FEINE UNTERSCHIEDE

Der Federschmuck der Kayapó

Von Mona Suhrbier

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Federdiadem "Krokrokti". Zentralfedern: Dorfplatz (Männerbereich); übrige Federn: Wohnhäuser (Frauenbereich); kleine weiße Federn: Wald. Sammlung Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main

„’Sein’ verstehen die Kayapó eher im Sinne von ‚erscheinen’, und zwar in einer kulturell angemessenen Art. Körperbemalung und Körperschmuck insgesamt müssen als ein in sich geordneter Code angesehen werden, der selbst Teil eines größeren geordneten Universums ist.“ (Vidal 1981: 291).

Mit einer Gesamtbevölkerung von etwa 3.200–3.500 Menschen leben die Kayapó in Zentral-Brasilien im Gebiet des Río Xingú und seiner Nebenflüsse (Bundesstaaten Pará und Mato Grosso). Sie gehören zur Sprachgruppe der Ge und leben in etwa 15 Dörfern. Untergruppen sind unter anderen: Mekrãgnoti, Xikrin, Goroti-re. Die Kayapó gelten als kriegerisch und konnten erst in den 1960er-Jahren „befriedet“ werden. In den 1980er-Jahren sind sie durch ihren medienwirksam inszenierten Protest, der sich gegen die auf ihrem Land geplanten Staudammprojekte richtete, weltweit bekannt geworden.

Bei Ritualen des Übergangs, bei Geburt, Erreichen einer neuen Altersstufe, Initiation und Tod, bemalen und schmücken die Kayapó die Hülle des menschlichen Körpers. In diesen Zeiten gilt ein Mensch als anfällig für jegliche schädliche Einflüsse, insbesondere für Angriffe von Geistern. Entsprechend wird die menschliche Haut gestärkt und geschützt, denn in der Vorstellung der Kayapó ist die Haut nicht nur die Grenze zwischen Mensch und Welt, sondern sie vermittelt auch zwischen innen und außen, zwischen Individuum und Gesellschaft. Nimmt die äußere Hülle Schaden oder wird verletzt, so betrifft dies in der Folge auch die seelische und geistige Kraft des Menschen. Bestimmten Materialien aus der natürlichen Umgebung werden jeweils besondere Kräfte zugesprochen: Rote Pflanzenfarbe aus Urucufrüchten (Bixa orellana) etwa erhöht Energie und Gesundheit; Hartholzschmuck verleiht Stärke; Jaguarfell und Muschelschalen wiederum gelten als gefährlich und erfordern besondere Stärke des Trägers; Baumwolle gilt als geeignet, Himmel und Erde zu verbinden. Die Grundmaterialien werden zu Schmuckstücken verarbeitet, die sich ihren Eigenschaften entsprechend für Kinder und Ältere, Männer und Frauen sowie für bestimmte Gelegenheiten eignen (so trägt man beispielsweise Baumwollschmuck zu festlichen Anlässen, bei denen das Band zwischen Himmel und Erde erneuert wird). Mit seinem Schmuck eignet sich der einzelne Mensch Elemente der ihn umgebenden Welt an und erweitert damit das Spektrum seiner eigenen Möglichkeiten. Die Kayapó-Mekrãgnoti besitzen etwa 200 verschiedene Schmuckstücke für jeweils bestimmte Gelegenheiten.

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Porträt eines Jungen mit kleinem Federkopfschmuck, „Kleine Vogelhaut“ genannt. Kayapó, Brasilien. Foto: G. Verswijver. Sammlung Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main

Federschmuck gehört zum Fest, zum religiösen Tanz und zum feierlichen Auftritt. Der individuelle Auftritt in vollem Federornat bildet den Höhepunkt von Ritualen und Festen, wie den großen Ritualen der Namensgebung, der Knaben-Initiation, den Heirats- und Bestattungsriten. So erscheint das Initiationsritual für Knaben rein äußerlich als Abfolge feierlicher Einzüge und Aufstellungen auf dem Dorfplatz. Die zu initiierenden Knaben tragen dazu unter anderem auch den großen, die Silhouette des Körper umrahmenden Federschmuck Krokrokti aus Ara-Federn. Bei jedem Fest folgen auf einen schlichten Beginn immer aufwendigere Formen der Gestaltung, und der Schmuck wird immer reicher und üppiger – bis hin zum glanzvollen Schlussakt, einem mit prächtigen Umzügen, Tänzen und Gesängen inszenierten Finale.

Der Sieg über den mächtigen Vogel
Beim Tanz bewegen sich die Federn in der Luft, und der Hauch dieser Bewegung ruft die Vogelgeister herbei. Denn wie Haare oder Nägel enthalten auch Vogelfedern die Lebenskraft ihrer ursprünglichen Besitzer. Die Mythen der Kayapó erzählen von den besonderen Kräften der Vögel, von denen etwa ein mythischer Raubvogel als einst mächtiges Menschen fressendes Wesen hervortritt. Der Sieg zweier Helden im urzeitlichen Kampf gegen diesen Vogel zieht eine Reihe von Entwicklungsschritten der Menschheit nach sich, die die Kayapó zu dem gemacht haben, was sie heute sind: ein gut organisiertes, wehrhaftes, selbstbewusstes Volk. Vor dem Kampf mit dem Raubvogel waren die Vorfahren der Kayapó noch klein und schwach. Auch die beiden Brüder, die ausersehen waren, den gefährlichen Vogel zu besiegen, waren zunächst schwach. Um sie zu stärken, zog ihr Onkel die beiden in einem Haus unter Wasser auf, wo sie eine besondere Diät einhalten mussten. Diese außergewöhnlichen Bedingungen kamen der Übergangszeit einer Initiation gleich. Die Knaben wuchsen so zu ungewöhnlicher Größe und Stärke heran.

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Männer mit Federkopfschmuck. Die Bienenwachshelme repräsentieren eine weibliche Schildkröte und geben die Lage des Dorfes in der Welt wieder, Kayapó. Foto: G. Verswijver. Sammlung Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main

Von den mythischen Brüdern leiten die Kayapó ihre heutige Stärke und ihren Mut ab, was in ihrer Eigenbezeichnung, „Mebemokré“, „Menschen aus der Tiefe des Wassers“, zum Ausdruck kommt. Die mythischen Helden besiegten nicht nur das Ungeheuer, sondern erwiesen sich auch als Kulturbringer: Sie stellten die ersten Waffen her, Keulen, Lanzen mit Jaguarspitze und den großen Bogen, und unterwiesen die Kayapó im Gebrauch dieser Waffen. Sie begründeten außerdem einen wichtigen Teil der Sozialordnung, nämlich die bis heute bestehende Einteilung der Dörfer in zwei Hälften, denen sie einst als erste Häuptlinge vorstanden. Neben Stärke, Mut und Waffengebrauch brachte der Sieg über den Vogel auch die artenreiche Vogelwelt hervor: Als die Brüder in das Gefieder des Untiers bliesen, stiegen die Federn zum Himmel auf, und aus ihnen entstanden Vögel aller Art. Durch die mutige Tat wurde demzufolge auch ein wesentliches Element heutiger Feste geschaffen: prächtige Schmuckstücke aus Vogelfedern. Mit ihnen wurde es möglich, Unterschiede zwischen Menschen sichtbar zu machen.

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Geschmückte und bewaffnete Männer tanzen vor Männerhaus. Der Federkopfschmuck "Kleine Vogelhaut" wird auch zu kriegerischen Anlässen getragen. Kayapó. Foto: G. Verswijver. Sammlung Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main

Der Sieg über den mächtigen Vogel, aus dessen Federn die Vogelarten entstanden, installierte die bis heute gültige Gesellschaftsordnung und das Selbstverständnis der Kayapó. Bei offiziellen, festlichen Gelegenheiten wird im Federornat der Tänzer die Gesellschaftsordnung nicht nur sichtbar gemacht, sondern auch stets erneuert. Denn ein komplexes System von Privilegien und strenger Etikette regelt das Tragen von Federschmuck. Jede Hausgemeinschaft eines Dorfes hält eigene Rechte auf Federn (die Frauen) und die verschiedenen Schmuckstücke (die Männer). Erwachsene dürfen ihre Rechte nur rituell und öffentlich an erbberechtigte Kinder weitergeben. Jede Feier zeugt so von neu geschaffenen Banden zwischen Einzelnen. Jede Generation ordnet auf diese Weise die Beziehungen im Dorf neu.

Die ganze Welt in einem Federschmuck

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Frauen und Mädchen in vollem Ornat beim Namensgebungsfest "Bemalte Frauen". Einige tragen das Krokrokti. Kayapó. Foto: G. Verswijver. Sammlung Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main

Die Idee vom Federschmuck als Symbol für Ordnung kommt in den vielfachen Ordnungsbeziehungen eines einzigen Federschmucks, des großen Federdiadems Krokrokti, zum Ausdruck. Laut Aussagen des belgischen Ethnologen Gustaaf Verswijver legen Männer das Krokrokti zum Fest „Bemalte Männer“ an, Frauen zum Fest „Bemalte Frauen“. Dieses herausragende Ornament vereint einen Komplex von Bedeutungen in sich, den die brasilianische Ethnologin Lux Vidal für die Kayapó-Xikrin herausgearbeitet hat: Es stellt ein menschliches Auge dar, symbolisiert die Sonne mit den einzelnen Federn als Sonnenstrahlen und beschreibt die runde Form der Dorfanlage. Die großen Zentralfedern repräsentieren den Dorfplatz, den Bereich der Männer, die übrigen Federn die umliegenden Häuser, den Bereich der Frauen, die kleinen weißen Federn stehen für den das Dorf umgebenden Wald. Menschliches Auge, Dorf, Wald, Sonne – das Arrangement der Federn in seiner dichten Symbolik ordnet Mensch, Gesellschaft und Kosmos.

Privilegien und Etikette

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Vorbereitungen für das Frauenfest. Herr T. hilft seiner Tochter beim Anlegen des Federschmucks. Kayapó. Foto: G. Verswijver. Sammlung Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main

In jedem Dorf und in jedem Haus existieren zahlreiche Privilegien auf Federn und deren Kombinationsmöglichkeiten im Federschmuck. Frauen, die den Haushalten vorstehen, besitzen die Rechte darauf, bestimmte Vögel als Federlieferanten zu halten und den Schmuck im Haus zu verwahren. Das System der Privilegien beinhaltet außerdem das Tragen von Namen, das Recht, rituelle Funktionen auszuüben, sowie Vorrechte auf Nahrungsmittel. Männer ziehen zwar nach der Heirat in die Hausgemeinschaft ihrer Ehefrauen, behalten aber weiterhin die öffentlich erworbenen Vorrechte ihres Geburtshauses. Es gibt allgemeine, auf mehrere Personen übertragbare Privilegien, aber auch sehr spezielle, nur für eine Person gültige. Privilegien gelten als Reichtum eines Menschen.

Schon bei der Geburt übertragen die Onkel und Großväter mütterlichseits den Kindern, insbesondere den Knaben, zahlreiche Anrechte auf bestimmte Schmuckstücke. In den folgenden Jahren kommen weitere Privilegien hinzu – gelegentlich mehr als zehn. Daher stehen Kinder und Jugendliche häufig im Zentrum von Ritualen und Festen. Die Mutter oder eine ihrer Schwestern erklärt einem Kind immer wieder, welche Privilegien es besitzt und an welche Segmente im Dorf es diese zurückgeben muss. Schon von klein auf werden Kinder so mit dem detailreichen und komplizierten Regelwerk des Federgebrauchs vertraut gemacht.

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Für den zeremoniellen Tanz der Namensgebung geschmücktes Mädchen. Kayapó, Brasilien. Foto: G. Verswijver. Sammlung Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main

Dieser hochdifferenzierte Umgang mit Privilegien auf Schmuck wirkt auf drei Ebenen: im Inneren der eigenen Gesellschaft, nach außen auf andere indianische Gruppen sowie auf die nicht indianische Welt. Der Federschmuck der Kayapó spiegelt demnach das Spannungsverhältnis zwischen Repräsentation von Individualität und gesellschaftlicher Ordnung im öffentlichen Leben wider.

Im Inneren der Kayapó-Gesellschaft betont der Schmuck die Individualität des Einzelnen. Denn weder besitzen jemals zwei Personen die gleiche Anzahl noch die gleiche Kombination von Privilegien. Die Darstellung des Unterschieds und die kulturelle Repräsentation des individuellen Selbst spielen eine zentrale Rolle im öffentlichen Leben der Kayapó.

Mit ihrem ganz eigenen Stil in der Federkunst grenzen sich die Kayapó nach außen von Stilen anderer indigener Gruppen ab. Federschmuck insgesamt ist ein wichtiges symbolisches Kennzeichen, mit dem ethnische Identität ausgedrückt wird. Der Stil des Kayapó-Federschmucks repräsentiert selbst eine Ordnung. Er ist gekennzeichnet durch Symmetrie und einen offenen Farbstil: Die Übergänge innerhalb eines Farbtons sowie zwischen verschiedenen Farben sind nuanciert und fließend. Dies erinnert an malerische Techniken. Mit formalen Mitteln der Aufeinanderfolge von Farben und Federgrößen werden Einheit und Harmonie des ganzen Gegenstandes betont.


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Frauen und Mädchen in vollem Ornat beim Namensgebungsfest "Bemalte Frauen". Einige tragen das Krokrokti. Kayapó. Foto: G. Verswijver. Sammlung Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main

Alte Symbole für neue Ordnungen
Auf der internationalen Bühne der Umweltpolitik wird Federschmuck zum Ausdruck eines neuen indianischen Selbstbewusstseins. Seit Mitte der 1980er-Jahre sind die Kayapó als Umweltaktivisten bekannt geworden, als sie erfolgreich gegen Großprojekte auf Indianerland vorgingen. Ihre medienwirksamen Auftritte in vollem Federornat trugen zu einem neuartigen idealisierten Bild vom Indianer bei. Die Kombination von Geld, Videokamera, neuem Selbstbewusstsein, Körperbemalung und Federschmuck vermittelte nicht mehr länger das Bild vom exotischen, primitiven und gefährdeten armen Indianer. Die amerikanische Ethnologin Beth Conklin interpretiert die im politischen Kampf aktiven Indianer in Federschmuck als wahrhaftige Grenzgänger zwischen den Kulturen, denen es gelungen ist, die Kontinuität zwischen Vergangenheit und Gegenwart auf spezifisch indianische Weise zu sichern. Die Kayapó haben sich das zuvor von Europäern konstruierte Bild des „edlen Wilden“ angeeignet und um ihre eigene Version vom „ökologischen edlen Wilden“ erweitert. In der Arena des interkulturellen Dialogs konnten sie auf diese Weise das Machtgefälle zwischen Indianern und Brasilianern zu ihren Gunsten verschieben. Federschmuck, Symbol für Ordnung schlechthin, wurde zum Ausdruck der von den Indianern neu geordneten Beziehungen zur nicht indianischen Welt.

Weiterführende Literatur

Conklin, Beth A. (1997): Body paint, feathers, and vcrs: aesthetics and authenticity in Amazonian activism. In: American Ethnologist 24(4): 711-739
Fénelon Costa, Maria Heloisa und Dias Monteiro (1968/69): Dois estilos plumários: barroco e classico no Xingu. In: Revista do Museu Paulista, N.S. 18: 128-136
Lukesch, Anton (1994/1969): ”Der Tapir, der an der Himmelsstütze nagt“. Mythos und Leben der Kayapó. Wien; Köln; Weimar
Suhrbier, Mona und Eva Raabe (Hg.) (2001): Menschen und ihre Gegenstände - Amazonien, Ozeanien. (Roter Faden zur Ausstellung 22. Museum der Weltkulturen). Frankfurt am Main
Turner, Terence (1992): Symbolic language of bodily adornment. In: Verswijver (Hg.) 1992: 27-35
Verswijver, Gustaaf (1982-1983): Essay sur l’usage de la parure chez les indiens Kaiapó du Brésil central. In: Bulletin du Musée d’ethnographie (Genève) 25-26: 23-62
- 1995: Kaiapo. Materielle Kultur - spirituelle Welt. (Sammlung 9: Amerika). Museum für Völkerkunde. Frankfurt am Main
Vidal, Lux (1980): Kayapó featherwork. In: Arte plumária do Brasil; Katalog. Brasília. S. 33-34

Zur Autorin

Dr. Mona Suhrbier, Kustodin der Abteilung Amerika des Museums der Weltkulturen in Frankfurt. Regionalschwerpunkte: Indigenes Amazonasgebiet und Nordost-Brasilien.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008