WEIBLICHE ERFAHRUNG – WEIBLICHE KUNST

Podai-Malerei auf Körpern und Häusern in Guinea

Von Beate Schneider

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Savo Onivogi mit Bemalung von Mama Gaou Béavogi Foto: K.-H. Krieg, 1987

Podai nennen die Loma die ornamentale Malerei, die zu besonderen Anlässen den Frauen auf den Körper gemalt wird und die gleichermaßen Hauswände verziert. Die Nuss des Podai-Baumes verleiht der Malerei ihren Namen. Sie wird mit den Früchten des sogosogogi -Baumes zerstampft und mit Wasser und Holzkohle angerührt.

Statt eines Pinsels nutzen die Loma-Frauen Blattrispen, mit denen sie die ölige Farbe in feinen Linien auf den Körper zeichnen. Während sie die Hauswände mehrfarbig mit Rost und Ocker gestalten, wird zur Bemalung der Körper ausschließlich Schwarz verwendet.

Podai-Malerei wird zum Projekt
„Durch eine Reihe von Zufällen“ kam Karl-Heinz Krieg 1987 in das Gebiet der Loma. Zum Kaufmann, Diakon und Religionslehrer der evangelischen Kirche ausgebildet und seit 1966 als Kunsthändler und Autor tätig, beschäftigte er sich zu dieser Zeit mit der Kunst des Batikdrucks in Westafrika. In der Elfenbeinküste lernte er Batikkünstler kennen, die aus Guinea emigriert waren. Sie stammten aus Kindia. Dorthin war Karl-Heinz Krieg unterwegs, um Druckstöcke zu sammeln und seine Forschung über die Batiktradition vor Ort weiterzuführen, als er in dem Loma-Dorf Passima unweit der Stadt Macenta mit seinem Kollegen Alassan Fofana übernachtete.

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Porträt Gaou Béavogi (Mama Gaou) aus Nyanguézazou. Foto: K.-H. Krieg, 1987

„Als ich meinen Wagen in das Gehöft fuhr, saß dort eine Frau, die den Körper eines Mädchens bemalte. Die Gebäude waren mit Zeichnungen von einer Qualität und Stärke dekoriert, wie ich sie vorher nie gesehen hatte. Für mich war das sofort Kunst“, schreibt Krieg im Katalog der Ausstellung in Hamburg Podai: Bemalte Körper – Bemalte Häuser (1995:7). Weitere bemalte Häuser, die er auf seiner Reise entlang der liberianisch-guineischen Grenze sah, überzeugten ihn davon, dass es sich bei den ersten Zeichnungen nicht um eine individuelle Gestaltungsidee, sondern um „Zeugnisse einer alten Tradition handeln musste“. Er beschloss, eine Weile in der Gegend zu bleiben. In dem Dorf Nyanguézazou lernte er Gaou Béavogi, eine respektierte Würdenträgerin der Gegend, kennen. Sie galt als die beste Podai-Malerin und hatte hohe Ämter innerhalb des Frauenbundes. Die Zeichnungen auf dem Versammlungshaus der Mädchen und auf den Häusern der männlichen Würdenträger hatte sie angefertigt.

Wie Gaou Béavogi (Mama Gaou) später Karl-Heinz Krieg erzählte (wiedergegeben im Ausstellungskatalog Podai. Malerei aus Westafrika , S. 123 f.), wurde sie circa 1929 in Macenta geboren. Sie verbrachte ihre Jugend bei ihrem Vater, der als Koch für einen Europäer arbeitete. Etwa im Alter von sieben zog sie ins Buschlager, wo sie mit 14 Jahren initiiert wurde. Ein Jahr später heiratete sie ihren ersten Mann. Als dieser starb, wurde sie mit dessen jüngerem Bruder verheiratet. Doch auch dieser starb, und seither lebte „Mama“ Gaou, die kinderlos blieb, im Gehöft des verstorbenen Mannes.


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Podai-Malerei von Kolouma Sovogi Tokobabhékpégi, Foto: K.-H. Krieg, 1996

Sie war die erste Podai-Künstlerin, die sich bereit erklärte, ihre Podai-Muster für Karl-Heinz Krieg auf Papier zu malen. Später schlug sie vor, das Mädchen Savo Onivogi zu bemalen, und erlaubte Krieg die fotografische Dokumentation dieses Vorgangs. „… aus der Faszination dieser Erlebnisse jener Tage wurde das Podai-Malprojekt geboren“, erinnert sich Krieg im Ausstellungskatalog.

Krieg reiste nach 1987 noch viermal in das Loma-Gebiet. Bereits bei seiner Reise 1989 nahm er Farbe und „professionelle Malgründe“ mit. Er lud die Künstlerinnen ein, auf den Leinwänden zu malen. Sie erklärten sich dazu bereit, lehnten aber die mitgebrachten Pinsel ab. 1990 und 1991 wurde Krieg von dem Ethnologen Arnulf Stößel, der einen umfangreichen Fragekatalog erarbeitet hatte, begleitet. Das Interesse galt nun auch der systematischeren Erforschung des kulturellen Kontextes.

1996, nach seiner letzten Reise, zählte die Sammlung Krieg 3.600 Malereien von 41 Loma-Künstlerinnen. Einen Ausschnitt davon zeigt die Ausstellung „Hautzeichen – Körperbilder“ .


Die Loma

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Haus mit Bemalung. Foto: K.-H. Krieg, 1987

Højberg schätzt die Anzahl der Loma, die auf beiden Seiten der Grenze zwischen Guinea und Liberia leben, im Jahr 2002 auf 250.000 Personen. Ihr Siedlungsgebiet liegt im tropischen Regenwald. Es ist von Berg- und Hügelketten durchzogen und gilt als ausgesprochen unwegsam.

Insbesondere die alten Dörfer der Loma findet man häufig auf Bergkuppen, die nur durch schmale Fußwege miteinander verbunden und bis heute kaum mit Fahrzeugen erreichbar sind. Diese Lage schützte von jeher vor kriegerischen Angriffen der Nachbarvölker und bot gleichzeitig den direkten Kontakt und Schutz der Geister, die die Loma vornehmlich auf Bergen lokalisieren. „Ohne diese Geister wäre keine Ansiedlung denkbar“, bemerkt Arnulf Stößel 1995 über die Podai.

Die Loma definieren sich über die Abstammung gemeinsamer Vorfahren. Weiterhin verbindet sie eine gemeinsame Sprache. Der Ältestenrat unter Vorsitz des Dorfoberhauptes regelt die Angelegenheiten und Gerichtsfälle bei Familienstreitigkeiten.

Die Loma leben von Ackerbau. Für den eigenen Verbrauch werden Hochlandreis, Bohnen, Maniok, Okra und Kürbis angebaut, für den Verkauf Kaffee, Erdnüsse und Bananen gepflanzt.

In den zahlreichen Flüssen der bergigen Region hat der Fischfang große Bedeutung. Das kreisrunde Netz der Fischerinnen findet sich auch als Motiv in der Podai-Malerei oft wieder.

Wie viele andere Gruppen in den Waldgebieten Guineas verfügen auch die Loma über bündische, der Initiation verpflichtete Organisationen. Poro bezeichnet die Geheimgesellschaft der Männer, Sande die der Frauen.

Mit der Regierung von Sékou Touré, dem ersten Staatsoberhaupt des 1958 unabhängig gewordenen Guineas, und dessen „Politik der Entmystifizierung“ wurden in den 1960er-Jahren die bündischen Organisationen verboten. Touré beabsichtigte, alle Aspekte des traditionellen Glaubens auszumerzen. Geheimste Masken, die sonst nur wenige Eingeweihte sehen durften, wurden öffentlich gezeigt, deren Träger entschleiert und vorgeführt. Die Durchführung alter religiöser Praktiken wurde streng unter Strafe gestellt.

Als Karl-Heinz Krieg in das Gebiet der Loma kam, war diese Politik seit drei Jahren vorbei. Mit dem Tod Sékou Tourés 1984 veränderte sich die Innenpolitik. Die Geheimbünde, die zuvor nur unter Missachtung des offiziellen Verbots praktizieren konnten, erfuhren eine Art Renaissance.

Podai-Malerei, weibliche Erfahrung – weibliche Kunst

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Mama Gaou bemalt Savo Onivogi, Nyanguézazou. Foto: K.-H. Krieg, 1987

Die Entwicklung und Ausführung der Podai-Malerei lagen von jeher in den Händen der Frauen. Vor der Regierungsübernahme Tourés wurden auch Jungen aus Anlass ihrer Beschneidung von den Frauen mit Podai-Mustern bemalt, wie einige ältere Künstlerinnen Karl-Heinz Krieg zu berichten wussten. Darüber hinaus gab es gestempelte Ornamente, die als „Zeichen der initiierten jungen Männer“ verwendet wurden.

Die Mädchen begannen oft bereits vor ihrer Initiation die Podai-Muster zu kopieren. „Möchte es eine Frau erlernen, kann sie es von irgendjemand lernen“, erzählte 1990 Georges Onivogi, eine der Künstlerinnen. Wichtige charakteristische Eigenschaften wie „Vorsicht, Liebe und Intelligenz“ seien jedoch persönliche Voraussetzungen, die die Frauen für die Podai-Malerei benötigten. Als besonders gut galten die Bilder, die „fein“ und „sauber“ gearbeitet waren, mit „Präzision“ gezogene Linien aufwiesen und deren „Proportionen stimmten“. Angestrebtes Ziel der Künstlerinnen war die Variation der traditionellen Muster und nicht deren Festschreibung.

Die Podai-Malereien spielten im Rahmen der Initiation der Mädchen eine besondere Rolle. Initiation war für die Loma gleichbedeutend mit der Umwandlung junger Menschen in vollwertige Männer und Frauen. Als wichtigste Elemente dieser Transformation galten die Beschneidung ( gegen die Beschneidung von Frauen hat sich heute Widerstand organisiert. Siehe dazu: Online-Dokumentation Terre des Femmes http://www.terre-des-femmes.de/ ) und die Skarifikation (Hautritzmusterung) beider Geschlechter sowie die Unterweisung in geschlechtsspezifische Tätigkeiten und Wissenskomplexe.

Diese Unterweisungen geschahen an Orten außerhalb des Dorfes. Das „Buschlager“ der Mädchen und Frauen lag gewöhnlich östlich der Siedlung, im dichten Wald, stellte aber im Gegensatz zum „Heiligen Hain“ der Männer eine temporäre Institution dar. Sie existierte nur während des Zeitraums der Initiation. Im „Buschlager“ lebten die Initiandinnen in Hütten, die für die Dauer ihres bis zu siebenjährigen Aufenthalts unterhalten wurden. Die älteren Frauen ( Zomgaiti ) führten die Initiandinnen in das spezielle weibliche Wissen ein. Dazu gehörte neben handwerklich-praktischen Techniken auch spirituelles Wissen.

Das Eintrittsalter in die Abgeschlossenheit des Buschlagers variierte in den verschiedenen Dörfern und zu den verschiedenen Zeiten. Von den elf Künstlerinnen, die Karl-Heinz Krieg uns im Ausstellungskatalog 2003 vorstellt, wurden drei im Alter von circa sieben Jahren ins Buschlager aufgenommen. Von zehn dieser Künstlerinnen wissen wir, dass sie im Alter zwischen acht und 14 Jahren initiiert wurden. Die heimlichen Initiationen, die zur Regierungszeit Tourés stattfanden, wurden alle bei vergleichsweise jungen Mädchen, nämlich im Alter von acht Jahren, nach nur dreimonatiger Seklusion (Abgeschiedenheit) durchgeführt. Heute besteht in Guinea für alle Kinder Schulpflicht, sodass die Zeit der Seklusion oft auf die Schulferien beschränkt ist.

Die Körpermalerei gehörte unmittelbar in den Bereich des „Buschlagers“. Am Ende dieser Zeit kehrten die Mädchen bemalt ins Dorf zurück. Die Maske Anbai holte sie ab und begleitete sie zurück ins Dorf. Bei dieser Rückkehr waren die Lippen der Initiandinnen und ihrer älteren Begleiterinnen durch eine senkrecht von der Nase bis zum Kinn durchgezogene Linie „verschlossen“ – ein Ausdruck des Verbots, über die zurückgelassene Sphäre der Unordnung und die damit gemachten Erfahrungen zu sprechen.

Die inneren Prozesse der Veränderungen der Mädchen fanden einen äußeren Ausdruck in ihren körperlichen Modifikationen, die für alle in der Körperbemalung, den Schmucknarben und der Feilung der oberen Schneidzähne sichtbar waren.

Den Aussagen der Podai-Malerinnen lässt sich entnehmen, dass Podai-Ornamente vor allem der Verschönerung dienten. Aber für Langenohl liegt es nahe, dass in den „ästhetischen Kategorien der Podai-Ornamentik auch dem Ideal der Ordnung, die das Ziel der langen Unterrichtungszeit im Buschlager war, Ausdruck gegeben wurde“. In der „Ambivalenz des menschlichen Seins zwischen Wildnis und Zähmung stärken die Ornamente den Bereich der Ordnung“.

Weiterführende Literatur

Clara Himmelheber (2003): Zur Ethnographie der Loma. In Ausstellungskatalog museum kunstpalast: Podai. Malerei aus Westafrika. Düsseldorf. S. 22–27 Kathrin Langenohl (2003): Podai – Malerei der Frauen aus Westafrika. In Ausstellungskatalog museum kunstpalast: Podai. Malerei aus Westafrika. Düsseldorf. S. 28–47
Karl-Heinz Krieg (2003): Begegnungen mit Podai. In Ausstellungskatalog museum kunstpalast: Podai. Malerei aus Westafrika. Düsseldorf. S. 8–15
Karl-Heinz Krieg (1995): Vorbericht. In Ausstellungskatalog Hamburg Podai: Bemalte Körper – Bemalte Häuser. S. 7–9
Christian Krodt Højbjerg (1995): Staging the Invisible. Essays on Loma Ritual and Cultural Knowledge. Diss. Phil. Kopenhagen
Paul Degein Korvah (1995): The History of the Lom People. Oakland Arnulf Stößel (1995): Geschichte und Kultur der nordwestlichen Loma. In: Ausstellungskatalog Hamburg: Podai Bemalte Körper – Bemalte Häuser. S. 24–47

Zur Autorin

Beate Schneider, M. A., Ethnologin mit Schwerpunkt Afrika (u. a. Elfenbeinküste, Namibia). Projektleiterin der Ausstellung "Hautzeichen - Körperbilder" im Museum der Weltkulturen in Frankfurt am Main.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008