KUNST VOM SEPIK

Ornament, Skulptur und Malerei im Wettstreit

Von Christian Kaufmann

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Schädelhalter. Bambus, bemalte Palmblattscheide. Mittlerer Sepik, Torembi, Sawos. Sammlung Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main

Zur Geschichte der Sepik-Sammlungen

Kaum war der Sepik-Fluss 1886 offiziell als Kaiserin Augusta-Fluss in Neuguinea für Europa entdeckt worden, begannen künstlerisch verzierte Gebrauchsgegenstände und eigentliche Kunstwerke die Aufmerksamkeit von Händlern, Sammlern und Museumsleuten aus aller Welt auf diese abgelegene Region zu lenken. Dass dieser Fluss im damals gerade erst dem Deutschen Reich zugeordneten Schutzgebiet Kaiser Wilhelms-Land lag, beförderte die Entdeckung der formen- und gestaltreichen Gegenstände als Kunst zweifellos. Das Königliche Museum für Völkerkunde in Berlin war ein, aber nicht das einzige Zentrum, in dem dies geschah. Die Museen in Dresden, Hamburg, Stuttgart, Köln, Rom, München, ja Wien und nicht zuletzt in Chicago und New York waren mitbeteiligt. Was den einen – namentlich den Feldforschern wie Karl von den Steinen aus Berlin oder Emil Stephan, dem deutschen Mariestabsarzt, aber auch Elisabeth Krämer-Bannow und Augustin Krämer - von Beginn an als eigenständige Kunst der Südsee galt , blieb für andere im Widerspruch zwischen Kopfjagdkultur und kunstsinnigem Handwerk gefangen. Schliesslich waren die meisten der frühen Einlieferer von Gegenstände in die noch jungen ethnographischen Museen Kolonialbeamte, Handelsleute oder andere koloniale Handlungsträger und die allermeisten Ethnologen an den Museen und Universitäten studierte Mediziner.

Als Erster behandelte Konrad Theodor Preuss (1897-1898) die künstlerischen Darstellungen aus dem nördlichen Kaiser Wilhelms-Land; die Studienobjekte stammten noch ausnahmslos aus den Küstenregionen in der Nähe des Sepik-Flusses. Felix von Luschan gab im ersten Bericht (1910/11) über künstlerisch gestaltete Objekte vom Sepik seiner Meinung Ausdruck, dass es unerlässlich sei, diese Kunst vor Ort zu studieren, um ihre Bedeutung zu verstehen.

Wäre Felix Speiser, Luschans Schüler in Berlin im selben Jahr (und nicht erst 1930) ins Sepik-Gebiet gereist statt nach den Neuen Hebriden, hätte die Erforschung der Kunst vom Sepik möglicherweise einen dynamischeren Verlauf genommen. Speiser schrieb 1908 in Berlin eine Arbeit über die Speere von Santa Cruz, in der er den Kunstcharakter der Verzierungen untersuchte. So bleiben die Sepik-Veröffentlichungen der beiden Anthropologen Otto Schlaginhaufen und Otto Reche die frühesten Referenzwerke, namentlich der vom Letztgenannten herausgegebene Band „Der Kaiserin Augusta-Fluss“, erschienen 1913 in der Reihe der wissenschaftlichen Ergebnisse der Hamburgischen Südsee-Expedition. Wiewohl beeindruckt von der formalen Vielfalt der Schnitzereien, den Verzierungen von Gebrauchsobjekten und namentlich auch der Bemalung der übermodellierten Schädel, entwickelten beide Autoren – Reche und Schlaginhaufen – später eine klar rassistische Überzeugung, dahingehend, dass primitive Menschenformen eigentlich noch gar nicht in der Lage seien, Kunst hervorzubringen. Bemerkenswert bleibt allerdings bei beiden genannten Autoren, dass in ihren frühen, noch spontanen Äusserungen über Melanesien eine grössere Offenheit dem Fremden gegenüber sichtbar wird.

Die grosse Berliner Expedition von 1912-1914 an den Kaiserin-Augusta- oder Sepik-Fluss wurde unterstützt vom Reichskolonialamt und war damit mitgetragen von anderen Mitgliedern des Kaiserreichs, die so auch am Ergebnis der Sammlungen partizipieren durften, an vorderster Stelle die Freie Hansestadt Lübeck mit einem 5%-Anteil. Leider traten die erworbenen Gegenstände erst ab 1966 mit den drei von Heinz Kelm für das Berliner Museum verfassten Katalogbänden „Kunst vom Sepik“ ins Bewusstsein grösserer Kreise. Jahre, gar Jahrzehnte zuvor widmeten Felix Speiser, Paul Wirz und Alfred Bühler in Basel in den Jahren 1931, 1954, 1957 und 1960 mehrere Publikationen und Ausstellungen dem Thema der Kunst vom Sepik, die alle auf eigenen, neu angelegten Sammlungen beruhten.

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Malerei auf Palmblattscheide, Gestell aus Bambus. Mittlerer Sepik, Yamok, Sawos, Sammlung Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main

Die Frankfurter Sammelreise von 1961 und die Sepik-Ausstellung von 1964, geplant und ausgeführt durch Eike Haberland und Meinhard Schuster, schlossen sich hier nahtlos an. Ebenso gilt dies für die Aktivitäten des Tropenmuseums Amsterdam (die 1949, 1952 und 1954 angelegten Sammlung Paul Wirz) sowie für die Erwerbungen des Musée de l’Homme in Paris (heute im Musée du quai Branly), die einer von Françoise Girard 1955 gemeinsam mit Dadi Wirz, dem Sohn von Paul, im Sepik unternommenen Sammelreise zu verdanken sind.

Wichtige Beiträge zur Kenntnis des baulichen und rituellen Kontextes in den lokalen Gesellschaften haben seit dem Beginn ihrer Missionstätigkeit auch die Angehörigen der Societas Verbi Divini (SVD) geleistet, so die Patres Joseph Schmidt im Sepik-Mündungsgebiet, Franz Kirschbaum von Marienberg bis zum Oberlauf, Georg Höltker für den Unterlauf des Ramu und die angrenzenden Küstenbereiche, Karl Laumann für die Region am Keram und am Yuat. Die meisten bis anhin genannten grossen Sammelreisen und einige weitere, hier ungenannt bleibende aus den Vereinigten Staaten, haben vom Wissen und der Ortskenntnis der SVD-Missionare bedeutenden Nutzen gezogen. Bildwerke vom Sepik sind als Einlieferungen der Missionare auch in die musealen Sammlungen des SVD-Ordens in Steyl und St.Augustin beziehungsweise ins Vatikanische Missionsmuseum nach Rom gelangt.

Wer gewinnt die Aufmerksamkeit des Betrachters: Ornament, Skulptur oder Malerei?

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Malerei auf Palmblattscheide, Abgrenzungswand im Männerhaus. Ceram River, südl. Sepiknebenfluss, vor 1826. Sammlung Weltkulturen Museum, Frankfurt am Main

Die im Titel angeschnittene Frage nach dem Wettstreit der Wirkkraft auf den Betrachter zwischen in der Fläche reich ornamentierten Gebrauchsobjekten - wie Kalkkalebassen oder Speiseschalen - und dreidimensional, also räumlich gestalteten Werken wie Masken, Ahnenfiguren, Männerhauspfosten, gewinnt einen neuen Sinn, sobald wir sie vor dem Hintergrund der Geschichte des Sammelns und Ausstellens zu beantworten versuchen. Dies gilt insbesondere für jene lokalen Traditionen der Ausdrucksfindung, in denen Skulpturen und zweidimensional angelegte Malereien nebeneinander die Aufmerksamkeit der Betrachter zu erringen trachten. Warum wird Kunst vom Sepik als vorwiegend dreidimensional geprägt wahrgenommen? Warum gewinnen die zweidimensional angelegten Malereien und Verzierungstechniken weniger Aufmerksamkeit?

Während in Europa die Malerei dem Publikum lange als Königsdisziplin galt und selbst in den revolutionären, anti-(kunst)akademischen Bewegungen der Impressionisten und der farbtrunkenen Fauves diesen Vorrang nicht eingebüsst, sondern im Gegenteil noch verstärkt hat, waren es die Künstler des Kubismus und des deutschen Expressionismus, die zu den Wurzeln der Skulptur als einer gleichberechtigten Kunstform vordringen wollten. Nur langsam öffneten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Europa Wege zu einer Neubewertung aller Kunstformen, gerade auch in der Jugendstilbewegung. Architektur als Kunst, Ornamente als selbständige Kunst, die gestaltete Form von Gebrauchsobjekten – also Design – als Kunst, das alles war um 1900 zwar irgendwie in der Diskussion, aber noch nicht stark genug, um den Umbruch zu erzwingen. Eigentlich ist es erstaunlich, dass gestaltete Gegenstände aus Neuguinea oder Melanesien einem Museumsleiter überhaupt schon als Kunst gelten konnten. Den Grundstein zu dieser Wertschätzung hatten neben den oben schon genannten Feldforschern weitere Ethnologen wie der in Cambridge lehrende Alfred C. Haddon, aber auch Ernst Grosse in Freiburg i. Br. gelegt.

Kunstwerke vom Sepik faszinierten gerade durch ihre Vermischung der in Europa strikt getrennten Gattungen des Gestaltens. Die bislang nie geschauten Kombinationen von Skulptur in Menschenform und Oberflächenverzierung, von Tier- und Menschengestalt, von Ornamentik ausgeführt in Pflanzenfasern und Architektur der Zeremonialhäuser, von modellierter, figürlich ausgestalteter Keramik und Primärfunktionen (wie der Aufbewahrung und Zubereitung von Nahrungsmitteln), waren (und sind) für wache europäische Betrachter einfach überwältigend. In den Kombinationsformen dominiert in der Tat die dreidimensionale Form. Den Ornamenten, oft ausgeführt in den dem Malen verwandten Einbrenn- und Ritztechniken, kommt formal eher eine dienende Funktion zu. So lässt sich vom aussen stehenden Betrachter auch das Bemalen von Flächen als ein Mittel einschätzen, Skulptur und Architektur zu unterstützen. Für diejenigen, die die Gegenstände hergestellt und ausgeformt haben, galt allerdings und gilt auch heute noch eine ganz andere Perspektive.

In den Erkundungen der letzten Jahrzehnte bei lokal tätigen Künstlern ist sehr deutlich geworden, dass dreidimensionale Gestaltungen wie Skulpturen, Gefässe aus Ton, Kürbisschalen, Bambus oder Holz, sowie Zeremonialhäuser einen wichtigen Teil ihrer ästhetischen Wirkung im lokalen Kontext den in der Flächen ausgeführten künstlerischen Beifügungen in Linien und Farben verdanken. Die aufgemalten, eingeritzten oder aufmodellierten Motive dienen immer der Verknüpfung einer Aussage mit einer praxisnahen Grundfunktion in Alltag oder Ritual. Oft - aber nicht immer - bezieht sich diese auf Lebensformen in der Welt der als anwesend erlebten Ahnen, mindestens ebenso oft unterhalten und erfreuen geglückte Ornamente einfach auch das Auge – jenes der mit sehenden Ahnen eingerechnet.

Es scheint somit als sei der auch im Sepik-Gebiet weiter andauernde Wettstreit zwischen der Malerei als Teil der Architektur, der Plastik in selbständiger Form als Maskenkostüm oder als abhängiger Teil von Architektur und der Verzierungskunst auf Keramik, Behältern aus Kürbisschalen, Bambus oder Holz, auf Netztaschen und als Körperschmuck noch lange nicht entschieden.

Weiterführende Literatur
Hauser-Schäublin, Brigitta (1989): Leben in Linie, Muster und Farbe: Einführung in die Betrachtung aussereuropäischer Kunst am Beispiel der Abelam, Papua-Neuguinea. Basel: Birkhäuser
Kaufmann, Christian (2000): Felix Speiser's fletched arrow: a paradigm shift from physical anthropology to art styles. In: Michael O’Hanlon, Robert L. Welsch (Hg.): Hunting the gatherer: ethnographic collectors and agency in Melanesia, 1870s-1930s. New York: Berghahn Books. S. 203–226
Kelm, Heinz (1966-1968): Kunst vom Sepik I-III. Berlin: Museum für Völkerkunde
Luschan, Felix von (1910-1911): Zur Ethnographie des Kaiserin-Augusta-Flusses. Baessler-Archiv 1. S. 103–117
Peltier, Philippe and Floriane Morin (Hg.) (2006): Shadows of New Guinea. Art of the Great Island of Oceania in the Barbier-Mueller Collection. Genève et Paris: Somogy
Reche, Otto (1913): Der Kaiserin-Augusta-Fluss. Ergebnisse der Südsee-Expedition 1908-1910. Hamburg
Speiser, Felix (1946): Malereien aus Nord-Neu-Guinea im Museum für Völkerkunde in Basel. In: Phoebus – Zeitschrift für Kunst aller Zeiten 1. S. 3-15

Zum Autor
Christian Kaufmann, Doktorat in Ethnologie (1969), Feldforschungen in Papua-Neuguinea und Vanuatu, war 1970 bis 2005 Leiter der Ozeanien-Abteilung am Museum für Völkerkunde (jetzt Museum der Kulturen) in Basel, 1999-2005 Lehrbeauftragter an der Universität Basel, präsidiert den Wissenschaftlichen Beirat des Museo delle culture in Lugano


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008