EDITORIAL

Haare

Unser Schwerpunktthema Haare steht im Zusammenhang mit dem großen Thema "Körper". Während Manipulationen am Körper - Tätowierungen, Bemalungen, Piercings und so weiter - in vielen Regionen der Welt eine lange Tradition haben und stets mit Ritualen verknüpft waren, werden in der westlichen Welt handwerkliche Verschönerungen dieser Art erst jetzt entdeckt, allerdings losgelöst von ihren traditionellen Bedeutungen. Anders dagegen der Umgang mit dem Kopfhaar: Auch in Europa wurden Frisuren seit Alters her stets mit großer Aufmerksamkeit bedacht.

Als Hierarchien in Lebensgemeinschaften und Gesellschaften noch eine große Rolle spielten, war der Status des Einzelnen oft an Haaren und Frisuren abzulesen. Heute spielt dieser Statusaspekt der Frisur kaum noch eine Rolle, gleich wohl dienen Frisuren immer noch als ein Erkennungszeichen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe (Skinheads, Rastas, Punks, aber auch die ordentlich geschnittene Kurzhaarfrisur bei Männern). Die Art und Weise sein "Haar zu tragen" war nie ohne Bedeutung. Heute ist die Zugehörigkeit zu einer Gruppe freiwillig, ja sie signalisiert Individualität und Freiheit. Gruppen, zu denen man sich zugehörig fühlt, müssen sich im Zeitalter der Globalisierung nicht in räumlicher Nähe befinden, die Verbindung über das Internet reicht für den Zusammenhalt einer Gruppe aus, auch wenn sie sich gerade durch Haarstil, Tätowierungen und Kleidung ausdrückt.

Haar hat seine universelle Bedeutung nicht nur im handwerklichen Umgang mit dem Haar als Material für Frisuren, sondern auch als Haar an sich. Dem Haar als einem besonderen Teil des Körpers werden häufig religiöse oder magische Bedeutungen zugeschrieben. Nicole Tiedemann zeigt in ihrem Beitrag über den Haarkult im 19. Jahrhundert wie Haarlocken die Verbindung zwischen Lebenden und Toten herstellen können. Im Beitrag von Gerda Kroeber-Wolf und Ulrike Krasberg wird unter anderem gezeigt, dass die Bedeutung des weiblichen Haars als Symbol der Geschlechtlichkeit und Fruchtbarkeit mit dem muslimischen Gebot des Kopftuchtragens zu tun hat. Langes Haar als Ausdruck sozialen Protests gehörte wesentlich zu den Jugendrevolten der westlichen Welt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Nicole Tiedemann in "Haarige Zeiten"). In wie vielfältiger Weise Haare als Symbolträger in den Kulturen der Welt und schon in der "Vor"-Geschichte genutzt wurden, zeigen Beate Zekorn-von Bebenburg und Lena Bjerregaard in ihren Artikeln.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008