DORNEN IM EHEBETT

Eheprobleme im modernen Iran

Von Erika Friedl

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Ein Mullah beschließt den formellen Teil der Hochzeit. Die Braut ist heute fast überall in teurem Weiß gekleidet. Foto: R. Löffler

In der Islamischen Republik Iran steigt das Heiratsalter. Es gibt mehr und mehr unverheiratete junge Menschen, die im Elternhaus, in Studentenheimen Wohngemeinschaften und - in den Städten - auch ganz allein leben. Aber auch die Scheidungszahlen steigen an. Junge Leute lassen sich nicht mehr einfach von den Eltern verheiraten, sie verlangen zumindest Mitspracherecht in der Wahl des Ehepartners. Überall im Iran wird über diese neuen sozialen Trends diskutiert. Die Alten machen sich Sorgen, weil sie darin eine fundamentale Änderung der sozialen Institution “Heirat” und „Ehe“ sehen. Den Jungen machen die wirtschaftlichen Bedingungen Probleme.

Arbeitslosigkeit, Inflation und stetig steigende Lebensansprüche machen es unbegüterten jungen Männern fast unmöglich, eine Familie zu gründen. Früher brachte ein junger Mann seine Frau in die väterliche Großfamilie, in der gemeinsam gewirtschaftet wurde. In der neuen Kleinfamilie muss der Mann alleine für das Dach überm Kopf und den gedeckten Tisch sorgen. Wenn er das nicht kann, findet er keine Frau und bleibt ein “Junge”, ein sozial nicht ganz vollwertiger Erwachsener. Schon Hochzeiten sind so teuer geworden, dass ein junger Mann oft jahrelang sparen muss, bis er alles Nötige für die Feier angeschafft hat. So plante ein Ingenieur in einer Kleinstadt typischerweise das doppelte Jahresgehalt für seine Hochzeit auszugeben. Er musste den Hochzeitstermin aber dann zweimal verschieben, weil die Preise für Brautkleid, Schmuck, Video-Aufnahmen und Festlichkeiten schneller anstiegen als er Geld beschaffen konnte. Die Schuldenlast, die er mit der Hochzeit auf sich nahm, wird ihn viele Jahre drücken.

Auch im Iran gilt mit den Nachbarn mitzuhalten, und das kann bedeuten, die Hochzeit entweder prunkvoll zu feiern oder gar nicht. Vorlagen für die Gestaltung der Feierlichkeiten liefern die Videos der Traumhochzeiten kalifornischer Verwandte und amerikanische und indische Filme. Ein einziges Fest aus Anlass der Eheschließung genügt heute jedoch schon nicht mehr. Auch die Verlobung, die es früher gar nicht gab, wird jetzt gefeiert, und der Heiratsvertrag, der traditionell still oder während der Hochzeitsfeier geschrieben wurde, wird immer öfter von einer teuren Party umrahmt. Der traditionelle Brautpreis, mit dem früher die Brautfamilie Küche, Bett und Wohnraum des jungen Paares ausstattete, geht heute meist in Form einer “Wunschliste” an den Bräutigam. “Sie wählt aus und ich zahle”, drückte das ein frisch Verlobter schmerzvoll aus. Dabei darf er nicht zu sparsam sein, will er nicht in der Familie seiner Frau das Gesicht verlieren. Besonders in der Mittelklasse sind die Ansprüche gewaltig gestiegen. “Wir schauen zuerst auf das Auto, und wenn das gut ist, dann betrachten wir den Fahrer”, sagte eine Studentin. Der Drang zum materiellen Wohlstand umfasst auch alle anderen Güter, vom Fernsehapparat und Video-Recorder bis zu Goldschmuck und Möbeln. Keine hübsche junge Frau aus guter Familie will sich “billig verkaufen”, wie die Mädchen sagen.

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Verlobungen werden heute festlich gefeiert. Eine Schwester des Bräutigams in dieser traditionellen Familie hālt den Koran über den Kopf ihres Bruders. Foto: E. Friedl

Aber die iranische Wirtschaft und überdimensionale Ansprüche sind nicht die einzigen Krisenfaktoren. Auch das veränderte Verhältnis der Geschlechter zueinander beeinflusst die Beziehungen zwischen den Ehepartnern. In den oberen Gesellschaftsschichten waren Ehemann und Ehefrau schon lange fast gleichgestellt. Gebildete reiche Frauen reisten, ließen die Kinder in Internaten aufwachsen, den Haushalt von Dienstpersonal besorgen, und sie verwalteten ihr Geld selbst. Als das Modernisierungstempo nach 1970 anstieg und mehr Frauen Zugang zu Schulen und Jobs hatten, änderte sich überall die Einstellung zu Kindern, Ehemann und Haushalt.

Eine Folge dieser Entwicklung ist die neue soziale Kategorie der weiblichen “Teenager”, die lange unverheiratet daheim im gewohnten Kreis leben, statt wie früher schon in jungen Jahren Ehemann und Schwiegereltern dienen. Besonders ältere ländliche Frauen erinnern sich – allerdings ohne Begeisterung - an die Zeiten, wo sie, selbst noch fast Kinder, im Haus des Ehemannes hart arbeiteten und mageres Essen, unerwünschten Sex und Schwangerschaften erdulden mussten. Doch die neue Kategorie schließt noch keine sinnvollen, kulturell akzeptablen Lebensweisen für die jungen Mädchen ein.

In den Großstädten drohen viele junge Menschen in der Party- und Drogen-Szene unterzugehen; in Kleinstädten, Dörfern und in den unteren Schichten sind junge Mädchen völlig auf die Großzügigkeit der Väter und Brüder angewiesen. Viele wagen sich nicht ohne Begleitung und ohne triftigen Grund aus dem Haus, um nicht als “leichte Mädchen” diffamiert zu werden. Daheim ist wenig zu tun, wenn Schwestern und Mutter mitarbeiten. Die Schule lässt viel Freizeit, und der Tag wird gelangweilt vorm Fernsehapparat zugebracht. “Sie sitzt daheim und wartet auf einen Freier”, sagen die Nachbarn. Wenn dieser Freier zu früh kommt, laufen die Mädchen Gefahr, die Schule aufgeben zu müssen. Zwar beteuern Bräutigam und Schwiegereltern, dass sie die Braut weiter lernen lassen, aber bald nach der Hochzeit werden hundert Gründe dafür vorgebracht, dass die junge Ehefrau den Haushalt übernehmen soll. Es gibt so viele Geschichten über das Motiv der Braut, die nicht die Schule abschließen durfte, dass „Studieren“ und „Heiraten“ bei Vielen schlechthin als unvereinbare Gegensätze gelten.

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Das formelle Wohnzimmer, wie es sich junge Ehepaare heute wünschen. Der Eigentümer ist arbeitsloser Ingenieur, seine junge Frau Lehrerin. Foto: E. Friedl

Schönen Mädchen wird besonders zugesetzt, sagt man. Eine solche 16-jährige Dorfschönheit sagte: “Die Jungen gehen auf der Strasse spazieren und glotzen. Dann telefonieren sie und schicken mir Briefchen durch meinen kleinen Bruder. Ich geh schon gar nicht mehr aus dem Haus aus Furcht, dass so ein drecksäugiger Kerl mich sieht und seine Mutter auf Brautschau herschickt. Ich will die Schule fertig machen!” Zwar hat ein Mädchen das Recht, Freier abzulehnen, aber wenn sie zu viele wegschickt, gilt sie als übertrieben wählerisch, die jungen Männer ziehen sich dann zurück und am Ende wird sie eine alte Jungfer. Eine dreißigjährige unverheiratete Lehrerin in einer kleinen Stadt, die lange jeden Mann, der um ihre Hand anhielt, abgewiesen hatte, entschied sich letztendlich für einen Mann, der zwar wirtschaftlich gut gestellt, aber “nur” ein Handwerker war. Ihre Familie stellte sich vehement gegen diese Verbindung, und es dauerte zwei Jahre, ehe sie alle davon überzeugt hatte, dass er ein guter Mann und ihre letzte Chance sei.

Dieses Beispiel zeigt auch, dass junge Frauen, die ihr eigenes Geld verdienen und genug Selbstvertrauen haben, um sich über die begrenzten Vorstellungen ihrer Umgebung hinwegsetzen zu können, ihre Heiratsangelegenheiten auch schon mal selbst in die Hand nehmen. Etliche finden einen Ehemann durch eine Freundin oder Arbeitskollegin, die eine Verbindung zu einem Bruder oder Cousin herstellt.

Einen “guten” Mann zu bekommen, wird aber immer schwieriger, wird gesagt. Eine große Sorge ist es, rechtzeitig zu erfahren, ob ein Freier drogenabhängig ist. “Man muss ein Detektiv sein, um das herauszubekommen”, sagte eine enttäuschte junge Frau, denn die Familie des Kranken hofft, dass eine gute Frau ihn von den Drogen abbringen kann, und verschweigt deshalb seinen Zustand. Als junge Frau selbst einen Antrag an einen Mann zu stellen, gilt nach wie vor als ungehörig. In größeren Städten ist der Austausch von Telefonnummern und E-Mail-Adressen bei Zufallsbegegnungen im Taxi oder im Restaurant mit anschließenden Handy-Interviews und Mails, zu einem beliebten Sport geworden. Ein großer Vorteil des Telefon-Flirts ist, dass der Kontakt unverbindlich bleibt und jederzeit abgebrochen werden kann. Eine junge Ärztin sagte: “Eine Patientin empfahl mir so hartnäckig ihren Sohn, einen Arzt, bis ich schließlich in ein Telefongespräch einwilligte. Der Mann fragte mich: ‘Frau Doktor, wie gut können Sie kochen?’ Dazu sagte ich nur: ‘Was? Suchen Sie vielleicht einen Koch?’ und hängte auf. Das hat mir viel Zeit erspart.”

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Der beliebte traditionelle Rundtanz der Frauen in den Stammesgebieten ist wieder erlaubt, aber nur innerhalb des Gehöftes. Die Tanzenden sind Verwandte des jungen Paares. Foto: R. Löffler

Die Existenz der wachsenden Anzahl unverheirateter junger Frauen stellt eine Herausforderung an die traditionellen Vorstellungen über Frauen und Männer dar. Eine dieser Annahmen ist, dass unkontrollierte weibliche Sexualität eine Gefahr für die Gemeinschaft sei. Deshalb habe Gott die frühzeitige Heirat für Mädchen vorgesehen. Weiter wird angenommen, dass die analytisch/kritische Intelligenz von Frauen schwächer sei als bei Männern, und deshalb die Obhut des Ehemannes Frauen Schutz gewähre. Die dritte Annahme ist, dass sich Frauen natürlicherweise (von Gott so gewollt) nach Kindern und Ehemann sehnen würden.

Auch wenn diese Vorstellungen theologisch verankert sind, werden sie von jungen Frauen immer häufiger in Frage gestellt. So sagten mir Studentinnen in einem Studentenheim, ihre Studienerfolge zeigten doch ganz deutlich, dass der Unterschied zu Männern unwesentlich sei, und dass kluge und tüchtige Frauen nicht unbedingt einen Mann bräuchten, um gut leben zu können. Außerdem könnten Frauen die sexuellen Triebe viel besser kontrollieren als Männer, denn - wie man ja wisse – sind es die Männer, die sich bei jeder Gelegenheit an Frauen heran machen, und nicht umgekehrt. Nicht die Moral der Frauen, sondern die der Männer sei schwach. Auch junge Frauen machen sich Gedanken über Männer und sprechen über das gute Aussehen des Einen und die schönen Haare des Anderen, aber sie denken weniger über Sex-Appeal nach als vielmehr über die Chancen, einen Mann zu bekommen, der nicht drogenabhängig ist, ihnen Freiheiten erlaubt, im Haushalt hilft und ihnen ein Freund ist. Ein junger Mann sagte bitter: “Die wollen einfach alles haben.” Von Ausnahmen abgesehen haben die Männer den kognitiven Sprung zur “Gefährten-Ehe” noch nicht gemacht, und das führt oft zu bitteren Enttäuschungen auf beiden Seiten.

Auch der angeblich angeborene Wunsch nach vielen Kindern stellt sich als relativ heraus. Im Zuge der Modernisierung der Gesellschaft änderte sich im Iran auch die Einstellung zur Kinderbetreuung und Bedürfnissen von Kindern. Kinder werden meist nicht mehr als Arbeitskräfte in der Familie angesehen, sondern als Mitglieder mit Ansprüchen. Sie müssen gut ernährt und gekleidet werden, ihnen muss alles Mögliche geboten werden, damit sie die Fähigkeiten erlangen, sich in dieser schwierigen Welt durchzusetzen. So wird es in der städtischen aber auch in der dörflichen Mittelklasse immer umständlicher und teurer Kinder “gut” zu betreuen. Angeblich gibt es heutzutage auch viele junge Frauen, die gar keine Kinder wollen. Eine 34-jährige, erfolgreiche Chirurgin willigte in eine Heirat nur unter der Bedingung ein, kinderlos bleiben zu dürfen; sie wollte ihre Arbeit nicht unterbrechen.

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Hochzeiten werden von Anfang bis Ende gefilmt. Neben einem professionellen Fotografen filmen meist junge Mädchen ihre Freunde und Verwandten. Foto: R. Löffler.

Von einer jungen Frau wird erwartet, dass sie bald nach der Hochzeit schwanger wird, auch wenn moderne Schwangerschaftsverhütung im Iran leicht möglich ist. Das hält angeblich viele Frauen davon ab, früh zu heiraten. Es gibt wenig Hilfe für junge Mütter, zu wenige Kindertagesstätten, zu wenig Kindermädchen, und bei der Großmutter wohnt man nicht mehr. Kinder und ein guter Job lassen sich daher schlecht vereinen, und außerdem gelten kleine Familien als chic. Mitunter beschuldigen ältere Leute gebildete Frauen, aus Selbstsucht keine Kinder zu wollen. Dass Iran die niedrigste Geburtenrate in der Dritten Welt hat, wird oft mit dieser Einstellung begründet.

Für die meisten Frauen bedeutet Heirat aber noch immer, Kinder und Haushalt zu versorgen, den Mann zu bedienen, zeitraubende Mahlzeiten zu servieren, angewiesen zu sein auf den guten Willen und die Einsicht des Mannes was den Lebensstil betrifft, immer in Gefahr zu sein, eine Zweitfrau ins Haus gesetzt zu bekommen, geschieden zu werden und die Kinder zu verlieren. Wenn Schwiegereltern in der Nähe sind, verdoppeln sich gar Pflichten und Sorgen. Unter solchen Umständen wird Heirat zur Last, sogar zur Bedrohung. In Zeitungen, Filmen, und immer häufiger auch bei Gericht und in der eigenen Verwandtschaft tauchen Geschichten auf über häusliche Gewalt und lähmende Kontrolle. Die Geschichten handeln von Versprechen im Haushalt zu helfen, die ehelichen Beziehungen freundschaftlich zu gestalten, monogam zu leben, der Ehefrau die Erlaubnis zu arbeiten, zu reisen, zu studieren geben und davon wie diese Versprechungen gebrochen wurden. “Heirat ist gut und notwendig”, sagte eine Frau, die mit zehn Jahren verheiratet worden war, “aber das Eheleben hat viele Dornen. Wir wussten damals nichts darüber und hatten keine Wahl. Aber die Mädchen heute wissen das alles und haben die Wahl.”

Zwar gibt es in Iran kein offizielles Forum, in dem über Grundsätze in Bezug auf Heirat und Geschlechterbeziehungen diskutiert wird, doch im Alltag wird der Umgang unter den Geschlechtern von Männern und Frauen genau und kritisch betrachtet. Junge Frauen verlangen “Freiheit” (sie meinen Autonomie damit), aber diese finden sie nur schwer in der herkömmlichen Ehe. Sie und auch die jungen Männer kritisieren aus der Sicht ihres Selbstverständnisses, ihrer Erfahrungen und Wünsche die Institution Ehe und ihren Platz in der Gesellschaft. Und alle sagen, der Islam gebe ihnen Recht, denn Gewalt und Ungleichheit seien nicht gottgewollt.

Zur Autorin

Dr. Erika Friedl ist Professorin an der Western Michigan University, USA. Friedl führt seit über 40 Jahren ethnographische Feldarbeiten im Iran durch. Über Frauen veröffentlichte sie 1993: Die Frauen von Deh Koh. Geschichten aus einem iranischen Dorf. Droemersche Verlangsanstalt.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008