BUSH FALLER

KamerunerInnen zwischen Fremde und Heimat

von Michaela Pelican

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Filmplakat Paris à tout prix, Spielfilm von Josephine Ndango. Yaoundé, 2007. Foto: M. Pelican

Internationale Migration ist ein brisantes Thema in Kamerun, das sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich erwogen und diskutiert wird. Die seit 1980 anhaltende wirtschaftliche Depression, die Enttäuschung über die fehlgeschlagene Demokratisierung, die tägliche Konfrontation mit Korruption und Klientelismus und das Fehlen von Zukunftsperspektiven haben dazu geführt, dass viele KamerunerInnen sich von ihrem Land abwenden und eine Zukunft andernorts suchen. Hoffnung auf wirtschaftliche und intellektuelle Aufstiegschancen richtet sich vor allem auf den Westen, das heißt auf Europa und die USA. In den letzten Jahren haben jedoch auch alternative Destinationen an Attraktivität gewonnen, so zum Beispiel das südliche Afrika sowie Ziele im Nahen und Fernen Osten.

Paradigmatisch für die Vorstellung eines besseren Lebens andernorts ist das Konzept des bush faller (Pidgin-Englisch, Umgangssprache im anglophonen Teil Kameruns). Ein bush faller ist „der/diejenige, der/die es geschafft hat“, der/die Kamerun verlassen hat und im Westen ein angenehmes Leben führt. Die Etymologie des Begriffs zeigt, dass falling bush in erster Linie bedeutet, in den Busch zu gehen, um zu jagen, sammeln oder ernten, und das bedeutet man kommt nie mit leeren Händen aus dem Busch zurück. Dadurch gewinnt der Busch eine doppelte Bedeutung: zum einen wird er assoziiert mit Rückständigkeit und Wildnis, zum anderen mit Orten der Bereicherung – in diesem Sinne sind auch Europa und die USA bush . Während bush faller ein Begriff ist, der sich in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren etabliert hat, gab es auch Vorläuferkonzepte, so zum Beispiel die been to’s , damit waren Elite-Mitglieder der nachkolonialen Periode gemeint, die über Missionen oder private Beziehungen ein Studium in Europa absolvieren konnten. Dieser Begriff wird heute kaum mehr verwendet. Die weitgehende Fixierung auf internationale Migration als Weg zu einem besseren Leben mit effektiven Zukunftschancen kam aus vielen Gesprächen mit KamerunerInnen zum Ausdruck: „Letztlich wollen alle weg – sei es auf legalem oder illegalem Weg.“ „Wer noch hier ist, hat es nur noch nicht geschafft.“

Viele westliche Länder haben in den letzten Jahren ihre Einreisebedingungen verschärft, um die Zahl der ImmigrantInnen zu reduzieren. In der Folge wurde es auch für KamerunerInnen zunehmend schwieriger, nach Europa oder in die USA zu migrieren. Viele ließen sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen und versuchten es auf illegalem Weg – manche erfolgreich, manche mit negativen Erfahrungen. Während in der Bevölkerung lange ein überwiegend positives Bild von Migration und den damit verbundenen wirtschaftlichen und intellektuellen Aufstiegschancen herrschte, treten nun zunehmend auch ambivalente und kritische Stimmen hervor, insbesondere mit Blick auf illegale Migration, die ihre Botschaft vor allem über die Medien verbreiten. So lief im Sommer 2007 ein neuer kamerunischer Spielfilm mit dem Titel Paris à tout prix in den Kinos an, in dem die Leidensgeschichte einer jungen Frau erzählt wird, die als Prostituierte in Europa endete. Weiterhin kam ein Buch mit dem Titel From dust to snow: Bush faller auf den Markt, in welchem MigrantInnen (vorwiegend StudentInnen) von ihren positiven und negativen Erfahrungen im westlichen Ausland berichten. Inwieweit diese neuen, kritischen Perspektiven die lokalen Wahrnehmungen von internationaler Migration langfristig beeinflussen, ist eine offene Forschungsfrage.

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Für muslimische KamerunerInnen ist kilichi (hauchdünnes, getrocknetes, gewürztes Rindfleisch) eine heimatliche Delikatesse. Yaoundé, 2007 Foto: M. Pelican

Migrationspläne von KamerunerInnen sind keineswegs auf Destinationen im Westen beschränkt, wenngleich für viele Europa und die USA weiterhin als Traumziele gelten. So sind zum Beispiel die Nachbarländer Gabon und Nigeria seit längerem etablierte Destinationen. In den letzten Jahren haben auch andere afrikanische Länder sowie Ziele in Dubai oder China an Attraktivität gewonnen.

Zu den bevorzugten Migrationszielen innerhalb Afrikas gehören außer Gabon und Ghana Südafrika, Nigeria, Äquatorial Guinea und die Demokratische Republik Kongo. Für viele MigrantInnen ist der ausschlaggebende Punkt in der Wahl ihrer Destination ihre Finanzlage. Wer Geld und Möglichkeiten hat in die USA oder nach Europa zu gelangen, wird kaum ein afrikanisches Reiseziel wählen. Südafrika gilt als eine Alternative, um von dort aus weiter in den Westen zu reisen und ist vor allem für Intellektuelle attraktiv. Das Nachbarland Gabon bietet auch denjenigen mit geringem Kapital eine Chance und offeriert Jobs für Englisch-Lehrer. Zugleich gilt es jedoch als ein Land, in dem KamerunerInnen herablassend und als Fremde behandelt werden. Innerafrikanische Destinationen sind also skaliert: Südafrika gilt als die USA in Afrika. MigrantInnen, die dort leben, werden als bush faller bezeichnet. Was nicht auf MigrantInnen in benachbarten Ländern zu trifft.

Der größte Teil der MigrantInnen sind junge Männer und Frauen, meist aus der Mittelschicht oder ärmeren Verhältnissen. Zu den Gründen für ihr Weggehen gehören Arbeitslosigkeit, Armut, Suche nach Bildungsmöglichkeiten, Business, Abenteuerlust, religiöse Reisen sowie Familienzusammenführung. Während für einen Grossteil der MigrantInnen wirtschaftliche Anreize ausschlaggebend sein mögen, muss dennoch von einem Mix verschiedener und sich verändernder Beweggründe ausgegangen werden.

Oftmals werden junge Menschen in ihrer Entscheidung, Arbeit in der Fremde zu suchen, von den Eltern und Verwandten moralisch und finanziell unterstützt. Aus Angst vor Neid und Vereitlung der Reisepläne durch Verleumdung oder Hexerei werden in der Regel nur nahe Verwandte über das Migrationsvorhaben informiert. Erst wenn das Visum ausgestellt ist, wird die bevorstehende Reise publik gemacht. Ein weiterer Grund für die Verheimlichung ist die Angst davor, dass (insbesondere enge) Verwandte das Vorhaben nicht gut heißen und verbieten könnten. Ein Bruch mit der Familie wäre inakzeptabel, und Segenswünsche der Verwandten sind unabdingbar, da sich niemand seines/ihres Erfolgs sicher sein kann.

Die meisten MigrantInnen halten regelmäßigen Kontakt mit Verwandten und FreundInnen. Oft brauchen sie jedoch einige Monate oder Jahre, bis sie sich vor Ort etabliert haben und Kontakt aufnehmen. Heute läuft die Kommunikation meist über Mobiltelefone; zu einem geringeren Maße über Briefe oder E-Mails. Mobiltelefonnetzwerke sind in Kamerun seit Ende der 1990er-Jahre in Betrieb und Mobiltelefone gehören zu den begehrten Mitbringseln aus dem Ausland. Ein großer Teil der MigrantInnen schickt regelmäßig Geld oder Güter nach Hause. Diejenigen, die in fernen Ländern leben, nutzen meist die Möglichkeit des Geldtransfers mittels der Western Union Bank . Die Verteilung des Geldes wird einer Vertrauensperson vor Ort übertragen mit detaillierten Instruktionen, welcher Betrag an welche Person ausbezahlt werden soll. MigrantInnen in benachbarten Ländern hingegen nutzen vorwiegend die Möglichkeit, Landsleuten, die nach Kamerun reisen, Geld und Güter mitzugeben. Oftmals kommen diese Sendungen jedoch nicht an, da sie auf dem Weg aufgebraucht werden. Deshalb bringen die MigrantInnen die Geschenke lieber selbst bei der nächsten Kamerunreise mit. Austauschbeziehungen zwischen MigrantInnen und ihren Verwandten sind keinesfalls einseitig. Häufig unterstützen letztere die MigrantInnen mit Gewürzen oder Esswaren, die an die Heimat erinnern sollen, oder mit spirituellen Gegenleistungen wie zum Beispiel Segenswünschen, Gebetenoder Ritualen zur Sicherung ihres Erfolgs. Diese spirituelle Unterstützung wird von vielen geschätzt und als wichtig erachtet.

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Geschäft mit chinesischen Import-Gütern. Yaoundé, 2007. Foto: M. Pelican

Mit der zunehmenden Präsenz Chinas in Afrika hat sich auch das Interesse der KamerunerInnen an China als möglichem Migrationsziel entwickelt. Chinesen in Kamerun sind größtenteils Unternehmer in Großstädten (vor allem in Yaoundé und Douala). Sie führen Läden mit chinesischen Import-Gütern oder chinesische Restaurants, von denen manche ausschließlich für chinesische Kundschaft zugänglich sind. Einige betätigen sich im landwirtschaftlichen Sektor als Gemüsebauern, Hühnerzüchter oder Fischer, ihre Produkte sind in erster Linie für lokale chinesische AbnehmerInnen bestimmt. Andere arbeiten für chinesische Baufirmen, die mit dem Bau von Strassen und öffentlichen Gebäuden (wie dem neuen Fußballstadion in Yaoundé etwa) beauftragt sind.

Im Vergleich zu den wirtschaftlichen Möglichkeiten für Chinesen in Afrika, bietet das Land umgekehrt wenig Anreize für kamerunische MigrantInnen. Dennoch gibt es einige, die diesen Schritt gewagt haben und nun vor Ort Vermittler- und Übersetzerdienste anbieten oder den Handel mit afrikanischen Kunden koordinieren. In den letzten Jahren gab es auch eine rege Nachfrage nach Englisch-LehrerInnen, so dass einige anglophone KamerunerInnen nach China migrierten. Diese Option hat sich jedoch als ambivalent erwiesen. Die LehrerInnen landen oft in ländlichen Gebieten, wo sie viel arbeiten müssen, aber schlecht bezahlt werden. Hinzu kommt ein beträchtliches Verständigungsproblem, denn nur die wenigsten haben vorher Chinesisch gelernt. Weiterhin sahen sich einige MigrantInnen mit latentem Rassismus konfrontiert. In China ist ein amerikanischer Akzent gefragt und so sehen sie sich genötigt, sich als Afro-AmerikanerInnen auszugeben. Dennoch besteht die Hoffnung, dass sich von dort aus die Möglichkeit bietet, weiter in die USA zu migrieren.

Auch die lokale Sicht auf chinesisch-kamerunische Beziehungen ist ambivalent. Zum einen unterstützen Eltern und Verwandte oftmals die Entscheidung zur Migration in der Hoffnung, dass das Leben in China wirtschaftlichen Erfolg mit sich bringt. Zum anderen provoziert die starke Präsenz von Chinesen und chinesischen Gütern in Afrika häufig Kritik, insbesondere von kamerunischen Geschäftsleuten, die ihre Interessen bedroht sehen. KonsumentInnen betonen, dass chinesische Güter Vor- und Nachteile haben. Chinesen bieten eine zwar breite Palette von Gütern in allen Preisklassen an, so dass für alle etwas dabei ist. Die Qualität der Billiggüter ist aber so schlecht, dass sich viele KamerunerInnen bitter darüber beklagen. Versuche der Chinesen, in den informellen Sektor vorzudringen, haben breite Kritik und Unverständnis unter der kamerunischen Bevölkerung hervorgerufen. Viele fragten sich, weshalb diese ‚Weißen’ (Chinesen gelten ebenso wie Europäer und Amerikaner als Weiße) sich dazu herabließen, selbst gemachtes Gebäck auf der Strasse zu verkaufen? China müsse ein sehr armes Land sein, scheinbar noch ärmer als Kamerun. Dies hat auch dazu beigetragen, dass China als Migrationsziel im Vergleich zu den USA, Südafrika oder Dubai für viele KamerunerInnen an Attraktivität verloren hat.

Dieser Beitrag basiert auf dem Forschungsprojekt "Lokale Perspektiven auf transnationale Beziehungen kamerunischer MigrantInnen", das im Sommer 2007 in Zusammenarbeit mit Ethnologen und Studierenden der Universität Yaoundé (Kamerun) durchgeführt und vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützt wurde.

Weiterführende Literatur

Dobler, Gregor (2007a): Solidarity, Xenophobia and the Regulation of Chinese Businesses in Oshikango, Namibia. In: Chris Alden, Daniel Large, Ricardo Soares de Oliveira (eds.): China Returns to Africa. London: Hurst
Fleischer, Annett (2006): Family, obligations, and migration: the role of kinship in Cameroon. MPIDR Working Paper WP 2006-047
Ngwa, Lydia and Wilfred (eds.) (2006): From dust to snow: Bush-faller. Princeton: Horeb Communications
Nyamnjoh, Francis (2005): Images of Nyongo amongst Bamenda Grassfielders in Whiteman Kontri. Citizenship Studies 9(3): S. 241-269
Stoller, Paul (1999) Jaguar. A story of Africans in America. Chicago & London: University of Chicago Press

Zur Autorin

Dr. des. Michaela Pelican ist wissenschaftliche Assistentin und Projektmitarbeiterin am Ethnologischen Seminar der Universität Zürich. Sie kennt Kamerun seit 1991 und hat sich mit pastoraler Ökonomie und interethnischen Beziehungen im Kameruner Grasland beschäftigt. In ihrer neuen Forschung untersucht sie transnationale Beziehungen muslimischer kamerunischer MigrantInnen, mit Fokus auf Gabon, Südafrika und Dubai.



Kosack Kamerun1
Kamerun. Karte: E. S. Schnürer. Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main
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Afrika. Karte: E. S. Schnürer. Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008