenen Villen gehören: es sind alles bekannte Firmen, wie 'Deli-Rubber', 'Good Year', 'Anglo-Dutch' und viele andere, am häufigsten aber und mit Stolz nennt er meine eigene Kompagnie: 'Harrissons & Crossfield', in deren Haus ich wohne. Der Trust hat im ganzen drei Häuser, deren jedes gute Betten, behagliche Stuben, W.C.s und alle sonstigen modernen Bequemlichkeiten für ein Dutzend ständige Gäste enthält. Das letzte Haus, das der Trust im Bau hat, ist noch größer und enthält Billardsaal, Automobilgarage und zementierten Tennisplatz. ... Alle Häuser ... sind von gewaltigen Rasenplätzen mit Sträuchern und Blumenbeeten umgeben ...“ (Kaarsberg 1923: 21).

Selbst Wasserleitungen gab es schon. Zu dieser Zeit sind viele Batak im Tourismusgewerbe beschäftigt: Sie sind Hausangestellte, Gärtner, Köche, Zimmermädchen und Prostituierte – ja es gab sogar schon berufsmäßige Touristenführer, die die ‚Weißaugen’ genau wie heute – 80 Jahre später – zu einem Wasserfall, auf den Vulkan Sibayak und zu heißen Quellen ins Tal von Doulu führten.

Der Ausbau des Straßennetzes zu Beginn des 20. Jahrhunderts öffnete das Batak-Land für die ‚neue Zeit’. Für Touristen wurde es immer schneller und bequemer erreichbar. Ihre Zahl stieg sprunghaft an, und vereinzelt wurden schon organisierte Gruppenreisen angeboten. Seit 1926 erschienen Werbeanzeigen in der Zeitschrift Nederlandsch Indië Oud en Nieuw für Mietwagentouren von Medan über den Tobasee nach Padang; Fahrer, Verpflegung und Übernachtung waren inklusive. Auch die heute in größeren Hotels oder auch in manchen Dörfern organisierten „Cultural Shows“, in denen die lokale Bevölkerung zum Zeitvertreib der Touristen Tänze und Ähnliches vorführt, sind keine moderne Erfindung gewiefter Tourismusfachleute. Solche Veranstaltungen konnte man bereits 1901 im Haus von Konsul Schild in Padang miterleben. Ernst Haeckel berichtet 1909, dass Schild Bewohner der Mentawai-Inseln und von Nias nach Padang bringen ließ, damit sie in seinem Haus Kriegstänze zur Belustigung der Gäste aufführten.

Die Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg sind gekennzeichnet durch eine wachsende Zahl von Reisenden. Karl Helbig beschreibt (1934:70) den vorläufigen Höhepunkt des Kontaktes mit der westlichen Zivilisation: „Nun sind sie (die Europäer) gar zu Göttern geworden und sausen mit den Autos in der Luft herum.“ Dies sagte ein Batak, als Ende 1930 das erste Flugzeug über dem Tobasee erschien. Aus dem bisher Gesagten wurde deutlich, dass der Tourismus im Batak-Land schon sehr früh eingesetzt hatte und die heute zu beobachtenden touristischen Strukturen auf den um 1900 geschaffenen Voraussetzungen basieren.

Dieser Text ist eine Kurzversion von: Achim Sibeth (2001): Früher Tourismus im Batak-Gebiet, Nordsumatra (Indonesien) In: Bernhardt, G. und Scheffler, J. (Hg.): Reisen – Entdecken – Sammeln. Völkerkundliche Sammlungen in Westfalen-Lippe. Bielefeld. S. 38–57

Weiterführende Literatur

Bickmore, Albert S. (1869): Reisen im Ostindischen Archipel in den Jahren 1865 und 1866. Jena
Carthaus, Emil (1891): Aus dem Reich von Insulinde. Sumatra und der malaiische Archipel. Leipzig
Haeckel, Ernst (1909): Aus Insulinde. Malayische Reisebriefe. 2. Auflage Leipzig
Helbig, Karl (1934): Tuan Gila. Ein „verrückter Herr“ wandert am Äquator. Leipzig
Kaarsberg, Helge (1923): Mein Sumatrabuch. Berlin/Leipzig
Pedersen, Hugo v. (1902): Durch den indischen Archipel. Eine Künstlerfahrt. Stuttgart
Pfeiffer, Ida (1856): Meine zweite Weltreise. 4 Bde. Bd. 2 : Sumatra-Java-Celebes-Molukken. Wien
Pflüger, Alexander (1901): Smaragdinseln der Südsee. Reiseeindrücke und Plaudereien. Bonn
Martin, Friedl (1891): Reise nach den Bataklanden und an den Tobasee. In: Jahresbericht der Geographischen Gesellschaft München 14, S. 53–66
Sibeth, Achim (2003): Vom Kultobjekt zur Massenware. Kulturhistorische und kunstethnologische Studie zur figürlichen Holzschnitzkunst der Batak in Nordsumatra/Indonesien. Herbolzheim
Staudinger, Paul (1889/90): Einiges über die Battaker an der Ostküste von Sumatra. In: Universum. Leipzig 6, S. 837–859

Zum Autor

Dr. Achim Sibeth ist Ethnologe und Kunsthistoriker. Seit 1990 Kustos der Südostasien-Abteilung am Museum der Weltkulturen Frankfurt am Main. Wissenschaftliche Schwerpunkte sind Indonesien (die Batak in Sumatra und die Ngadha auf Flores) und Kunstethnologie (traditionelle Kunst Indonesiens und moderne Kunst auf Bali).


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008