MERBAU – BAUM DER MYTHEN

Indigene Waldwirtschaft in Nordneuguinea

Von Christin Kocher Schmid

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Blick vom Küstengebirge ins Landesinnere. Foto: Ch. Kocher Schmid

Merbau ist ein besonders wertvolles und geschätztes Holz, sowohl in Europa wie auch in seinen Herkunftsgebieten; in Europa zum Beispiel als Material für hochwertige Böden, in Neuguinea als gut bearbeitbares und dauerhaftes Material, das auch in einem feuchtheißen tropischen Klima über mehrere menschliche Generationen Bestand hat.

Das Tiefland Neuguineas (sowohl der indonesischen Provinz Papua wie auch des Nordwestens von Papua New Guinea) weist größere Vorkommen von Merbau auf, andernorts (zum Beispiel in Südostasien) sind die Bestände massiv zurückgegangen. In den traditionellen Kulturen Neuguineas hat Merbau einen besonderen Stellenwert: obwohl die Artenvielfalt des tropischen Regenwaldes legendär ist, eignen sich doch nur wenige Holzarten zur Herstellung haltbarer Gegenstände, die von Generation zu Generation weitergegeben werden können (zum Beispiel große Kriegs- beziehungsweise Handelskanus). In schriftlosen Kulturen, wie sie in Neuguinea die Regel waren, wird kulturelle Kontinuität und Identität neben der mündlichen Übermittlung durch solche dauerhaften Objekte garantiert. In Abwesenheit von Metallverarbeitung, erfüllt Merbau diese Ansprüche optimal; das harte Holz war in schlagfrischem Zustand mit den traditionellen Steinwerkzeugen, die bis weit ins 20. Jahrhundert verwendet wurden, eben noch bearbeitbar und ist darüber hinaus dank seiner Inhaltsstoffe besonders haltbar. Überdies wurde und wird Merbau für die Pfosten der Zeremonialhäuser verwendet, die anders als die Wohnhäuser etwa eine Generation lang Bestand haben sollen. Ein solches Gebäude ist politisch-religiöser Fokus der entsprechenden Gemeinschaft und auch eine Darstellung der für sie gültigen Weltordnung; an seinem Bauplan sind Kosmologie und Seinsordnung ablesbar. Merbau ist daher für die Bewohner Neuguineas eine besondere Ressource, die dementsprechend seit Jahrhunderten bewirtschaftet und geschützt wird.

Die indigenen Land- und Waldbewirtschaftungssysteme im Nordwesten von Papua New Guinea sind sich über ein weites Gebiet (rund 20.000 km2) sehr ähnlich, wenn nicht gar gleich. Zudem erstrecken sie sich weiter westlich über die Grenze bis in die indonesische Provinz Papua. Am Beispiel des Kilimeri-Distriktes im äussersten Nordwesten von Papua New Guinea soll ein solches Waldbewirtschaftungssystem beschrieben werden.

Nähert man sich dem Distrikt von Norden, blickt man von den Küstenbergen auf die geschlossene, sattgrüne Kronendecke des tropischen Regenwaldes, unterbrochen nur durch das gelegentliche Aufblitzen der leuchtend weißen Schwingen der Kakadus. Die wenigen Rodungen für Gärten und Siedlungen sind zu klein, um aufzufallen. Dieser Wald, der für Außenstehende als "Urwald" und als vom Menschen unberührte Natur wirkt, ist aber ein Produkt menschlicher Gestaltung und stellt ein Resultat generationenlanger, gezielter Veränderung der Vegetation dar. Durchwandert man mit kundigen Einheimischen den Wald, wähnt man sich in der neuguinensischen Version eines Supermarktes: Fast jeder Baum ist von Nutzen, sei es als Nahrung, als Rohmaterial zur Anfertigung von Gebrauchs- und Schmuckgegenständen oder zu medizinisch-magischen Praktiken. Weitere Bäume werden als wichtige Futterpflanzen für begehrtes Wild oder Vögel geschätzt, oder weil sie das Substrat für Käferlarven darstellen, die als Delikatesse gelten.

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Älterer Garten, mit Bäumen bepflanzt. Foto: Ch. Kocher Schmid

Die Gärten, kleine gerodete und wieder bepflanzte Flächen, spielen bei der Gestaltung des Waldes durch die Menschen eine Schlüsselrolle. Schon zu Anfang werden einige Baumarten nicht gerodet, sondern im Garten stehengelassen (vor allem solche, deren Samen, Früchte oder Blätter essbar sind). Anschließend werden die Schösslinge bestimmter Bäume verschieden behandelt: Einige werden toleriert, das heißt. man kümmert sich nicht um sie; andere werden sobald sie aufkommen, entfernt; wieder andere werden gehegt, das heißt um ihr Aufkommen zu erleichtern, entfernt man störende Vegetation um sie herum. Eine weitere Gruppe von Bäumen wird gezielt in den Garten gepflanzt, sobald die ersten Anbaufrüchte geerntet sind. Sie sind entweder als Schösslinge dem umgebenden Wald entnommen oder werden aus Samen gezogen. Samen stammen aus verschiedenen Quellen: von Bäumen, die im Wald wachsen, oder von Früchten, die entweder auf dem Markt gekauft oder von Verwandten aus entfernteren Siedlungen erhalten wurden. Je nach Situation kann ein und dieselbe Baumart verschiedenen dieser Maßnahmen unterworfen werden. Nach mehreren Jahren beginnt sich das Blätterdach der tolerierten, gehegten und gepflanzten Bäume zu schließen und der Garten wird zu einem bevorzugten Jagdrevier bis er sich wieder vollständig in den umgebenden Wald einfügt. Wird ein solches System über Jahrhunderte angewandt, so ändert sich die Artenzusammensetzung des Waldes; dem Menschen genehme und nützliche Arten werden gefördert, unerwünschte unterdrückt.

Merbau gehört zusammen mit drei weiteren Harthölzern zu einer weiteren Gruppe von Bäumen, den "gefährlichen Bäumen". Diese werden als mit dem Menschen unverträglich betrachtet. Physischer Kontakt mit ihnen und ihrem Holz kann den Menschen schaden oder sie gar töten, indem es ihre "Schattenseele", einen Aspekt ihrer Seele, zerstört. Allerdings konnte traditionell Merbau als einziges dieser Hölzer unter bestimmten Umständen von Menschen gehandhabt und genutzt werden. Merbau lieferte früher - vor der Kolonisation im 20. Jahrhundert - das einzige adäquate Material für die Herstellung der rituell wichtigen Schlitztrommeln und für die Pfosten der pyramidenförmigen und bis über 10 Meter hohen Zeremonialhäuser. Beim Fällen eines Merbau mussten spezielle, rituelle Vorschriften eingehalten werden und es ist anzunehmen, dass ein solches Ereignis selten war: Schlitztrommeln sind dauerhafte Objekte und wurden vielleicht einmal pro Generation hergestellt während Zeremonialhäuser eindrückliche, ausdauernde Konstruktionen sind.

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Neuer Garten, acht Monate nach der Anlage. Foto: St. Klappa

Heutzutage ist das Verhältnis der Menschen zum Merbau ambivalent. Einerseits wird das Holz nun auch für Pfosten von Wohnhäusern verwendet, vielleicht nach dem Vorbild benachbarter Kulturgruppen. Zudem wurden Merbau von den malayischen Holzfällern gefällt, ohne dass sie und ihre Maschinen Schaden nahmen, wie die lokale Bevölkerung angenommen hatte. Andererseits wird auch heute kein Merbau ohne triftigen Grund berührt, denn zufälliger Kontakt mit diesem Baum kann die "Merbau-Krankheit" nach sich ziehen: Das Rückgrat eines Menschen bricht und seine Bauchhöhle füllt sich mit Blut. Merbau werden immer noch als unheimlich und gefährlich angesehen: "Der Merbau im Wald, wenn du daran vorbei gehst, wird sprechen, allerdings nicht wie ein Mensch." Dies wird durch mythische Erzählungen unterstrichen, die ausführen, wie Urzeitwesen, die vor den Menschen existierten, sich in Merbau und die anderen "gefährlichen Bäume" verwandelten, jedoch bis heute mit den Menschen kommunizieren und ihnen Ratschläge erteilen. Auch in der lokalen Schöpfungsgeschichte nimmt Merbau einen wichtigen Platz ein: Als das feste aber immer noch sumpfige Land erschaffen worden war, warf das Schöpferwesen Merbau-Samen darauf. Erst nach dem die Merbau-Bäume, deren Wurzeln den Boden zusammenhalten, gewachsen waren, konnten die anderen Bäume und Pflanzen sowie die Tiere den nun festen Grund besiedeln. Als im Gefolge der selektiven Abholzung an den Hängen der Küstenberge vermehrt Erdrutsche auftraten, identifizierten einheimische Experten bezeichnenderweise das Fällen der Merbau-Bäume und das anschließende Verfaulen ihrer Wurzeln als Grund dafür.

Im Kilimeri-Distrikt ist Merbau häufig und die traditionellen Nutzungsrestriktionen scheinen unnötig. Das "Sepik-Ramu Forest System" zu dem das Gebiet gehört, ist sogar durch sein zahlreiches Vorkommen charakterisiert. Die gegenwärtige Häufigkeit von Merbau ist jedoch höchstwahrscheinlich durch eben diese traditionellen Restriktionen mitbedingt, die – zusammen mit weiteren Waldbewirtschaftungsmassnahmen – diese Art Wald erzeugt und bewahrt haben. Ein Wald, der eine sichere und nachhaltige Ressource von qualitativ hoch stehendem und haltbarem Holz bildet, zur Nutzung durch die Menschen, die darin und von ihm leben. Allerdings machen gerade diese Charakteristika ihn attraktiv für ausländische Holzfirmen. Diese "entwickeln" dabei sicherlich nicht "die Holzressource" wie sie schönfärberisch ihre Aktivitäten beschreiben (engl. "to develop the timber resource"), sondern sie ernten und zerstören Ressourcen, die über Jahrhunderte wenn nicht Jahrtausende durch indigene Waldwirtschaft geschaffen wurden.

Dieser Beitrag wurde 2006 unter dem Titel "Merbau – eine ganz besondere Ressource Neuguineas" im "Holz-Zentralblatt", Unabhängiges Organ für die Forst- und Holzwirtschaft. 132,17. S. 493 veröffentlicht. Die Daten, auf denen der Artikel beruht, wurden unter der Leitung der Autorin zwischen 1996 und 2000 im Rahmen des Programmes APFT (Avenir des Peuples en Forêt Tropicale) unter EU-DGVIII erhoben.

Weiterführende Literatur
Bell, G.S. (1981): Papua New Guinea: Office of Forests. Technical Report 3, environment program. In: Forest Resources of Tropical Asia. fao document repository:

EIA (Environmental investigation agency). A Clear & Urgent Case: Why Merbau Should be Listed on Appendix III of CITES. www.eia-international.org, merbau_briefing_230404pdf

Zur Autorin
Dr. Christin Kocher Schmid, Ethnologin, seit 1981 Forschungen, Projekte und Auftragsarbeiten in und über Papua New Guinea im speziellen und Melanesien im allgemeinen. Thematische Schwerpunkte: Ethnobotanik, materielle Kultur, Moderne inkl. Folgen von großräumigem Abbau von Ressourcen.


Herausgeber © Museum der Weltkulturen, Frankfurt a. M. 2008