MAGISCHE ZEICHEN IM VERBORGENEN

Hochzeitsbemalung in Indien

Von Lydia Icke-Schwalbe

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Hand einer Braut mit Hennabemalung. Gujarat, Indien, 2005. Foto: H. Schmitt

Die Hochzeit, das Fest anlässlich der Verbindung zweier junger Menschen unterschiedlichen Geschlechts mit dem gesetzmäßigen Auftrag, zum kraftvollen Fortbestand der Gesellschaft verantwortungsbewusst beizutragen, ist ein notwendiger Höhepunkt im Leben jeder Gemeinschaft in Indien. Die gesamte bluts- und heiratsverwandte Gesellschaft nimmt daran teil. In Symbolen und Farben wird die Leben fördernde Kraft des Rituals beschrieben und unterstützt. Braut und Bräutigam sind vor allen schädigenden Einflüssen und Handlungen zu schützen, im Äußerlichen wie im Innern, für die Hochzeitsgesellschaft nur bedingt sichtbar.

Rot, die Farbe des Lebenssaftes Blut, der Lebenskraft schlechthin, ist daher die am meisten magisch positiv wirksame Farbe zum Ritual der geschlechtlichen Vereinigung neben Gelb, der Farbe der lebenserhaltenden Kraft, die in Kurkuma, der Gelbwurz, in Gold und Flitter oder im Sonnensymbol erkannt und genutzt wird.

Zum Empfang in der Gesellschaft werden Braut und Bräutigam rot und goldgelb gekleidet. Das Gesicht der Braut wird mit goldfarbenem Schmuck, nach Möglichkeit aus solidem Gold, in seinen Konturen nachgezeichnet und dekoriert. Hände und Füße werden besonders auf den Innenflächen beziehungsweise den Sohlen mit der Farbe des Blutes bemalt. Die äußeren Handflächen und Unterarme werden mit dichtem Goldschmuck behängt, nachdem sie oftmals auch schon mit roter Farbe bemalt oder in Henna eingetaucht worden sind. Nur die Sikh-Braut trägt blaufarbene Hochzeitskleidung, die mit reichem Goldschmuck besetzt ist.

Das Ritual der Heirat, vivaha , ist in den ältesten schriftlichen Überlieferungen des Veda beschrieben und wiederholt sich deshalb unter Leitung und gemäß den Rezitationen des oder der brahmanischen Priester jeweils zum astrologisch ermittelten glückvollen Zeitpunkt mehr oder weniger vollständig in ganz Hindu-Indien mit der gleichen Symbolik. Reicher Körperschmuck an Braut und Bräutigam kennzeichnet nicht nur deren besonderen Status, sondern auch die gesellschaftliche Position der Familien und ihre religiösen Bindungen. Nur eine Witwe trägt keinen Schmuck!

In den hinduistischen Gesellschaften hat sich eine sehr aufwendige, zeitraubende Ornament-Bemalung herausgebildet, die gleichsam alle Segenswünsche für Fruchtbarkeit, Wohlstand, Schönheit und Reichtum beinhaltet. Kanonisch festliegende Symbolformen, die wie eine allgemeine Sprache unverändert zu wiederholen sind, können als Stempel aufgedrückt werden. Zu solch festliegenden Glück und Segen verheißenden Sinnbild-Formen gehören zum Beispiel der Hufabdruck eines Stieres, nandi pada , das Shiva lingam , das Rad, chakra , die Schnecke, shankha , das lineare Vishnu-Zeichen, nama .

Nach der Überlieferung wird dafür der Farbstoff der Mehndi-Pflanze verwendet. In Nord- und Westindien gilt diese Bezeichnung, in Rajasthan als „Mehendi“ gesprochen, für den aus Persien stammenden Henna-Strauch (Lawsonia inermis Roxb. oder Lawsonia alba Lam., ein ligusterähnlicher Busch). In der Vermischung mit Luft nimmt die grünlich braune Paste, die aus zerstoßenen Blättern gewonnen wird, auf der Haut ein intensives Rot an. Das in Indien heimische originale „Jungli mehendi“ wird aus dem roten Farbstoff der Samen vom Harmal-Busch (Peganum harmala Linn.) gewonnen. Wegen seiner schnellen Konversion zu Braun und Schwarz nutzt man dieses so genannte Vilayati mehndi/„Jungli Mehendi“ vorwiegend zum Schwarzfärben. In zentralindischen Dschungelgebieten bezeichnet der Begriff die Gemeine Myrthe (Myrthus communis Linn.), die von den ursprünglichen Bewohnern zum Schwarzfärben (der Haare) oder Konturenmalen auf der Haut, um die Augen herum, als magische Abwehr des Bösen, verwendet wird. In jedem Falle handelt es sich auch um medizinisch genutzte Pflanzen, sodass die positive Gesundheit und Kraft fördernde Wirkung der Körperbemalung nicht nur in Symbolen übertragen wird.

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Himachali-Braut. Foto: Mulk Raj Sidana. Aus: Journal der Indischen Botschaft in Deutschland, Indien Perspektiven von 1994

Ein unverzichtbarer Zeichen- und Amulett-Schmuck ist das tali . Es symbolisiert die männliche Verantwortung für den Wohlstand der Familie. Wenn der Mann im Ritual der Frau das Tali um den Hals bindet, dann überträgt er auf sie den Status seiner Kraft, seinen und seiner Familie Wohlstand und Sicherheit. In einer Überlieferung wird gesagt, dass das Tragen des Tali eine Frau in die Verkörperung von Güte, Milde und weiblicher Hingabe verwandelt, in die Geberin von Gesundheit, Reichtum und Glück an ihre Familie. Der Nasenring, nath , gehört ebenso unverzichtbar zum Brautschmuck. Er ist jedoch eine Ergänzung aus jüngerer Zeit, jedenfalls wird der Nasenring erst seit dem achten/neunten Jahrhundert überliefert.

In der Begegnung mit den islamisch geprägten Sitten und Bräuchen, die seit dem zehnten Jahrhundert im Gefolge staatspolitischer Eroberungen vor allem im Norden des indischen Subkontinents verstärkt Eingang fanden, wurden Schmuck- und Dekorformen im Hochzeitsbrauchtum erweitert und umgewandelt. Der umfangreich gearbeitete Nasenring beziehungsweise der das Gesicht quasi bedeckende Schmuck und die Übernahme von Henna für den roten Farbstoff gehören sicher dazu.

Die Bedeutung des Henna in den arabischen Staaten und muslimischen Gemeinschaften entsprach dem Symbolwert und der Kraftübertragung, die im hinduistischen Brauchtum vorhanden waren. Im Punjab, in Rajasthan und Gujarat und entlang der alten Karawanenrouten zwischen Karakorum und Arabischem Meer – in den Ländern mit frühester und dann anhaltender Begegnung zwischen persisch-arabischen und indischen Gesellschaften – entstand eine mit den unterschiedlichsten Elementen, floralen Mustern und erotischen Stilisierungen überaus kunstvoll angereicherte Dekorierung der Braut. In dem reichen Gebrauch von Henna in allen arabischen Ländern, nicht nur zur Hochzeit, sondern bei allen religiösen Festen, kommt die verborgene Gefühlswelt überschwänglich zum Ausdruck. Denn Henna steht für Freude, Glück, Liebe, Erotik und weibliche Lebensfülle. – Eine Ausstellung in Kitzingen 2000 und die begleitende Publikation „Mythos Henna – Poetische Impressionen“ von Renate Haass und K. D. Christof haben dies sehr eindrücklich vorgestellt.

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Südindische Braut. Foto aus: Journal der Indischen Botschaft in Deutschland, Indien Perspektiven von 1994

Hochzeitsfeiern und die anschließenden Empfänge beziehungsweise Darstellungen der Neuvermählten in ihren jeweiligen Familien sind in den westlichen Landesteilen Indiens stets in ein Meer von Rot und Gold eingetaucht. Die Braut ist äußerlich, in Kleidung und Schmuck, das Schaufenster für den Wohlstand ihrer mütterlichen Familie. Aber verborgen unter all dem äußeren Flitter trägt sie auf Händen und Füßen alle Wünsche, Segnungen, Hoffnungen ihrer nächsten weiblichen Verwandten. Diese haben die Hände und Füße der Braut vor der Hochzeit in abgeschlossenen Räumen stundenlang mit Hingabe bemalt und dabei fröhliche Lieder gesungen und sich an anzüglichen Witzen erfreut. Die Verwandten legen ihr auch den Glück und Segen verheißenden Schmuck an, und sie stehen auch weiterhin stets zur Verfügung der Braut, um sie zu füttern, zu waschen, ihr bei allen Handlungen zu helfen, wozu sie ihre eigenen schönen Hände mit den magischen Zeichen eine Zeit lang nicht benutzen kann.

Wenn sie dann in aller Pracht und Schönheit zur Schau gestellt wird, sind ihre Hände und Füße unter der Kleidung verborgen. Im Hochzeitsbrauchtum enthält diese kunstvolle Körperbemalung keine öffentlich zu machende Botschaft, sondern ist eine sehr intime Angelegenheit. Somit findet man diesen Part auch nicht explizit auf Fotos indischer Bräute. Es ist unhöflich, zeitweilig entblößte Bemalungen zu fotografieren, wenn man als Gast zugelassen wurde. Man darf sie bewundern, aber nichts von der magischen Kraft entnehmen.

Weiterführende Literatur

Haass, Renate; K. D. Christof mit Fotos von F. Freihofer (2000): Mythos Henna. Poetische Impressionen. Dubai: Al Bayan Press
Sadana, Mulk Raj (1998): Die indische Braut. Ein Symbol echter Schönheit. In: INDIEN Perspektiven, vol. 7,8. New Delhi/ Botschaft Indiens in Deutschland. S. 38–42

Zur Autorin

Dr. Lydia Icke-Schwalbe ist Kustodin für Süd- und Ostasien im Museum für Völkerkunde, Dresden.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008