„EIN RITUAL, DAS LEBENSLANGES LEIDEN FÜR DIE BETROFFENEN MIT SICH BRINGT“

Ein Interview mit Mamouna Quedraogo von Regine Bouédibéla-Barro

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Mamouna Ouedraogo. Foto: R. Bouédibéla-Barro

Die Organisation Bangr-Nooma ist im ländlichen Burkina Faso tätig und wird von TERRE DES FEMMES unterstützt. Bangr-Nooma heißt "Es gibt nichts Besseres als Wissen". 2001 wurde Bangr-Nooma als gemeinnützige NGO anerkannt und zählt inzwischen über 300 aktive Mitglieder, die alle ehrenamtlich tätig sind. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen Aufklärungskampagnen gegen die weibliche Genitalverstümmelung. Diese wendet sich vor allem an Mädchen und Frauen, aber auch an traditionelle und religiöse Autoritäten, sowie an alle, die in ihren Gemeinschaften Ansehen genießen. Seit über zwei Jahren besteht die mit Unterstützung von TERRE DES FEMMES errichtete Geschäftsstelle in Kampala, 160 km südlich von Ouagadougou. Dort finden Mädchen, die vor einer drohenden Genitalverstümmelung fliehen, Beratung und Schutz. Auch Frauen und Mädchen, die vergewaltigt wurden oder HIV-positiv sind, suchen in der Beratungsstelle Beistand und Zuflucht. Bangr-Nooma konnte bei vielen Menschen ein Umdenken bewirken. - Etwa 3.000 Mädchen wurden nachweislich vor einer genitalen Verstümmelung bewahrt. - Dank Bangr-Nooma gibt es heute in 126 Dorfgemeinschaften Komitees gegen diese Praktik. - Etwa 100 Beschneiderinnen gaben ihr Handwerk auf. Manche schlossen sich der Kampagne an. Zwei Beschneiderinnen konnten der Polizei zugeführt werden. - Einigen Frauen wurden Operationen bezahlt, damit die durch die Beschneidung verursachten massiven gesundheitlichen Probleme behoben werden konnten. - In etwa 40 Fällen vermittelte Bangr-Nooma zwischen Familien und sorgte dafür, dass unbeschnittene Ehefrauen nicht verstoßen wurden und unversehrt blieben. - Die Organisation klärte in mehr als 140 Schulen Jugendliche über Genitalverstümmelung auf. - Insgesamt erreichte Bangr-Nooma mit ihrem Engagement bisher mehr als 300.000 Menschen.

Regine Bouédibéla-Barro, ehrenamtliche Koordinatorin von TERRE DES FEMMES hat mit Mamouna Ouedraogo, seit 2001 Aufklärerin und Betreuerin von Bangr-Nooma , gesprochen.

R. Bouédibéla-Barro : Wie sind Sie zur Organisation Bangr-Nooma gekommen?
M. Ouedraogo : 2001 hat Bangr-Nooma mit Unterstützung der staatlichen Präfektur einen Test für Animatricen/Animateure (Aufklärerin, Betreuerin) ausgeschrieben. Ich habe diesen Test als Beste bestanden.
R. Bouédibéla-Barro : Warum wollten Sie unbedingt Animatrice werden?
M. Ouedraogo : Aus persönlichen Gründen. Weil ich mehr direkte Informationen bekommen wollte, weil ich einen Job suchte, und weil ich direkt aus Bossourna stamme und immer noch dort wohne.
R. Bouédibéla-Barro : Welche Erfahrungen haben Sie im Laufe Ihrer mehr als vierjährigen Arbeit gemacht?
M. Ouedraogo : Es gab sowohl schlechte als auch sehr gute Erfahrungen. Fangen wir mit den schlechten an: Im traditionellen Milieu, besonders bei den Mossi, ist Sex ein Tabuthema, über das junge Leute in der Öffentlichkeit eigentlich nicht sprechen oder diskutieren dürfen. Es kam zu bösen Reaktionen von älteren Personen, weil ich es gewagt habe, mich als junge Frau vor einem Männerpublikum und vor Erwachsenen zu äußern. Am Anfang kam pro Familie, wenn überhaupt, nur ein Vertreter. Wir mussten häufig lange warten, bis die Zielgruppe zusammen gekommen war. Es gab Dörfer, die wollten mich als Animatrice überhaupt nicht sehen. Einer meiner Kollegen, der auch für Bangr-Nooma tätig ist, hat heftige Vorwürfe von seinem Onkel zu hören bekommen, als der erfahren hat, welchen Job er nach bestandenem Test erhalten hatte: gegen die Beschneidung zu arbeiten! Der Onkel hat ihn beschimpft, das wäre schlecht und eine Schande für die Familie. So sind wir Anirnatricen/Animateure häufig beschimpft worden. Wir wurden gefragt, ob wir nichts Wichtigeres zu tun hätten. Wir haben uns nicht entmutigen lassen, und nach ein paar Monaten intensiver Aufklärungsarbeit fing unsere Arbeit an, Früchte zu tragen. Es kamen immer mehr Interessierte, die Beteiligung wurde jedes Mal größer und das Interesse stieg ständig. Es wurden immer mehr Fragen gestellt.

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Mamouna Ouedraogo bei der Aufklärungsarbeit. Foto: R. Bouédibéla-Barro

Mittlerweile werden wir über unsere Arbeit identifiziert. So heiße ich nicht mehr Mamouna Ouedraogo, sondern Mamouna Antibeschneidung, und mein Kollege heißt Rasmane Antibeschneidung. Wir erhalten ständig Anfragen von traditionellen Chefs, ob wir bei freudigen Anlässen Aufklärungsarbeit leisten können. All unsere Zieldörfer haben freiwillig Komitees zum Kampf gegen Genitalverstümmelung gebildet. Wir können der großen Nachfrage nach Aufklärungsarbeit von Schulen, Frauengruppen, Lehrern, Kirchen und Moscheen kaum nachkommen, da die Zahl der Animatricen/Animateure nicht ausreicht. Während der Aufklärungsarbeit sind die Leute zunehmend bereit, über Beschneidungsopfer in der eigenen Familie, der Bekanntschaft oder Verwandtschaft zu sprechen. In fast jeder erweiterten Familie gibt es tragische Schicksale. Diese Tatsache hat die Menschen hier zusammengeführt; sie haben festgestellt, dass sie nicht die einzigen Betroffenen sind und offen über ihre Probleme reden und ihre Sorgen teilen können. Wir werden ermutigt, weiter zu machen und wir werden sofort über heimliche Beschneidungsvorbereitungen informiert. Als ich meinen Einstellungstest machte, gab es nur acht Kandidaten. Beim nächsten Test, ein Jahr später, waren es bereits 30 Bewerberinnen und Bewerber.
R. Bouédibéla-Barro : Was war für Sie in dieser Zeit persönlich am wichtigsten?
M. Ouedraogo : Viele neue Beziehungen, eine positive Auseinandersetzung mit der negativen Tradition, Zugang zu wichtigen Informationen. Selbstvertrauen, die Fähigkeit, nach vier Jahren auch öffentlich über meine persönlichen Probleme zu sprechen. Grundsätzlich ist das Gesetz, das die Beschneidung verbietet, gut. Aber ein Verbot ist schlecht, wenn nicht gleichzeitig darüber aufgeklärt wird, warum die Tradition der Beschneidung weg muss. Das gilt besonders für eine Dorfbevölkerung mit stark ausgeprägter Tradition und einem 90-prozentigen Anteil von Analphabeten.
R. Bouédibéla-Barro : Sie haben vorhin persönliche Gründe erwähnt. Sind Sie bereit, mit uns darüber zu sprechen?
M. Ouedraogo : Alles fing 1997 an der Elfenbeinküste an, wo meine Eltern vor über 30 Jahren hingezogen sind. Da hatte ich die schlimmsten Erlebnisse meiner Kindheit; das Leid meines ganzen Lebens hat dort begonnen. Ich war 15 Jahre alt und musste das traditionelle Ritual der Beschneidung über mich ergehen lassen: ein Ritual, das keinerlei Vorteile, sondern nur lebenslanges Leiden für die Betroffenen mit sich bringt. Mein Vater war von Anfang an strikt dagegen. Er sagte meiner Mutter immer, er sei strenggläubiger Muslim und praktiziere entsprechend nur das, was im Koran stehe. Im Koran stehe aber nicht, dass die Beschneidung Pflicht für Muslime sei. Meine Mutter wollte davon nichts hören und jammerte unaufhörlich, ich fände keinen Zugang zu meinem Stamm beziehungsweise zu meinem Dorf und der Familie in Boussouma, wenn ich nicht beschnitten sei.
In den Schulferien 1997 wurden meine Schwestern und ich nach Abidjan gebracht, um dort beschnitten zu werden. Ich wusste nicht, was Bescheidung ist, für mich war das eine Feier für uns, bei der man tanzt und Eier isst. Das hat uns meine Mutter immer so erzählt. Mir wurde erst langsam klar, was uns erwartete, als wir am Ort der Beschneidung ankamen. Ich sah viele Rasierklingen, Watte, eine scharfe, aus Asche hergestellte Seife, ein Loch, einen Schnaps mit dem Namen Koutoukou und viele alte Frauen. Die alten Damen haben mich ganz ausgezogen, und ein paar von diesen Frauen haben mich ganz fest festgehalten: auf jedem Schenkel, auch auf den Armen und auf meinem Bauch saßen Frauen. Ich sollte mich nicht bewegen können, damit ich mich nicht noch mehr gefährdete. Zur Betäubung musste ich diesen starken Schnaps trinken. Der fast achtzigjährigen Beschneiderin haben die Hände gezittert. Ich bin während der Beschneidung ohnmächtig geworden und habe viel Blut verloren. Am nächsten Tat hatte meine jüngste Schwester geschwollene Arme. Später wurde sie noch einmal beschnitten werden, um auch den Rest ihrer Klitoris zu entfernen.
Nachdem unsere Wunden geheilt waren, merkte ich, dass meine Narben anders aussahen als bei meinen anderen Schwestern. Das habe ich meiner Mutter erzählt. Sie meinte ich müsste noch einmal beschnitten werden. Weil die großen Lippen zugewachsen waren, konnte ich nicht richtig urinieren. Ich wollte das nicht akzeptieren. Da haben schließlich meine Mutter und eine Tante die Wunde wieder aufgemacht, bis zur Harnröhre. Die Schmerzen waren grausam. Unbeschreiblich schmerzhaft - das werde ich in meinem Leben nie vergessen. Da ich niemanden mehr an mich heran ließ, musste ich mich selber um die Wundheilung kümmern. So etwas passiert selten bei kleinen Kindern, weil sie bei der Wundbehandlung zwangsweise betreut beziehungsweise behandelt werden, was ich jedoch nicht mehr akzeptierte. Deshalb sind die großen Lippen wieder zusammengewachsen. Urinieren konnte ich zwar, ich hatte es aber nicht unter Kontrolle. Deshalb habe ich mich als Animatrice beworben und kämpfe nun gegen diese Praxis.
Bangr-Nooma hat mich bestärkt, und ich habe auch viele Erfahrungen gewonnen. Das hat mir den Mut gegeben, mich nach vierjähriger Tätigkeit als Animatrice bei Bangr-Nooma öffentlich zu meinem Problem zu äußern. Ohne Bangr-Nooma hätte ich wahrscheinlich nie den Mut gehabt, über mein Problem zu sprechen, geschweige denn die Gelegenheit bekommen, mich operieren zu lassen, um überhaupt eine Familie gründen zu können. Ich hätte diese Last bis an mein Lebensende tragen müssen. Meine Mutter kann sich meine Verstümmelung bis heute nicht verzeihen und fühlt sich schuldig wegen dem, was sie mir angetan hat. Sie hat mich von Anfang an unterstützt, als ich mit der Arbeit beginnen wollte; sie gehörte auch zu den ersten Müttern, die Mitglied von Bangr-Nooma wurden.
R. Bouédibéla-Barro : Madame Ouedraogo, ich danke Ihnen für das Interview.

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Burkina Faso, Afrika. Karte: E. S. Schnürer. Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main




Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008