DIE JÜDISCHE ANLAGE IN ISFAHAN, IRAN

Ein Feldforschungsbericht

Von Mehdy Naficy

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Jüdischer Friedhof in Pir Bakran (in der Nähe von Isfahan). Foto: M. und N. Naficy

Juden in Iran
Viele Menschen in Deutschland betrachten die Beziehungen zwischen Juden und Muslimen als feindselig und gespannt. Die Aussage des iranischen Präsidenten zur Verleugnung des Holocaust und zur Negierung der Existenz Israels verstärkte diese Einstellung. Aber wenn man diese Beziehungen genauer betrachtet, sieht man, dass der heute existierende Hass und die Ablehnung ihren Grund in der aktuellen politischen Lage finden und mit der Gründung des Staates Israel und den Auseinandersetzungen der Israelis mit den Palästinensern zu tun haben. Wenn man in der Geschichte zurückblickt, so waren die Beziehungen zwischen Juden und Muslimen weniger spannungsreich als die zwischen Juden und Christen. Vor allem das Verhältnis der Juden zu den Iranern (Persern) war immer gut, und historische Fakten belegen diese Aussage.

Wie in verschiedenen Teilen des Alten Testaments zu lesen ist, war es der persische König Kyrus, der die Juden aus ihrer zweiten babylonischen Gefangenschaft von Nebukadnezar am 29. Oktober 539 vor Christus befreit hat: „Im ersten Jahr des Kyrus, des Königs von Persien, erweckte der HERR - damit erfüllt würde das Wort des HERRN, das durch den Mund Jeremias gesprochen war - den Geist des Kyrus, des Königs von Persien, dass er in seinem ganzen Königreich mündlich und auch schriftlich verkünden ließ: So spricht Kyrus, der König von Persien: Der HERR, der Gott des Himmels, hat mir alle Königreiche der Erde gegeben, und er hat mir befohlen, ihm ein Haus zu Jerusalem in Juda zu bauen. Wer nun unter euch von seinem Volk ist, mit dem sei sein Gott, und er ziehe hinauf nach Jerusalem in Juda und baue das Haus des HERRN, des Gottes Israels; das ist der Gott, der zu Jerusalem ist. Und wo auch immer einer übrig geblieben ist, dem sollen die Leute des Orts, an dem er als Fremdling gelebt hat, helfen mit Silber und Gold, Gut und Vieh außer dem, was sie aus freiem Willen für das Haus Gottes zu Jerusalem geben“ (Luther-Bibel 1984, Esra 1,2).

Im Alten Testament ist der Name von Kyrus in 19 Versen erwähnt, und er wurde als „Retter der Juden aus babylonischer Gefangenschaft und Erbauer des Tempels in Jerusalem“ betrachtet. Die vier in diesem Zusammenhang wichtigen Schriften im Alten Testament, das heißt Esra, Esther, Mordechai und Nehemia, beziehen sich auf die Zeit der Achämeniden (550-330 vor Christus) in Persien. In diesem Zeitraum sind Juden nach Persien gekommen und haben sich in wichtigen Städten wie Isfahan, Hamedan und Schiraz niedergelassen. Heute leben trotz der Islamisierung der Gesellschaft und der Staatsreligion Islam immer noch 25.000 Juden in Iran, ein Großteil davon in Teheran. Trotz einiger Beschränkungen haben die Juden in Iran ihre eigenen religiösen und sozialen Einrichtungen.

Jüdische Siedlungen in Isfahan
Die jüngste Entdeckung eines alten Grabsteins auf dem jüdischen Friedhof in der Nähe von Isfahan ist ein guter Beweis für die erste jüdische Siedlung in Isfahan. Dieser Grabstein wurde auf dem Friedhof „Ester Khatun“ gefunden und stammt aus dem Jahr 500 vor Christus Isfahan selbst besteht aus zwei historischen Siedlungen, die zwei Kilometer voneinander entfernt lagen: Die eine hieß Jay und soll angeblich von Alexander dem Großen erbaut worden sein, und die andere wurde Jahudiyeh (jüdischer Ort) genannt, da die erste jüdische Bevölkerung an diesem Ort siedelte. Beide Orte zusammen bilden heute ein integriertes Stadtviertel von Isfahan. In den Entstehungsmythen des „Judenviertels“ von Isfahan berichten arabische Geschichtsschreiber, dass als die Juden aus Jerusalem vertrieben wurden, sie eine kleine Menge Erde und Wasser mit sich genommen hätten. Auf der Suche nach einem ihrer Heimat ähnlichen Platz, hätten sie Erde und Wasser jedes Ortes auf ihrer Wanderung gewogen und mit der aus Jerusalem mitgebrachten Probe verglichen. In Isfahan endlich fanden sie einen ihrer Heimat ähnlichen Ort, da Erde und Wasser mit der der Heimat vergleichbar war. So haben sie sich in Isfahan niedergelassen und die erste jüdische Siedlung in Persien errichtet. Das jüdische Viertel, heute Jubareh genannt, ist jetzt ein Teil der Altstadt und wird immer noch von Juden bewohnt. Obwohl viele der Juden Isfahans 1979 nach der islamischen Revolution den Iran verlassen haben, sieht man noch heute Synagogen und andere jüdische Einrichtungen wie eine Mikwe (jüdisches Ritualbad) in diesem Stadtviertel. Neue Immigranten, vor allem aus Afghanistan kommend, haben heute neben armen jüdischen Familien, die nicht auswandern konnten, hier ein Zuhause gefunden.

Jüdische Anlage in dem Dorf „Pir Bakran“
Die Juden in Isfahan hatten zwei Friedhöfe, die beide außerhalb der Stadt liegen. Im Sommer 2006 hatte ich die Möglichkeit, in einem der beiden, in dem, der sich in dem heutigen Dorf Pir Bakran - 30 Kilometer südwestlich von Isfahan - befindet, Feldforschung zu betreiben. Dieses Dorf liegt am Fuße eines kleinen Berges und ist von Reisfeldern umsäumt. Hier befindet sich der jüdische Friedhof namens Ester Khatun (Frau Ester). Die Juden selbst bezeichnen diese Anlage als das „Mausoleum von Sara bet Ascher“. Sie besteht aus drei Einrichtungen: dem Mausoleum, der Synagoge und dem Friedhof. Bis zur Errichtung der Islamischen Republik im Jahr 1979 siedelten hier jüdische Familien. Die heutige muslimische Dorfstruktur erinnert immer noch an die Bevölkerung von vor 1979, die mehrheitlich aus jüdischen Bauern und Eigentümern bestand.

Nach der Vorstellung der ansässigen jüdischen Bevölkerung war Ascher, die Tochter von Rabbi Ascher, auf wundersame Weise durch eine Höhle aus Jerusalem in die Gegend von Isfahan gekommen. Sie war auf der Suche nach einem Schaf in eine Höhle gegangen, hatte sich verirrt und war durch ein Wunder in der Nähe von Isfahan aus der Höhle herausgekommen. Einer anderen Legende zufolge war Sara bet Ascher eine Enkelin König Davids. Es wird gesagt, dass während der Zeit, als Davids Sohn Joseph verschwunden war, Sara ihren Großvater David betreute und ihn tröstete, dass sein Sohn bald zurückkäme. Nachdem Joseph gefunden war, betete David zu Gott und bat ihn, dass Sara niemals den bitteren Geschmack des Todes erleben möge. So geschah ein Wunder und Sara genoss ewiges Leben. Deshalb werden diese Anlage und ihre Umgebung als heilig betrachtet, und viele Pilger glauben an mehrere Wunder, die hier stattgefunden haben sollen.

Die Höhle, durch die Ascher gekommen sein soll, liegt in der Nähe dieser Anlage an einem Berg. Die Gläubigen, die diesen heiligen Ort besuchen, pflegen zuerst zur Höhle gehen, um in den 25 Meter tiefen Brunnen der Höhle hineinzuschauen. Nach ihrer Vorstellung sieht man, wenn man genau ins Wasser in der Tiefe des Brunnens blickt, die Stadt Jerusalem. Der Weg zur Höhle ist schmal, und es ist schwierig, dorthin zu gelangen. Die jüdische Bevölkerung glaubt, dass auch der schwerste und größte Mann, sofern er keine Sünde begangen hat, leicht durch den schmalen Weg zur Höhle kommen kann, dass es aber einem dünnen sündigen Mann nicht gelingen wird, den Weg zu gehen. Heute sieht man selbst schwangere Frauen auf dem Weg zur Höhle.

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Grundriss der Pilgerstätte

Am Fuße des Berges liegt die Jüdische Anlage : Pilgerstätte, Synagoge und Friedhof. Jüdische Familien aus allen Himmelsrichtungen kommen nach „Pir Bakran“, um hier ihre Heiligen zu ehren. Es werden dort Hochzeiten, Trauerfeiern und andere Rituale abgehalten. Die Pilgerstätte besteht aus drei Gebäuden, die miteinander verbunden sind. Vor dem Haupteingang der Gebäude liegt ein schmaler Raum, der sogenannte „Andachtsraum“, wo Pilger Kerzen anzünden und beten, dass ihre Wünsche in Erfüllung gehen. Dieser Raum wurde in späteren Zeiten errichtet, um den Rauch der Kerzen in den historischen Gebäudeteilen zu vermeiden.

Das Hauptgebäude besteht aus drei kleinen Räumen. Hinter dem Eingangsportal befindet man sich in einem kleinen achteckigen Raum mit zwei weiteren Türen, die in andere Räume führen. Durch eine der beiden Türen gelangt man in den „Meditationsraum“. Es handelt sich um eine kleine Tür aus schwarzem Stein mit kabbalistischem Muster und hebräischen Schriftzeichen. Ein schmaler Gang verbindet diesen Raum mit dem Andachtsraum. Es gibt viele Sagen und Legenden über diese schwarze Steintür, die sich alle um die Wunder dieses Heiligtums ranken.

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Gebetsraum. Ein geschlossener Raum ursprünglich ohne Fenster. Es ist die Tür zum „Meditationsraum“ zu sehen. Foto: M. und N. Naficy

Der größere viereckige Raum ist der Gebetsraum. Ursprünglich hatte dieser Raum keine Fenster, die einzige Beleuchtung waren die angezündeten Kerzen. Aber vor nicht allzu langer Zeit wurden einige Dachfenster eingebaut, um den Raum für Besucher attraktiver zu machen. In den Wänden befinden sich Nischen, in deren Gestein hebräische Schriftzüge eingemeißelt sind. Die Schrift ist wegen des schwarzen Kerzenrauchs nicht mehr lesbar. An den beiden Seitenwänden des Gebetsraums befinden sich zwei kleine Türen. Eine führt zum Grab eines Heiligen und die andere, gegenüberliegende Tür zum „Meditationsraum“. Die Tür zu diesem Raum wurde mit Absicht sehr klein gehalten (sie ist vielleicht 50 Zentimeter hoch), damit die Pilger sich bücken müssen und nur mit Mühe durchgehen können. Der Meditationsraum ist klein, aber hoch und fensterlos. Er ist durch einen schmalen 50 Zentimeter hohen Gang mit dem achteckigen Raum verbunden. In diesem Raum verbringen Pilger einige Tage und meditieren. Er wird „Cheleh Khun“ genannt (wörtlich: 40 Tage Blut).


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Die Kanzel befindet sich in der Mitte der Synagoge, hier liest und spricht der Rabbi. Foto: M. und N. Naficy

In der Vorstellung der Juden kommen die Pilger Anfang des Monats Ellui hierher, um hier 40 Tage lang zu beten und zu meditieren, das heißt bis zum Tag Jom Kippur . Diese Anlage hat kleine Räume, die für den Aufenthalt der Pilger gedacht sind, und kann etwa 100 Pilger aufnehmen. Die Unterkunftsmöglichkeiten befinden sich im zweiten Stock des Gebäudes.

Die Synagoge (die iranischen Juden nennen sie Knesset , hebräisch: Versammlungsort) liegt auf der linke Seite der Pilgerstätte und besteht aus zwei einfachen Räumen, wovon der eine größere in seiner Mitte die Kanzel beherbergt. Auf der Wand steht ein Vers aus dem Alten Testament auf Hebräisch und Persisch geschrieben: „Behüte deine Zunge vor Bösem und deine Lippen, dass sie nicht Trug reden“ (Psalm 43,14).

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Ein Bibelvers auf Hebräisch mit persischer Übersetzung (in der Synagoge): „Behüte deine Zunge vor Bösem und deine Lippen, dass sie nicht Trug reden.“ (Psalm 34,14). Foto: M. und N. Naficy

Vor dem Toreingang zum Friedhof befindet sich ein Waschraum, in dem rituelle Totenwaschungen und Beerdigungszeremonien stattfinden, und das Begräbnis auf dem Friedhof vorbereitet wird.

Ein breiteres zweiflügliges Tor verbindet Hof und Garten der Anlage mit dem Friedhof. Dieser Friedhof ist noch in Betrieb, und jüdische Familien aus Isfahan oder anderen nahegelegenen Orten beerdigen hier ihre Toten. Es ist einer der ältesten jüdischen Friedhöfe Irans. Im Jahr 1938 wurde ein Grabstein entdeckt, der auf ungefähr das Jahr 500 vor Christus datiert ist. Nach jüdischem Glauben sollte ein Friedhof ein Ort der Ruhe für die Verstorbenen sein, und die Menschen sollten jegliche Aktivitäten, die diese Ruhe stören, vermeiden. Die jüdischen Friedhöfe sind im Gegensatz zu den christlichen ungepflegt und von Gras bewachsen. Der jüdische Friedhof in "Pir Bakran" bildet auch hier keine Ausnahme. Auf seinem Areal, das von einer zwei Meter hohen Mauer umzogen ist, liegen mehrere hundert Grabsteine. Im Gegensatz zu den jüdischen Friedhöfen in Deutschland, wo die Grabsteine stehen, liegen sie in Pir Bakran auf dem Boden. Ein weiteres Kennzeichen für den jüdischen Friedhof in Iran sind Mausoleen, während auf deutschen jüdischen Friedhöfen Familiengräber oder –gruften zu finden sind.

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Interessant ist auch der Umstand, dass auf einigen Grabsteinen die Verstorbenen mit dem Ehrentitel Hadji oder Hadjiydh bezeichnet werden. Normalerweise sind nur Muslime, die eine Pilgerfahrt nach Mekka unternommen haben, berechtigt, den Ehrentitel Hadji (wenn der Pilger ein Mann ist) und Hadjiydh (wenn es sich um eine Pilgerin handelt) zu tragen. Unter den iranischen Juden ist ein Gemeindemitglied dann berechtigt, den Ehrentitel Hadji zu tragen, wenn er eine Pilgerreise nach Jerusalem unternommen hat! Sind der Bau von Mausoleen und das Tragen des Ehrentitels Hadji nicht ein Zeichen eines gewissen Synkretismus der Kulturen, wo eine Kultur bestimmte Kulturelemente einer anderen Kultur übernimmt und in ihre eigenen Vorstellungen integriert?

Weiterführende Literatur

Human Sarshar (1384/2005): Farzandan Ester (The Children of Ester). Aus dem Englischen ins Persische übersetzt von Mehrnaz Nassriyeh. Teheran: Karang Verlag
Ibn Hoghal (1345): Sorat al Arz. Aus dem Arabischen ins Persische übersetzt von Jafar Shoar. Teheran

Zum Autor

Dr. Mehdy Naficy, Anthropologe, B.A. und M.A. an der University of California in Los Angeles und Oklahoma University in Norman, USA, Promotion an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Seit 1992 Leiter der englischen Bibliothek im Deutsch-Amerikanishcen Institut in Heidelberg. Veröffentlichungen: Basar und Klerus in der Iranischen Revolution (Deutsches Orient Institut, Hamburg), Impulse des Lebens: Biographie eines Arztes (Persisch)

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Iran. Karte: E. S. Schnürer. Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main




Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008